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Führung übernehmen? Tipps für individuelle Karrierewege

Viele Kreative übernehmen irgendwann eine Führungsposition. Aber es gibt auch andere Optionen. Wir beleuchten individuelle Werdegänge und geben Tipps, wie man seinen eigenen Weg findet

Nicole Hector, Director Brand Strategy bei Zeichen & Wunder in München

Wer gute Arbeit leistet, steigt auf. So lautet meist die Regel in Kreativagenturen. Aber je höher man aufsteigt, desto mehr kommen Aufgaben dazu, auf die viele Designer:innen keine Lust ha­ben – organisieren, Teams zusammenstellen, Kun­­­den­­­­meetings leiten und so weiter. Viele Gestal­te­r:in­nen rutschen in eine Laufbahn, die sie sich nicht ausgesucht haben – und für die sie vielleicht gar nicht ge­eig­net sind. Glücklicherweise gibt es in der Krea­tiv­bran­che aber auch alternative Modelle – sei es die Selbstständigkeit, die Arbeit in Kollektiven oder auch reine Fachkarrieren, wie sie immer mehr Agenturen anbieten.

Excellence oder Executive Track?

»Lange hieß es in Agenturen: Entweder du übernimmst Führungsaufgaben oder du steigst nicht auf. Heutzutage gibt es aber zunehmend Alterna­tiven«, erklärt Luisa Gier, Senior Talent Manager bei der Designagentur Strichpunkt. »Wir versuchen, auf die individuellen Wünsche einzugehen. Bei Strichpunkt gibt es auch Creative Directors, die keine Per­so­nal­ver­antwortung tragen und wei­­ter­hin rein krea­tiv tätig sind.« Ohnehin sei es eine Frage, wie man Führungspositionen defi­nie­­­re: »Un­­sere CDs arbeiten immer auch aktiv in den Projekten mit. Es ist wichtig, dass sie ihr Fach­wis­­sen mit den Teams teilen.«

Bevor man bei Strichpunkt eine Führungsrolle übernimmt, kann man im Kleinen ausprobieren, ob es passt, etwa indem man die Leitung bei einem Projekt oder die Verantwortung für Prak­ti­kant:innen oder dual Studierende übernimmt. »Grundsätzlich sollte der Weg in beide Richtun­gen offen sein. Wenn jemand merkt, dass ihr oder ihm die Führungsrolle nicht liegt, können wir jederzeit darüber sprechen und eine andere Lösung finden«, erläutert Luisa Gier. »Gleichzeitig sollte man die Führungsposition nicht kategorisch aus­schlie­ßen, nur weil man in dem einen oder anderen Bereich noch etwas lernen muss.«

Auch bei Zeichen & Wunder in München können Designer:innen zwischen beiden Wegen wählen: »Wir achten auf flache Struk­turen und individuelle Wei­terentwicklungsmöglichkeiten. Es gibt bei uns auch Fachkarrieren oh­ne Managementaufgaben. Solche Experten sind sehr wichtig für den Wissenstransfer innerhalb von Agenturen«, erklärt Nicole Hector, selbst Director Brand Strategy bei der Agentur.

Besonders in großen Netzwerkagenturen ist die Titelhierarchie oft festgefahren – aber selbst hier tut sich was. So hat Scholz & Friends sich in einem Aktionsplan vom Herbst 2020 verpflichtet, ein neues Führungskräfteprinzip zu etablieren, das einen Excellence- und einen Executive Track vorsieht. Geplant ist, die Laufbahn oberhalb des Senior-Titels aufzusplitten. Momentan laufen in der Agentur Ent­wick­­lungsgespräche mit Mitar­bei­­te­r:in­nen und ein Re-Assessment von Führungskräften. Das Ganze soll ein dynamisches Konzept mit möglichst individuellen Lösungen werden. Da es sich bei Scholz & Friends um ein recht großes Agenturkonstrukt handelt, wird der Change-Pro­zess eine Weile dauern.

