Hilfe leisten als Designer
Jürgen Siebert über den zweifelhaften Nutzen von »Crowdfunding für Flüchtlinge«.
Überall in Deutschland unterstützen Ehrenamtliche die ankommenden Flüchtlinge. Auch zahlreiche Kreative wollen Hilfe leisten. Doch was tun, damit selbst initiierte Aktionen nicht ihr Ziel verfehlen oder sich nach einigen Tagen als fruchtlos erweisen? Am besten die eigenen Talente einsetzen, wie zum Beispiel buero bauer aus Wien. Beim Besuch einer Notunterkunft war den Designern aufgefallen, dass ein Mangel an Informationen zusätzlich Chaos verursacht. »Überall hängen Zettel an Türen und Wänden, in vielen Sprachen, mit oft widersprüchlichen Aussagen: ›Kein Leitungswasser trinken‹, hat jemand auf Arabisch geschrieben. Tatsächlich ist das Wasser aber trinkbar und der Hinweis damit überflüssig oder muss ins Gegenteil verkehrt werden«, schildert buero bauer die Situation. Also entwarf man kurzerhand ein modulares Orientierungssystem aus Icons, Pfeilen und minimalem Text, den jede Unterkunft selbst auf Neonpapier ausdrucken kann. Die Grafiken stehen auf Creative-Commons-Basis frei zur Verfügung.
»Perfektionismus brauchen die Menschen in den Notunterkünften am wenigsten«
Was mir auf der Website fehlte: ein Download-Button, um das hilfreiche Tool sofort zu laden. Ich mailte nach Wien, um an die Dokumente zu kommen. Die Antwort: »Wir gestalten noch ein Kurzmanual zu dem Leitsystem, damit es richtig zum Einsatz kommt.« Am Wochenende sollte es fertig sein. Vielleicht ist es das inzwischen auch, aber ich denke, Perfektionismus brauchen die Menschen in den Notunterkünften am wenigsten. Es reicht, wenn sich Politik und Verwaltung wochenlang in ihrer Bürokratie verzetteln, anstatt einfache Maßnahmen schnell auf die Beine zu stellen.
Die Berliner Designerin Nadine Roßa schrieb mir zu dem Thema: »Wir müssen uns von der ›Portfolio-Geilheit‹ verabschieden, die uns im Studium eingetrichtert wurde.« Sie selbst engagiert sich bei der Initiative Kreuzberg hilft und konnte aus Zeitgründen das Logo und die Werbekarten nicht in der Qualität entwerfen, wie sie das für ihre Kunden tun würde. »Und weißt du was? Die Lösung funktioniert. Das wäre sicher nicht besser geworden, wenn ich mehr Zeit für ein großartiges Design gehabt hätte«, zog sie Bilanz.
Stefan Sagmeister hat 2002 unter dem Motto »Was ist gut?« auf einer Konferenz erzählt, wie er dabei scheiterte, etwas Gutes zu tun. Er hatte sich eine »Notgebietshilfsschachtel« ausgedacht, die Wasser, Brot, Trockenfisch, Milchpulver und Gebäck enthält. Man hätte sie an Fallschirmen aus Flugzeugen abwerfen können. Nach dem Verzehr der Lebensmittel sollten sich die Packungen mit Sand füllen und als Bausteine verwenden lassen.
Nur wenige Wochen später traf Stefan Sagmeister den Direktor der Hilfsorganisation CARE, der ihn aufklärte, dass man seit Jahren keine Nahrung mehr in Hilfsgebiete transportiere. Als nützlicher habe sich das Einkaufen von Lebensmitteln vor Ort erwiesen, was nicht nur sicherstellt, dass diese frisch sind und dem Geschmack der Leute entsprechen: Man entwickle auf diese Art sogar den lokalen Handel, fördere die Landwirtschaft und spare die Flugkosten. Dasselbe gelte für die Gebäude: Material aus der Gegend, Handwerker von nebenan. »Ich hatte eine depperte Idee«, so Sagmeisters Resümee.
Und noch ein Wort zum »Crowdfunding für Flüchtlinge«. Ich halte es für problematisch, über einen Zeitraum von 30 Tagen und mit dem aktuellen Rückenwind der Medien ein Designprodukt zu finanzieren, das Asylsuchende unterstützen soll. Diese Menschen brauchen Soforthilfe. Man sollte sie nicht als Spielball für eine einmonatige Finanzsportveranstaltung benutzen. Die Startnext-Kampagne für ein Symbol-Kommunikationsbuch, Mitte Oktober gestartet, um 120 000 Euro zu erwirtschaften, wurde nach meiner Kritik über Twitter glücklicherweise bescheidener aufgesetzt.
Wie es trotzdem funktioniert, demonstrierte jüngst die libanesische Schriftentwerferin Nadine Chahine. Mitte Juli wurde Georges El-Rif in Beirut auf offener Straße wegen eines banalen Streits vom Leibwächter eines Staatsministers totgeprügelt. Der Täter blieb auf freiem Fuß, eine Entschädigung für die Familie war nicht in Aussicht. Einen Tag später setzte Nadine Chahine auf Indiegogo eine Spendenaktion mit dem Ziel 15 000 Dollar auf, die sie über Twitter bewarb: »Wenn die Regierung nicht helfen kann, tun wir es einfach. Unterstützt #JusticeForGeorges.« Schon nach 24 Stunden war das Ziel erreicht, am Ende kamen ganze 22 100 Dollar zusammen, gespendet von 362 Unterstützern. Danke für die Hilfe und die Idee, Nadine!
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