Unser Kolumnist Jürgen Siebert erinnert an den Sinn der Trennung von Werbung und Redaktion.
Aktuelle politische Entwicklungen erinnern uns daran, dass die Gewaltenteilung der Grundstein für eine funktionierende Demokratie ist. Auch die Werbekommunikation basierte jahrzehntelang auf einer Gewaltenteilung. Hier die Marken, Produkte und Unternehmen, dort die Händler und Verbraucher, dazwischen Werbung, PR und Marketing, jeweils eng mit den Medien verbunden.
Diese Teilung funktioniert nicht mehr – und das schadet allen. Blogger vermischen Redaktion und Werbung, Nachrichtenmedien vernachlässigen ihren Auftrag und ködern Leser mit Halbwahrheiten, Facebook-Leser verwechseln Propaganda mit Nachrichten. Finanziell schmerzhaft wird es, wenn Zeitungen und Magazine kein Businessmodell mehr finden, User im Netz nichts bezahlen wollen und dazu noch Adblocker installieren.
Das »Allheilmittel« Content Marketing hat die Medien- und Werbewelt auf den Kopf gestellt. Journalisten verfassen für Firmen PR-Texte, die dann als White Paper oder Schminktipps von den Kunden geladen werden. YouTuber bauen sich mit Quatschvideos ein Millionenpublikum auf, das sie mit Product-Placement melken. Und weil Fachzeitschriften die Anzeigen wegbrechen, lassen sie sich redaktionelle Texte vom Marketing schreiben.
Content Marketing: Diskurs und Authentizität statt gesteuerter Wahrheit.
Inzwischen merken die Ersten, dass die »gesteuerte Wahrheit« in eine Sackgasse führt. Es ist das große Missverständnis der sozialen Medien, dass Marken direkt mit ihren Kunden kommunizieren müssten und Vermittler wie Agenturen oder Fachmedien überflüssig wären. Das kann funktionieren, wenn man Donald Trump heißt und das Amt des US-Präsidenten autokratisch interpretiert. In der Wirtschaft funktioniert es nur äußerst selten. Unternehmen brauchen weiterhin Vermittler, deren Geschäftsmodell die Unabhängigkeit ist. Die Zauberwörter für Glaubwürdigkeit sind Diskursfähigkeit und Authentizität, also das, woran es nicht nur dem Content Marketing mangelt, sondern auch großen Teilen der Gesellschaft, in der alle nach Selbstbestätigung gieren und keine Kritik ertragen.
Falls es eines Beweises für diese These bedarf, sei auf die Berliner Verkehrsbetriebe verwiesen, ein Unternehmen, das seit jeher unter der Beschimpfung durch seine Kunden litt. Nun hat man eine Lösung gefunden, mithilfe einer Agentur (Grüner und Deutscher) und zwei Textern, die den BVG-Twitter– und –Facebook-Account betreuen. Die Kampagne läuft unter dem ironischen Hashtag #weilwirdichlieben und hat binnen 12 Monaten das Image der Verkehrsbetriebe gedreht. Ihre Spezialität ist der gepflegte Verbalkonter. Als zum Beispiel jemand auf Twitter schrieb, dass man sich in der U-Bahn »schon vor 8 über Meth-Rezepte und die Kokspreise« austausche, antwortet die BVG: »Wir nehmen nur 2,70 für einen Trip.« Oder das Foto einer menschenleeren U-Bahn, darunter: »Helaaf! Heute beginnt Karneval. Hier ein Foto von der Bahn, mit den Leuten, die das in Berlin interessiert.«
Weil auch die BVG keine Wunder vollbringen und über Nacht sämtliche Missstände abstellen kann, arbeiten die Werber an der Wahrnehmung. Die Kampagne hält Nörglern einen Spiegel vor und erinnert daran, einfach mal Verständnis für die Widrigkeiten aufzubringen. Das Wichtigste ist aber, dass man die Kunden ernst nimmt und mit ihnen kommuniziert. Viele Zeitungen haben die Chancen zum Leserdialog verschlafen und das Kommentieren zur Steigerung der Website-Besuchsdauer eingesetzt . . . ohne je einem Leser zu antworten. Mittlerweile tummeln sich dort nur noch Trolle. Manche Medien schalten die Kommentare ganz ab. Methode Trump.
In seiner ersten Pressekonferenz als gewählter Präsident selektierte Donald Trump die Journalisten nach kritischen und ihm gewogenen Medien. Ersteren verweigerte er einfach den Dialog.
Barack Obama dagegen betonte fast zeitgleich in seiner Abschiedspressekonferenz, dass er ohne die Medien keine gute Politik hätte machen können. Einer der wichtigsten Schrittmacher in seiner Amtszeit war der Satz »Klärt das bitte bis zur nächsten Pressekonferenz!«
Statt beleidigt in der Ecke zu stehen, wenn es Kritik hagelt, sollten sich auch Marken und Unternehmen wieder auf das Zuhören verlassen und mit den Kunden reden. Wer dialogfähig ist, kann lernen. Und nur durch Lernen entwickeln sich Dienstleistungen und Produkte weiter. Und das wollen wir doch schließlich alle.