Hybride Rollen in kleinen Strukturen

Ganz anders sieht es bei kleinen Designstudios aus. Dort sind die Hierarchien zumeist ohnehin sehr flach, es gibt keine Managementebene, sondern alle gestalten mit – inklusive Chef:innen. »Krea­tivteams können sehr gut autark arbeiten, da muss nicht immer eine Führungsperson da­bei­sitzen«, erklärt Philipp Sille, einer der beiden Gründer von thekitchen in Stuttgart. »Was es allerdings braucht, sind ein Vertrauensverhält­nis und kla­re Kommuni­kation. Und wenn etwas nicht funk­tioniert, muss man Position beziehen und Konsequenzen ziehen.«

Je mehr Erfahrung man hat, desto besser kann man auch mit schwierigen Situationen und Personen umgehen. »Es gibt sicherlich Leute, die cha­rakterlich von vornherein gut für Führungspositionen geeignet sind, vielleicht weil sie präsenter oder bestimmter sind. Aber man kann es auch mit der Zeit lernen – wenn man entsprechend ge­fördert wird«, meint Lisa Jasch, Designerin bei thekitchen. Dass Kreative grundsätzlich auch Ma­nagementpositionen übernehmen sollten – davon ist Alex Schmidtke, Partnerin und Creative Consultant bei Dorten in Berlin, überzeugt: »Sie können den Arbeitsaufwand aus eigener Erfahrung einschätzen und die Ergebnisse fachlich be­urteilen. Sie verstehen die Mitarbeiter:innen, erkennen Stärken und Schwächen und können ent­sprechend fördern. Wenn jemand nur Manager ist, kann eine Kluft zum Team entstehen.«

Weniger gestalten, mehr Verantwortung

Das Verständnis von guter Führung befindet sich im Wandel. Autoritäre Bestimmer werden selte­ner – gefragt sind empathische Möglichmacher. »Ich verstehe mich eher als Ansprechpartner oder Back-up, wenn etwas nicht klappt. Das liegt mir mehr«, erklärt Nikolai Dobreff, Art Director bei Karl Anders in Hamburg. »Ich versuche, so wenig wie möglich einzugreifen. Schließlich sind meine Kolleg:innen hier, weil sie andere Skills haben als ich. Warum sollte ich sie nur nach meinen Vorstellungen arbeiten lassen?«

Eine etwas andere Rolle nimmt Dobreff beim Heart Directors Club ein, seinem 2020 gegrün­de­ten Wohltätigkeitsprojekt, das jeden Monat limitierte Artworks verschiedener Künstler- und De­si­gner:innen für einen guten Zweck verkauft. Hier genießt er es, nicht selbst Gestalter zu sein, sondern vielmehr Kurator und Organisator. »Ich bin leidenschaftlicher Designer und würde nie eine Position einnehmen wollen, wo ich nur noch die Arbeiten anderer bewerte. Aber die Mischung aus beiden Rollen gefällt mir sehr gut«, so Dobreff.

Genau dieser Punkt ist es, der vielen Kreati­ven zu schaffen macht: Wer eine Führungsposition übernimmt, wird zwangsläufig weniger selbst ge­stalten – schon allein, weil viele neue Aufgaben da­zukommen. »Führung bedeutet für mich, Verant­wortung dafür zu tragen, dass es den Mitarbei­ter:innen und dem Unternehmen gut geht«, sagt Alex Schmidtke. »Ich habe den Anspruch, verlässlich zu sein und den Teams Stabilität zu geben. Dazu gehört auch ein gutes Erwartungsmanagement – also keine leeren Versprechungen zu machen. Ich kann sagen: Als Führungskraft schläft man oft etwas schlechter, vor allem während einer Pandemie.« Dafür werde man aber auch belohnt – mit einem motivierten Team und unternehme­ri­schem Erfolg. »Mir macht meine Rolle sehr viel Spaß – ich bereue nichts«, so Schmidtke.

