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Digitale Gewaltenteilung, jetzt!

Unser Kolumnist Jürgen Siebert warnt vor zu viel Bequemlichkeit bei der Nutzung digitaler Services.

© Foto: Norman Posselt

Was ich partout nicht vertrage, sind Weihnachtslieder im Sommer. Zum Glück ist die Wahrscheinlichkeit, sie außerhalb der Saison im Radio oder einer Shoppingmall zu hören, praktisch null. Selbst meine digitale Musikbibliothek habe ich mit Metadaten und intelligenten Wiedergabelisten so erzogen, dass auch beim Shuffle-Play kein Christmas-Hit dazwischenrutscht. Nur Spotify kriegt das nicht hin. Fast täglich empfiehlt es mir Weihnachtslieder, nur weil ich letzten Dezember die Playlist »Best Xmas Hits of All Time« angelegt habe.

Eigentlich sollten wir froh sein, dass Big Data nicht so perfekt funktioniert, wie wir uns das manchmal aus Bequemlichkeit wünschen.

Der Angriff auf unser Verhalten ist heute schon so gravierend, dass es um mehr als Privatsphäre geht. Seit der letzten US-Wahl und dem Brexit wissen wir, dass die sozialen Netze unsere Gesellschaft herausfordern.

Die emeritierte Professorin der Harvard Business School Sho­shana Zuboff bezeichnet die kommende digitale Ökonomie als »Überwachungskapitalismus«: Die Wirt­schaft sei durch Google und Co von einem Bespitzelungsprojekt gekapert worden, das bewährte Marktmechanismen wie das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage untergräbt. In der Big-Data-Ökonomie geht es um das Geschäft mit dem kontinuierlichen Echtzeitfluss unserer Verhaltensdaten. Ihre Basis ist die Bereitstellung kostenloser Diens­te, die Millionen Menschen nutzen, wodurch die Anbieter wertvolle Informationen erhalten. Werbung und Mar­keting sind die Finanziers des Kreislaufs. Ihr gemeinsames Ziel: das Kundenverhalten analysieren, beeinflussen, verändern und Umsätze generieren, um die Services weiter zu verbessern.

Als Problem erweist sich die zunehmende Nutzung pro­prie­tärer Zusatzdaten durch Google und Co, was Informatiker gerne mit dem Etikett »maschinelle Intelligenz« verschleiern. Die­se dient im besten Fall dazu, vor möglichen Konflikten oder Gefahren zu warnen, etwa in Form von Stauvorhersagen vor den Schulferien. Viel spannen­der, weil kommerziell unendlich reiz­voll sind Prognoseproduk­te. Hersteller, die am Internet der Dinge mitbauen, setzen viel Geld auf die Vorhersage unseres Verhaltens. Noch schmunzeln wir über Kühlschränke, die automatisch Vorräte nachbestellen, oder über cloudvernetz­te Rektal­thermometer. Weit beängs­ti­gen­der ist die immer wieder geäußerte »Drohung« Amazons, früher als wir selbst zu wissen, was wir eigentlich kaufen möchten . . . um dies dann ohne Bestellung schon mal loszuschicken.

Die digitale Konsumentenüberwachung plus das zunehmen­de behördliche Datensammeln kann dazu führen, dass sich die Menschen in den westlichen Wirtschaftsnationen bald in zwei Gruppen wiederfinden: der Minderheit der Beobachter und der Mehrheit der Beobachteten. Dies bliebe nicht ohne tiefgreifen­de Folgen für die demokratische Balance, denn das Ungleichgewicht an Wissen führt automatisch zu einem Ungleichgewicht von Macht. Während durch die Gewaltenteilung in heutigen Demokratien die staatliche Macht beaufsichtigt und begrenzt wird, gibt es aktuell keine Kontrolle der privaten Datensammler.

Immerhin ist das Problem auf dem Radar der Politik gelandet. Die Datenschutz-Grundverordnung war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Eine Internetsteuer wäre keine Lösung, weil dann der Staat lediglich an einem ungesunden Treiben mitverdient, anstatt es zu beenden. Wollen wir hoffen . . . nein, lasst uns alle daran arbeiten, dass die digitale Überwachung nicht außer Kontrolle gerät. Das fängt bei den Sicherheitseinstellun­gen des Browsers an und endet beim Verzicht auf Bequemlichkeitsprodukte wie Alexa, Siri und Google. So, jetzt greife ich hinter mich und lege eine Langspielplatte auf.

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Hallo Jürgen Siebert,
    ebenso kann man auch gezielt Unsinn bei den Anwendungen betreiben… Ich würde mich nie auf ein Benutzerprofil verlassen oder mich darauf reduzieren wollen, dies tun Maschinen… Ich bin sicher es wird getan, okay wer sich den Menschen nicht mehr ansehen will..
    Medienanalysen als Einstellungsprofil… usw. was muss dass muss… ich halte nichts davon. Es bringt nicht mehr Sicherheit bei der Bewerberauswahl, nur Kosten. Ein persönlicher Eindruck und ein Gespräch sind aus meiner “alten” Sichtweise nicht ersetzbar.

    Christine

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