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Jürgen Siebert über die Hassliebe der Verlage zum Internet

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Lange Zeit sah es so aus, als warteten Zeitungen und Zeitschriften auf eine gute Fee, die sie von den dunklen Mächten des ­Digitalzeitalters befreien möge. Die Bö­se­wichter, das waren »das Netz«, »die Gratis­kul­tur«, »Presseähnlichkeit«, Face­book, Google oder die »Tagesschau«-App. Da aber das Internet nach zwanzig erfolg­reichen Jahren einfach nicht zu verschwin­den schien, spielten die deutschen Verlage widerwillig mit. Ein falsches Spiel. Denn wer einen neuen Freund in Wirklichkeit gar nicht mag, nicht mit ihm redet, nicht mit ihm streitet, der lernt ihn nicht kennen. Das ist besonders fatal, wenn der Freund talentiert ist und mit anderen, echten Kumpels überraschende Projekte in die Welt setzt.

Die Hassliebe zum Internet war kein Nährboden für Verlagsideen. Im Gegenteil. Beim Versuch, die Businessmodelle des Printjournalismus ins Netz zu zwängen, entstanden redaktionelle Unsitten, die als historische Irrtümer in die Me­di­en­geschichte eingehen werden: Hover Ads (Banner, die den redaktionellen Inhalt ver­decken), »Klickhuren« (Bildergalerien, die die Verweildauer eines Lesers erhöhen sol­len), SEO-optimiertes Schrei­ben (um redaktionelle Texte für die Goo­gle-Suche zu dopen), vertrollte Kommentarkultur (weil die Redaktion nicht moderiert), Bezahlschranken (Betonung auf »Schranke«) und immer wieder Banner, Banner, Banner …

Irgendwann hatten viele Zeitungen ihren Webauftritt derart verbrettert, dass sie keiner mehr fand. Und dummerweise bröckelte auch das Printgeschäft dramatisch … weniger Anzeigen, weniger Abo­n­nenten. Wie in Deutschland üblich, wenn ein Industriezweig durch unternehmeri­sche Misswirtschaft (oder Unvermögen) in die Krise gerät, sollte die Politik das mit Gesetzen klären. Medienhäuser forderten allen Ernstes eine Art Kulturab­gabe für ihre Ideenlosigkeit. Dabei sind Kleinstaaterei und lokale Lösungen die absolut falsche Antwort auf globale Her­ausforderungen.

Mit ihrer mehrmonatigen Selbstfindungsphase im Silicon Valley hat die Führungsetage des Axel Springer Verlags vor zwei Jahren ein Zeichen gesetzt und gezeigt, wo die Lösungen für den Wandel im Journalismus zu suchen sind: im Netz und mit dem Netz. Dabei standen in den Jahren zuvor alle Zeichen auf Konfrontation. Stichwort: Leistungsschutzrecht für Pres­severleger.

Ende April dieses Jahres verkündete Google, mit ihrer Digital News Initiative 150 Mil­lionen Euro in die Hand zu nehmen, um das angespannte Verhältnis zur europäi­schen Verlagsbranche zu beruhigen. Das Geld soll in den kommenden drei Jahren zur Förderung des digitalen Journalismus ver­wendet werden. In einer Ar­beits­grup­pe will Google mit acht Medienmar­ken ko­operieren, unter ihnen »FAZ«, »ZEIT«, »Guardian«, »El País«, »Les Echos« und »La Stampa«. Deren Einfluss könne durch­aus dazu führen, so ein Google-Spre­cher, dass der Internetkonzern eigene Produk­te wie das Portal Google News verändere.

Mitte Mai legte Facebook nach und kün­­digte mit Instant Articles eine Ko­opera­ti­on mit neun Medien an. Diese sollen künf­tig in der mobilen Facebook-App nicht nur Anreißer ihrer Beiträge veröffentlichen, son­dern komplette Artikel, Fotogalerien und Videos in visueller Spitzenqualität und zehntelsekundenschnell. In Deutsch­land beteiligen sich »Bild« und »Spiegel« mit ihren Digitalangeboten an Instant Arti­cles, in den USA sind die »New York Times«, »National Geo­graphic« und BuzzFeed dabei, in Groß­bri­tannien BBC und »Guardian«. Andere Me­dien können zu einem späteren Zeitpunkt aufspringen.

Bemerkenswert sind die Randbedingungen: Facebook bietet den Medien auch eine Vermarktung der Inhalte an. Verkaufen die Partner die eingebettete Werbung selbst, dürfen sie sämtliche Erlöse behalten. Werden die Anzeigen durch das Face­book-Werbenetzwerk besorgt, reicht der Internetkonzern 70 Prozent der Erlöse an die Medienhäuser weiter. Und sie erhalten von Facebook Informationen über das Verhalten der Leser.

Newsdesign umfasst das komplette Leseerlebnis einschließlich Navi­ga­tion und Ladetempo

Mit der Teilnahme an Instant Articles betonen die Verlage endlich, dass sie unter einer guten digitalen Veröffentlichung mehr verstehen als leidlich gestalteten Content. Newsdesign umfasst das komplette Leseerlebnis einschließlich Navi­ga­tion und Ladetempo. Dies alles in einen digitalen Container gepackt (inklusive Branding, Businessmodell, Statisti­ken et cetera), aufbereitet zur Veröffentlichung auf jeder beliebigen Website, ist seit 2009 der Traum des US-Medienberaters Jeff Jar­vis: die einbettbare Zeitung oder der Zeitungsplayer. Dieser kommt. Und er al­leine wird die bis dahin verbliebenen Zeitungen retten – ja sie aufblühen lassen.

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