Hör auf dich selbst

Letztlich kann – und muss – jede:r selbst entschei­den, wohin die Reise gehen soll. Dafür braucht es die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Zudem kön­nen Coachings helfen, wie sie unter anderem Mind & Motion in Stuttgart anbietet, und – wenn man sich für die Beförderung entschei­det – natürlich auch Führungskräftetrainings, die von Agenturen allerdings immer noch recht selten vorgesehen sind und entsprechend meist nicht bezahlt werden. »Letztlich ist Führung etwas sehr Individuelles, das jede:r für sich selbst definieren muss«, meint Alex Schmidtke, die 2015 ein Führungsseminar absolviert hat.

Wer statt einer Führungsposition die Selbst­stän­digkeit wählt, sollte allerdings wis­­sen, dass auch dies Führung bedeutet – »zumindest für sich selbst«, so Nikolai Dobreff. Und natürlich in Bezug auf Auftraggeber:innen und gegebenenfalls Free­lancer:innen oder Projektpart­ner:innen. So ganz kommt man um Führung also nicht herum, aber mit wachsender Erfahrung kann jede:r das nötige Standing entwickeln. Und wer weiß, vielleicht macht es ja sogar mehr Spaß als gedacht.

Fachkarriere als Alternative

Seit einiger Zeit hält das Konzept der Fachkarriere in der Kreativbranche Einzug. Es ermöglicht eine berufliche Perspektive jenseits der klassischen Führungslaufbahn. Als Gestalter:in kann man sich so horizontal weiterentwickeln und Expertise in einem Fachgebiet aufbauen, ohne Personalverantwortung und andere Managementaufgaben übernehmen zu müssen. Während diese Option etwa in Großbritannien und den USA schon seit Jahren etabliert ist, ist sie in deutschen Agenturen noch relativ selten. Fachkarrieren sind oft individueller auf Einzelpersonen und ihre Kompetenzen zugeschnitten und fördern so Zufriedenheit und Motivation. Wichtig ist allerdings, dass sie in Sachen Gehalt und Status nicht hinter der Führungslaufbahn zurückbleiben.

»Für mich war klar, dass eine Fachkarriere besser zu meinen Vorstellungen passt«

Katharina Bergmann, 33, Senior Concept Developer bei Strichpunkt in Stuttgart

Ich habe Kommunikationsdesign an der Merz Akademie in Stuttgart studiert und anschließend einen Masterstudiengang an der HTWG Konstanz absolviert. Schon im Studium habe ich mich vor al­lem für die Konzeption und die Grund­ideen von Projekten interessiert, weniger für typografische Feinheiten. Nach Abschluss des Studiums fing ich bei Strich­punkt als Konzepterin an – die Jobbezeichnung gab es dort damals in dieser Form noch nicht. Wir haben das gemein­sam ausprobiert, aufgebaut, und es funk­tioniert bis heute sehr gut.

Ich stieg von der Junior-Konzepterin zum Senior Concept Developer auf und gelangte an einen Punkt, an dem ich mir über­legen musste, wie ich mich und mei­nen Bereich weiterentwickeln kann. Der Weg der klassischen Führungskraft war für mich allerdings nicht attraktiv, weil die prak­tische kreative Arbeit und auch die For­schung dabei meiner Ansicht nach zu kurz kommen. Mir war daher schnell klar, dass eine Fachkarriere besser zu mei­nen Vorstellungen passt. Meine persön­li­che Stärke ist, mit­­ten im kreativen Prozess zu sein, Ideen zu entwickeln und neue Themenfelder zu entdecken. Der nächs­te Schritt wird demnach Concept Director sein. In dieser Po­sition werde ich die konzeptionelle Kraft der Agentur weiter vorantreiben können.

Zugleich fühle ich mich nicht an eine Fachkarriere gebunden. Denn am span­nends­ten finde ich es, nicht in klassischen Kar­rierewegen zu denken. Warum nicht bei­des, führen und kreativ arbeiten? Ich denke, am besten ist es, die eigenen Talente zu erkennen, sie frei zu entfalten und dadurch den Weg zu schaffen, der für einen persönlich der Richtige ist.

