Wir sprachen mit Colin Lamberton, Executive Creative Director bei Fallon Prague, darüber, warum Prag ein spannender Standort für junge Kreative ist und was in der Werbung derzeit schief läuft.
Colin Lamberton hat schon in einigen Kreativagenturen gearbeitet – darunter Chiat/Day und St. Luke’s in London, Grey und Arnold in Amsterdam. Seit Oktober 2014 ist er Executive Creative Director der neu gegründeten Agentur Fallon Prague. Hauptkunde des tschechischen Fallon-Büros ist der Autohersteller Skoda. Derzeit arbeiten dort rund 60 Mitarbeiter.
PAGE: Sie waren dieses Jahr in Cannes. Was waren die Highlights?
Colin Lamberton: Es ist immer gut, seine Auftraggeber mal jenseits des Tagesgeschäfts zu treffen und unabhängig von konkreten Aufgaben über kreative Arbeit zu sprechen. Außerdem habe ich viele Kollegen von anderen Fallon-Büros getroffen.
Haben Sie auch Löwen gewonnen?
Nein, aber damit hatte ich auch nicht gerechnet. Wir haben zwar ein paar Filme eingereicht, aber es ist noch zu früh. Nächstes Jahr werden wir stärkere Arbeiten haben. Im ersten Jahr von Fallon Prague mussten wir viel Aufbauarbeit leisten.
Was halten Sie denn vom Award-Business generell? Wie wichtig ist es noch für Agenturen?
Die Debatte um die Sinnhaftigkeit von Awards ist nicht neu. Gerade für neue Agenturen wie Fallon Prague sind Awards meines Erachtens aber sehr wichtig. Schließlich kennt uns (fast) noch niemand! Wir wollen, dass die Leute uns wahrnehmen – und Awards sind dafür ein gutes Mittel.
Geht es dabei hauptsächlich um Neugeschäft oder um neue Mitarbeiter?
Eher ums Recruiting. Ich kenne wenige Auftraggeber, die sich für Kreativawards begeistern.
Viele stellen sich die Frage, wie Technologie und Big Data die kreative Arbeit verändern. Was ist Ihre Meinung dazu?
Ich warte immer noch auf richtig gute kreative Arbeiten, die mit Big Data arbeiten. Es gibt ein paar interessante Projekte, aber die haben meist nichts mit Werbung zu tun. Außerdem glaube ich nicht, dass sich die Grundregeln guter Werbung groß verändert haben. Man muss interessant sein und darf die Gastfreundschaft der User nicht überbeanspruchen. Die Regeln für digitale Arbeiten sind dieselben wie in anderen Bereichen auch.
»Ich finde es seltsam, wenn Kreative heute NICHT digital arbeiten«
Wie digital arbeiten Sie bei Fallon?
Fast jedes Projekt hat heutzutage eine digitale Komponente. Ich finde es seltsam, wenn Kreative heute NICHT digital arbeiten. Die Arbeit eines jeden Designers findet heute auf Bildschirmen statt und nicht auf Papier.
Haben Sie denn Probleme, geeignete Designer zu finden?
Nicht direkt. Es gibt allerdings ein spezifisches Problem in Tschechien: Grafikdesign hat hier eine starke Tradition – Werbung dagegen überhaupt nicht. An vielen hiesigen Kunsthochschulen gilt Werbung nicht als ordentlicher Berufsweg. Ganz anders als beispielsweise in Großbritannien, wo sich viele Kreativteams an der Hochschule finden, die dann gemeinsam in die Werbung starten. Ich selbst habe das College mit einem Kreativpartner verlassen, mit dem ich 15 Jahre zusammen gearbeitet habe.
Und wo bekommen Sie dann Ihre Mitarbeiter her?
Von überall. Unser Hauptkunde ist Skoda mit einem globalen Etat. Deshalb sind wir eine sehr international ausgerichtete Agentur, besonders im Kreationsbereich. Unsere Mitarbeiter kommen aus 16 verschiedenen Nationen. Wir schnappen uns die guten Leute, wo wir sie finden.
»Wir schnappen uns die guten Leute, wo wir sie finden«
Wie lebt es sich so in Prag?
