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Hashtag. Punkt, fertig!

Journalisten sollten differenziert berichten, nicht skandalisieren, meint unser Kolumnist Jürgen Siebert.

Anfang November schlug die Veröffentlichung der #ParadisePapers ho­he Wellen. Monate zuvor wurden der »Süddeutschen Zeitung« vertrauliche Unterlagen des Offshore-Dienstleisters Appleby zugespielt: 13 Millionen Dokumente, die anschließend eine Gruppe investigativer Journalisten zerlegte wie ein Rudel hungriger Löwen ihre Beute. Jedes Ressort bekam sein Skandalhäppchen.

Mehrere Tage lang berichteten Zeitung und TV über die Steuervermeidungsstrategien von Firmen, Reichen und Stars in Steuerparadiesen. Einige der Prominenten hatten nachvollziehbare Erklärungen, das Gros der Unternehmen fühlte sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Tatsächlich waren manche Vorwürfe entweder ziemlich dünn oder längst durchdiskutiert. Im Fall von Apple sogar beides. Doch Schlagzeilen über den größten Konzern der Welt verkaufen sich bestens, selbst wenn sie auf eine harmlose E-Mail-Anfrage fußen.

Das Grundproblem der »Paradise Papers« ist, dass viele der von Journalisten kritisierten Praktiken legal sind. Auch das Nutzen von Steueroasen ist per se nicht verboten. Bastian Obermayer, einer der »Paradise Papers«-Enthüller der »SZ«, brachte daher eine interessante Überhöhung ins Spiel: Viele der zitierten Fälle seien nicht illegal, aber illegitim.

Nicht illegal, aber illegitim: Die Moralkeule im Netz vergiftet die Debatte

Vor der #Paradise-Debatte war alles legal, was das Gesetz erlaubt, und illegal, was das Gesetz untersagt. Zuständig für die Beurteilung der Illegali­tät sind die Gerichte. Plötzlich können Dinge legal sein, aber illegitim. Das riecht nach Fake-Rechtsprechung, nach alternativer Gerichtsbarkeit.

Maßstab für die Legitimität ist nicht das Gesetz, sondern die Moral. Das klingt erst mal hochanständig, weil moralische Prinzipien das Fundament der Gesetzgebung sind. Doch »aus der Hüfte geschwungen« ist die Moralkeule eine zweischneidige Waffe: Am Stammtisch bringt sie Zunder in die Debatte, im echten Leben ist sie hochgradig ideologieanfällig.

Nichts macht das deutlicher als die Debatten in den sozialen Netzen. Tatsächlich sind es selten Debatten, meist nicht mal Kommentare. Die kurze Aufmerksamkeitsspanne vieler Onliner gibt das gar nicht her. Aufgewühlte Leser überführen unreflektiert Bauchgefühle in wenige Wörter, manchmal sogar Sätze. Keiner hat die »Paradise Papers« gelesen, muss man ja auch nicht, denn das Urteil steht sowieso fest: Skandal.

Im Netz kriegt jeder massentaugliche Skandal erst mal einen Hashtag. Wer betonen möchte, dass man »das doch wohl noch sagen« dürfe, setzt ein #negerkuss ans Ende seiner Nachricht. Wer öffentlich machen will, auch schon sexuell belästigt worden zu sein: #metoo. Die sexuelle Gleichberechtigung bringt man mit #ehefueralle auf den Punkt, Terror im öffentlichen Raum am besten mit #jesuis… und den Stolz auf ein gutes Foto mit #nofilter.

Eigentlich sollte der Hashtag in der politischen Debatte wie eine Art Sonderbriefmarke benutzt werden, mit der eine Debatte in Fahrt kommt. Leider nutzt ein Großteil der »Kommentatoren« diese Kürzel wie den Schlusspunkt einer Diskussion, weil sie gar nicht debattieren möchten. Hashtag, Punkt, fertig!

Zurück zu #Paradise. In einem Land, in dem seit Jahrzehnten »Der große Konz« (Untertitel: »1000 ganz legale Steuertricks«) zu den Bestsellern gehört, sollte die legale Steuergestaltung etwas differenzierter diskutiert werden. Gerade von den »investigativen« Journalisten, die genau wissen, dass sie die Geister, die sie mit #Paradise oder #Pegida rufen, nicht mehr loswerden.

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