»Es war zwar nie mein Ziel, Creative Director zu werden – aber ich glaube, das Aufgabengebiet passt ganz gut zu mir«

Tanja Freudenthaler, 32, Creative Director bei Strichpunkt in Stuttgart

Nach meinem Studienabschluss 2013 an der HTWG in Konstanz fing ich als ers­te Mit­arbeiterin in dem kleinen De­sign­studio b.lateral am Bodensee an. Nach gerade mal vier Monaten stieg über­ra­schend ein Partner aus, und ich war von dem Zeitpunkt an allein für den Grafikbereich zuständig. Ich musste also von jetzt auf gleich Verantwortung übernehmen, statt erst mal von jemandem zu lernen. Dabei habe ich schnell gemerkt, dass es bei dem Job nicht nur um gutes Grafikdesign geht, sondern auch um Stra­tegie und Organisation. Ich bin dann – quasi zwangsweise – schnell in die Rolle hineingewachsen.

Vor fünf Jahren habe ich als Designerin bei Strichpunkt in Stuttgart angefangen und konnte mich seither Schritt für Schritt weiterentwickeln – erst zum Art Director, dann zum Senior Art Director und im letzten Jahr zum Creative Director. Ich hatte nie einen konkreten Karrie­replan, das hat sich eher so ergeben. Bevor ich die Unitleitung übernahm, konn­te ich die Position im Tan­dem mit einer Kollegin ein Jahr lang in einer Deputy-Rolle testen – also in leitender Po­sition ohne disziplinarische Führung. Es war im­mer klar, dass ich auch wieder in meine alte Rolle zurückkehren kann.

Ich arbeite heute weniger operativ als früher und fungiere mehr als Schnittstel­le zwischen den Gewerken. Allerdings ist es mir wichtig, auch immer wieder selbst zu ge­stalten, um nicht aus der Übung zu kommen. In dieser Rolle muss man aber lernen, loszulassen und zu akzeptieren, dass jeder Mensch anders gestaltet. Das Ergebnis sieht dann vielleicht nicht so aus, wie man selbst es sich anfangs ausgemalt hat – aber das ist gut so! Ich finde es außerdem richtig spannend, andere wei­terzuentwickeln. Es macht mich total stolz, wenn eine Designerin, die bei uns als dua­le Studentin angefangen hat, nach einer Kun­denpräsentation vom Geschäftsführer gelobt wird.

Woran ich mich erst gewöhnen muss­te, ist, dass sich das Team gegenüber einer Führungskraft anders verhält. Das ei­ge­ne Verhalten wird plötzlich ganz anders bewertet. Ich musste zum Beispiel lernen, dass ich spät abends nicht mehr in kollaborativen Dokumenten arbeiten soll­­­te. Denn sonst denken meine Mitar­beite­r:innen, dass ich dasselbe von ihnen erwarte. Hier versuche ich ein gutes Vorbild sein – was ich leider nicht immer schaffe. Darüber hinaus ist es mir wichtig, dass mich mein Team offen kritisieren kann. Da schreckt der Titel doch etwas ab – deshalb muss ich das immer wieder einfordern.

Als Creative Director vermittle ich oft zwischen dem Team und der Ge­schäfts­führung. Da muss man manch­mal auch forsch und mutig sein. Ich bin als recht junge Frau in eine Führungsriege aufgestiegen, in der die meisten älter und erfahrener sind als ich. Da war ich anfangs schon etwas eingeschüchtert. Geholfen hat mir, mich mit den anderen CDs auszutauschen. Natürlich ist jeder Tipp wert­voll – aber man muss auch seinen eigenen Füh­rungs­stil entwickeln. Mittlerwei­le habe ich meinen Weg gefunden und mich auch das eine oder andere Mal positioniert und durchgesetzt. Es war zwar nie mein Ziel, Creative Director zu werden – aber ich glaube, das Aufgabengebiet passt ganz gut zu mir.

»Führung und Familie schließen sich nicht aus«

Nicole Hector, 39, Director Brand Strategy bei Zeichen & Wunder in München Bild: Conny Mirbach

Ich habe ursprünglich Design studiert, aber von Anfang an mit einem starken stra­tegischen Fokus gearbeitet. Seit eini­gen Jahren verantworte ich den Bereich Markenstrategie bei Zeichen & Wunder. Ich bin Teil des Führungskreises, der in engem Austausch mit der Geschäftsführung die Entwicklung der Agentur mitge­staltet. Als zweifache Mutter bin ich ungemein dank­bar, dass sich bei Zeichen & Wun­der Führung und Familie nicht ausschließen – das ist leider (immer) noch nicht selbstverständlich.

