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Digital-Kompetenz: Was Arbeitgeber wollen!

Scrum, UX, ein paar Zeilen Code und viel soziale Empathie – was meinen Arbeitgeber eigentlich genau, wenn sie »Kreative mit Digitalkompetenz« suchen? Und wie eignet man sich die entsprechenden Skills am besten an?

Nachdem es in den ersten beiden Jahren der Pan­demie eher ruhig war auf dem Jobmarkt – Arbeitgeber hielten sich zurück bei Neueinstellungen, Beschäfti­g­te zeig­ten wenig Wechselwillen –, zieht die Kommunikationsbranche wieder an. Mitarbeitende werden gesucht, in Unter­nehmen ebenso wie in Agenturen. Fast 1500 Stellen sei­en zu besetzen, meldete der Gesamtverband Kom­mu­ni­ka­tionsagenturen GWA im Januar, vor allem in der Beratung sowie in den Bereichen »Tech­­nologie & Programmierung« und »Digitale Kommuni­kation«. Spricht man mit Personalberatungen und HR-Abteilungen über das Thema, steht bei der Suche nach guten Leuten Di­gi­talkompetenz ganz oben. Doch was bedeutet das genau? Dass Kreative kanal­übergreifend denken müssen, ist längst selbstver­ständ­lich. Welche konkreten Fähigkeiten sind es also, die sie zu den heiß umworbenen digitalen Talenten machen?

Digitale Kompetenz: Eine Mindset-Frage

»Digitale Kompetenz zeigt sich im Mindset, weniger in einzelnen Skills«, sagt Sebastian Vogt, Inhaber der Per­so­nalberatung get&keep in München. Daher funk­­tio­niere es auch nicht, sie von außen einzukaufen – viel­­mehr gehe es darum, sie im ganzen Unternehmen zu etablieren. »Agilen Arbeitsweisen gegenüber müssen sich alle öffnen, da reicht es nicht, wenn ich mir einen Projektmanager hole, der das übernimmt«, so Sebastian Vogt.

Sebastian Vogt

»Digitale Kompetenz zeigt sich im Mindset, weniger in einzelnen Skills«

Sebastian Vogt, Inhaber der Personalberatung get&keep in München

Trotzdem gibt es bestimmte Skills und Methoden, die Kreative mitbringen sollten, um eine digitale Kultur zu fördern: Kenntnisse im Design Thinking, Erfahrung mit iterativen Prozessen und Scrum. Außerdem hilft es, wenn auch Designer:innen ein gewisses Interesse für Programmiersprachen haben. »Sie müssen nicht selbst coden können, ein bisschen HTML lesen aber schon oder sich mal einen Online-Python-Kurs anschauen«, meint Sebastian Vogt. Arbeitgeber sieht er in der Pflicht, ihr Team zu ermutigen und Zeit und Budget freizuräumen – für entsprechende Fortbildungsprogramme, aber ausdrücklich auch, damit die Mitarbeitenden niedrigschwellig und hands-on in verschiedene Technologien und Anwendungen hineinschnuppern können.

 

Digitale Weiterbildung: Learning on the Job

In vielen Agenturen gibt es Weiterbildungsbudgets, und Personalabteilungen oder Teamleads helfen dabei, die passenden Programme zu finden. Dennoch: »Digitale Weiterbildung basiert auf eigenem Antrieb, wir fordern unsere Mitarbeiter:innen auf, sie aktiv mitzugestal­ten«, sagt Julia Hofstetter, zuständig für People & Culture bei hw.design in München. Auch sie ist auf der Suche nach Kreativen mit Digitalkompetenz. In ihrem Verständnis sind das Personen, die vernetzt denken und Marken ganzheitlich konzipieren können. »Klar ist es hilfreich, wenn jemand animieren oder Code lesen kann.« Im Vergleich zu einem grundlegenden Marken- und visuellen Verständnis sei das aber zweitrangig. Deshalb stellt sie auch nach wie vor am liebsten Leute ein, die Kommunikationsdesign studiert haben, und nicht etwa Informatiker. »Leider wird an den Designhochschulen kein besonders gutes digitales Mindset vermittelt«, findet Hofstetter. Da gebe es viel Nachholbedarf on the Job.