Prag ist eine wunderschöne Stadt mit einer starken kreativen Tradition. Film, Design und Kunst sind hier stark verankert. Wenn man nachts umherstreift, ist an jeder Ecke etwas los – meist mit künstlerischem Hintergrund. Seit 2010 findet hier das internationale Kreativfestival PIAF statt. Ich denke, das wird der Werbeindustrie hierzulande Auftrieb geben. Prag ist definitiv eine gute Basis in Zentraleuropa – sowohl für Agenturen als auch Kreative.
Wo steht Prag im Vergleich mit anderen Städten, in denen Sie gearbeitet haben?
Prag ist wesentlich kleiner als London und viel angenehmer zum Leben. Die Wohnungen sind bezahlbar, man muss nicht pendeln, man kommt gut überall hin. Dasselbe gilt auch für Amsterdam, wo ich am Wochenende lebe, weil meine Frau und Kinder dort wohnen. Sowohl in Prag als auch Amsterdam kann man die Geschichte spüren.
Die beiden Städte sind also gute Standorte für junge Kreative?
Ja, auf jeden Fall! Auch, weil sie nicht von großen Märkten beherrscht werden. In London dreht sich alles um London, in Paris dreht sich alles um Paris usw. Selbst internationale Agenturen befassen sich hier hauptsächlich mit dem lokalen Markt. Dasselbe gilt für Deutschland: In einem Land mit 80 Millionen Einwohnern konzentriert man sich automatisch auf den heimischen Markt. In kleineren Städten bzw. Ländern wie den Niederlanden und Tschechien denkt und arbeitet man internationaler.
»In kleineren Ländern wie den Niederlanden und Tschechien denkt und arbeitet man internationaler«
Sie arbeiten schon eine Weile in der Werbung. Haben Sie irgendwelche Tipps für junge Kreative, die gerade starten?
Ganz wichtig ist Balance – in mehrfacher Hinsicht. Man muss die Regeln erst lernen, um sie zu brechen. Und man darf nie glauben zu wissen, »wie Werbung funktioniert«. Man muss immer weiter die Regeln brechen wollen! Eine andere Form von Balance ist gefragt, wenn man eine Idee in die Tat umsetzen möchte. Man darf nicht zu aufdringlich sein oder übertreiben – sonst steht man nachher mit nichts da. Man muss lernen, wie man es schafft, eine Idee zu verkaufen.
Das hat oft mit Kompromissen zu tun. Ist das ein Problem beim Kreativnachwuchs?
Mein Eindruck ist eher, dass viele Junge zu schnell Kompromisse eingehen. Oder sie verlieren das wirklich Interessante an ihrer Idee aus dem Blick. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe der Agenturen, die Ideen ihrer Mitarbeiter zu schützen. Leider sind die Agenturen in den letzten Jahren schwächer geworden und können das nicht mehr so gut leisten.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Und wie kann man es wieder ändern?
Vielleicht liegt es daran, dass die Agenturen in den vergangenen Jahrzehnten übertrieben haben und die Kunden weniger Vertrauen haben. Als ich angefangen habe, gab es in England eine jährliche Umfrage: Wer findet, dass die Werbung das Beste im Fernsehen ist? Und es war unglaublich, wie viele Leute das tatsächlich so gesehen haben! Die Spots waren lustig, charmant, klug et cetera. Danach folgte eine wilde Zeit, in der viele Agenturen zu verrückt und auch zu mächtig wurden. Sie haben es versäumt, den Wert ihrer Arbeit aufzuzeigen. Es folgte eine Gegenbewegung und eine Professionalisierung auf Seiten der Auftraggeber.
»Die Leute hassen nicht Werbung per se – sie hassen schlechte Werbung«
Heute vermeiden die meisten Leute Werbung, wo es nur geht. Gleichzeitig lohnt es sich umso mehr, wirklich gute Arbeiten zu machen: Denn dann teilt und verbreitet das Publikum sie von selbst! Die Leute hassen nicht Werbung per se – sie hassen schlechte Werbung.
In Cannes konnte man sehen, wie starke Kreation Unternehmen komplett verändern kann. Eine gute Idee kann ganze Industrien transformieren. Aber wir müssen in der Lage sein, unseren Kunden solche Ideen zu verkaufen. Und je mehr wir die Wirksamkeit unserer Arbeit beweisen können, desto bessere Arbeit werden wir machen können.
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