Vorher war ich bei einer großen Netzwerkagentur in Hamburg, wo ich als Senior-Designerin anfing und recht schnell die Chance bekam, zum Team Lead aufzusteigen. Ich wurde ins kalte Wasser ge­wor­fen und musste plötzlich Leu­te anlei­ten, die vorher meine Team­kol­leg:in­nen waren. Das war eine extrem herausfordernde Zeit – aber ich erlebte dadurch auch eine sehr steile Lernkurve, natürlich mit Höhen und Tiefen. Und letztlich war genau das eine gute Vorbereitung für meine heu­tige Position.

Ich glaube, dass man sich gar nicht so richtig auf eine Führungsposition vorbe­reiten kann. Klar kann man das Handwerkszeug durch Coachings lernen – und das rate ich auch jeder und jedem. Aber niemand ist in dieser Rolle von Anfang an perfekt. Deshalb ist es wichtig, sich selbst zu hinterfragen und Feedback einzufordern. Ab einer gewissen Ebene steht man ab und zu etwas allein da. Dann hilft es, sich mit Leuten auszutauschen, die in einer ähnlichen Position sind. Viel hängt an der jeweiligen Agenturkultur, aber ge­nerell gibt es zum Glück immer weniger die Mentalität »Entweder du packst das oder du bist hier falsch«.

Der größte Lernprozess besteht für viele Gestalter:innen mit Führungsrolle darin, die ei­gene Kreation nicht mehr bis zum Ende aus­zuarbeiten – das fällt anfangs schwer, wird aber mit der Zeit einfacher. Man wird mehr zur Impulsgeberin und zum Coach. Diesen Rollenwechsel muss man wollen. Außerdem braucht es Kommu­nika­tions­bereitschaft und ein gewisses Organisationstalent.

»Ich bin sehr zielstrebig und wollte immer den nächsten Schritt machen«

Marielle Wilsdorf, 37, Chief Creative Officer bei GGH MullenLowe in Hamburg

Ich wusste schon früh, dass ich in die Werbung will, und habe deshalb Kom­mu­nikationsdesign an der U5 Akademie in Mün­chen studiert. Danach habe ich verschiedene Positionen in unterschiedli­chen Agenturen durchlaufen – Heimat, Scholz & Friends, DDB, Jung von Matt, wieder DDB und jetzt GGH MullenLowe. Dabei bin ich immer weiter aufgestiegen, eine klassische Agenturkarriere also. Ich bin sehr zielstrebig und wollte im­mer den nächsten Schritt machen. Dabei ging es mir aber nicht um Macht, sondern immer um mehr Freiheit und we­­niger Hierarchie.

Führung beginnt nach meinem Verständnis mit dem Titel des Creative Directors – also wenn man Teams anleitet und Verantwortung für andere Mitar­bei­ter:in­nen übernimmt. Viele unterschätzen den Sprung und die damit verbundenen Aufgaben. In dieser Position geht es nicht mehr vor­rangig um die eigene Arbeit, sondern darum, Talente und Interessen zu erkennen und zu fördern und sie vor allem richtig und gezielt einzusetzen. Dazu kommt viel Organisation. Darauf muss man schon Lust haben. Man kann sich auf diese Rolle auch nicht rich­tig vorbereiten – man muss in die Rolle reinwachsen. Mir hat es von Anfang an viel Spaß gemacht.

Mit der Zeit habe ich meinen eigenen Führungsstil gefunden, basierend auf eigenen Erfahrungen und Erlebnissen. Da­bei vertraue ich stark auf mein Bauchgefühl. Mir ist es wichtig, ein modernes, agiles Führungssystem zu schaffen, in dem alle Verantwortung für die Arbeit übernehmen und ich mich aufs Team verlassen kann. Ich möchte keine Chefin sein, die alles abnicken muss, das ist nicht mehr zeitgemäß. Rein demokrati­sche Füh­rung funktioniert für mich aber auch nicht, als CCO muss man schon finale Entschei­dun­gen treffen und die Verantwortung dafür tragen. Wichtig ist, nichts über die Köpfe des Teams hinweg zu entscheiden, sondern immer klar und transparent zu kom­munizieren und eine funktionieren­de Feedbackkultur zu leben.

Ich würde gerne mal an einem Führungskräftetraining teilnehmen, das sich speziell an Frauen richtet. Ich glaube, dass Frauen oft immer noch etwas zurückhal­tender in be­stimmten Situationen reagieren als Männer. Aber ob man besser oder schlechter führen kann, hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, sondern immer mit der Person.

»Ich wünsche allen Designer:innen, dass sie ihren Weg finden«

Tobias van Schneider arbeitete als Lead Product Designer bei Spotify, gründete – unter anderem – die Portfolio-Plattfor­men Semplice und Carbonmade sowie das Designstudio House of van Schneider in New York. Er hat eine Menge Erfahrung in unterschiedlichen Unterneh­men und Strukturen gesammelt. Hier ge­währt er Einblick in seine persönlichen Kar­riereentscheidungen und gibt Tipps, wie man heraus­findet, ob man eine Führungsposition übernehmen sollte.

Bild: © Michael George Photography 2014

»Ich war in meiner Laufbahn einige Male mit einer möglichen Karriere als Manager kon­frontiert. Gerade in größeren Un­ter­nehmen wird dieser Schritt nicht nur erwartet, son­dern ist oft die einzige Option. Ich habe mich immer dagegen entschieden, weil ich wusste, dass ich meinen Job sonst irgendwann hassen würde. Und als Mensch, dessen Beruf seine Leidenschaft ist, konnte ich es auf keinen Fall so weit kommen lassen. Ich habe mich also für die Unabhängigkeit entschieden, denn ich wollte mehr Kontrolle darüber haben, was ich jeden Tag tue.

Einer traditionellen Karriereleiter zu folgen ist natürlich leichter. Der Weg ist vor­geschrieben – du weißt genau, wie viel du verdienen wirst, wie weit du kommen und wann du mit einer Beförderung rechnen kannst. Es gibt wenig Unsicherhei­ten und mehr Garantien. Irgendwann werden alle Manager:innen. Wenn ei­nem das liegt, spricht auch nichts dagegen. Für mich gab es aber nichts, was den Nachteil von Tagen voller Meetings aufgewogen hätte, von einem Arbeitsalltag, in dem ich nicht mehr das tue, was ich liebe – nämlich gestalten. Mir gefällt die Unsicherheit. Klar ist das manchmal anstrengend, aber alles andere würde mich langweilen und frustrieren.

Alle definieren Erfolg und Wachstum auf ihre eigene Weise. Für mich geht es dabei nicht darum, mehr Geld zu verdienen oder in ein größeres Büro umzuziehen, sondern darum, mehr Zeit und Kontrolle über meine eigene Arbeit zu haben und mich als Designer weiterentwickeln zu können. Ob man jetzt den Management-Job hinschmeißt, sich mehr Zeit für freie Herzensprojekte nimmt oder ge­meinsam mit einem Unternehmen genau die richtige Rolle für sich definiert – ich wünsche allen Designer:innen, dass sie ihren Weg finden.

Gestal­ter:innen, die vor der Ent­schei­­dung stehen, in eine Führungsposition zu wechseln, sollten sich fol­gen­de Fragen stellen:

  • Warum hast du dich ursprünglich für den Designberuf entschieden?
  • Welche Risiken birgt die Chance – finanziell und privat, jetzt und langfristig?
  • Wie würde dein Arbeitsalltag aussehen, wenn du dich für den einen oder den anderen Weg entscheidest?
  • Was sagt dein Bauch – nicht deine Familie oder deine Freunde?
  • Warum reizt dich diese Möglichkeit – oder auch nicht? Warum bist du unsicher? Frag dich das immer weiter, bis du verstehst, wo deine Motivation liegt.
  • Beeinflussen Angst und das Bedürfnis nach Sicherheit deine Entscheidung? Wie würdest du dich entscheiden, wenn sie das nicht täten?

»Führung auf Augenhöhe ist uns wichtig«

Ina Yamaguchi, 39, und David Wolpert (oben links), 38, Mitgründer von Deutsche & Japaner in Mannheim

Ihr habt Deutsche & Japaner 2010 gemeinsam mit Julian Zimmermann und Moritz Forchow gegründet. Mittlerweile habt ihr zwei Angestellte und meist ein bis drei Prakti­kant:innen. Was bedeutet Führung für euch?
Ina Yamaguchi: Damals haben wir das Studio gegründet, um selbstständig und un­abhängig arbeiten zu können. Bei uns bedeutet Führung daher auch eher, dass jemand ein oder mehrere Projekte im Blick behält und koordiniert. Er oder sie sorgt für Struktur – aber Entscheidun­gen fällen wir grundsätzlich gemeinsam. Ein au­toritärer Führungsstil ist einfach nicht mehr zeitgemäß, schon gar nicht in kleinen Studios wie unserem.

Was ist euch wichtig, wenn ihr eine Führungsrolle übernehmt?
David Wolpert: Führung auf Augenhöhe! Unsere Hierarchien sind sehr flach, jede:r hat Mitspracherecht. Wer die Projektverantwortung trägt, muss natürlich auch mal Ansagen machen – aber es wird immer erklärt und nie diktiert.
Ina: Wir sind zum ersten Mal in diese Rolle geraten, als wir den ersten Prak­ti­kan­ten hier hatten. Das war schon ein ko­­mi­sches Gefühl. Ich finde, man rutscht dann eher in eine Art Lehrtätigkeit und weniger in die Chefposition. Grundsätzlich ist es sehr wichtig, dass man viel und offen kommuniziert. Wenn es in der Vergangenheit Probleme gab, dann lag das fast immer an mangel­hafter Kommunikation. Aus diesem Grund ach­ten wir nun darauf, dass wir in regelmäßigen Abständen Feedback­ge­­spräche führen.
David: Wir haben über die Jahre gelernt, den Mitarbeiter:innen mehr Verantwortung zu geben und ihnen Vertrauen zu schenken. Dafür muss man selbst manche Sachen loslassen – das fällt mir persönlich manchmal immer noch schwer. Aber sonst können sich weder die Perso­nen noch die Agentur weiterentwickeln.

Kann jeder Führung lernen oder ist das Typsache?
Ina: Ich glaube, dass es manchen Menschen leichter fällt als anderen. Ich selbst musste in die Führungsrolle rein­wach­sen. Es braucht schon Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, um Design bewerten und Menschen anleiten zu können und letztlich Entscheidungen zu treffen. Das muss man einfach üben und seinen eigenen Umgang damit finden.

Gab es schon Situationen, die ihr im Nachhinein als Führungsperson lieber anders gelöst hättet?
Ina: Na klar. Manchmal ist man genervt und vergreift sich im Ton oder nimmt sich nicht die Zeit, die jemand verdient hät­-te. Das ist nur menschlich. Es wäre natür­lich pro­fessioneller, private Proble­me und Lau­­nen auszublenden. Aber so ticken wir hier nicht. Uns ist die Familienatmosphä­re sehr wichtig, und da spielen Emotio­nen eben im positiven wie im negativen Sin­ne mit rein. Solange man sich nachher entschuldigt, ist alles gut.

Übernehmt ihr gegenüber Kund:innen auch Führung?
David: Ja. Unsere Auftraggeber:innen er­warten von uns zunehmend eine Art Füh­rung, besonders bei größeren Projek­ten. Sie buchen uns ja für unsere Expertise und Erfahrung – und hören dann entspre­chend auch auf unseren Rat.
Ina: Man sollte nicht in Kompetenzfel­der reinreden, von denen man keine Ahnung hat – aber wenn man sich besser auskennt, spricht nichts dagegen. Na­tür­­­lich muss man auch hier auf gute Kommunikation achten.

Dieser Artikel ist in PAGE 09.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

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