Julia Hofstetter

Digitale Weiterbildung basiert auf eigenem Antrieb, wir fordern unsere Mitarbeiter:innen auf, sie aktiv mitzugestal­ten

Julia Hofstetter, zuständig für People & Culture bei hw.design in München

Gute Erfahrungen hat hw.design mit einem Mix aus externen Seminaren, Mentoring und dem Dialog in der Agentur gemacht. Als Tipps nennt Julia Hofstetter etwa das Bootcamp bei Ironhack Berlin, die Zukunftswerkstatt von Google (eher für Projektmanage­r:innen) oder die Angebote der Typographischen Gesellschaft München zu unterschiedlichen Themen. Dazu kommt der interne Dialog, der vor allem deshalb hilfreich sei, weil hw.design ausschließlich agil arbeitet und bei allen Projekten von Anfang an alle Beteiligten mit am Tisch sitzen beziehungsweise sich über Tools wie Miro, Figma, Google Meet oder Slack austauschen. Ein sicherer Umgang mit diesen Anwendungen ist für die HR-Managerin Voraussetzung und somit ein Basic Skill für Co-Crea­tion-Prozesse. »Durch die agile Herangehensweise an unsere Projekte lernen die Designer:innen von Anfang an auch, was technisch möglich ist, und bekommen ein besseres Verständnis für die Umsetzung durch das Development-Team«, erklärt Hofstetter.

Personalberater Thomas Lüdeke von der Beratungs­firma PRCC in Düsseldorf spricht von Schnittstellenkompetenz – ein unumgänglicher Digital Skill, wenn es um die Konzeption, Gestaltung und Kommunikation von Marken geht. Auch für ihn ist ein digitales Mindset das Wichtigste. »Den einen Digital Skill gibt es nicht, eher muss man sich darauf einlassen, stetig dazuzulernen«, sagt Lüdeke. Heißt: offen sein gegenüber neuen Technologien, Anwendungen und Programmen und diese auch wirklich ausprobieren. Seminare bei den Plattformen selbst, etwa einen Crashkurs zum LinkedIn-Algorithmus oder ein Google-Ads-Seminar, seien gute Möglichkeiten, sich digital fit zu halten.

Fokus auf Aufgaben statt Job-Titel

Bei den Stellen, die Thomas Lüdeke momentan vor allem in den Bereichen Unternehmenskom­munikation und Marketing besetzt, werden nach wie vor Erfahrungen im Social-Media-Manage­ment, in Content Creation sowie CRM-System-Kenntnisse gesucht – wobei der ausgeschriebe­ne Jobtitel oft wenig aussagt. »Kreative, die sich ernsthaft für ein Unternehmen interessieren, sollten sich nicht auf eine Stellenanzeige verlas­sen, sondern mit dem potenziellen Arbeitgeber in den Austausch gehen, um mehr über das Anforderungsprofil herauszufinden«, rät er.

Ähnlich sieht es Torsten Haase, Lead Re­­cruit­ment Consultant UX/UI Design bei der Personalvermittlung Designerdock in Berlin. »Man­che Ar­beitgeber wissen zu Beginn selbst nicht, was sie eigentlich suchen, wenn sie Jobs mit ›Digitalfokus‹ ausschreiben.« In ihrer Wunsch­vor­stellung könnten diese Designer:innen dann Marken strategisch und visuell entwickeln und seien gleichzeitig fit in Sachen UX oder UI, sie könnten Wireframes bauen und Prototypen erstellen, animieren, qualitative und quantitative Research durchführen, A/B-Tes­tings machen, User-Interviews führen und am besten noch zu einem gewissen Anteil auch selbst programmieren.

Torsten Haase

Man­che Ar­beitgeber wissen zu Beginn selbst nicht, was sie eigentlich suchen, wenn sie Jobs mit ›Digitalfokus‹ ausschreiben.

Torsten Haase, Lead Recruitment Consultant UX/UI Design bei Designerdock in Berlin

»Solche hybriden Talente, die das alles in gleicher Qualität erfüllen, gibt es aber selten bis gar nicht – und wenn, dann sind sie sehr teuer«, erklärt Torsten Haase. Arbeitgebern rät er, eher zwei Leute einzustellen, und Talente bestärkt er darin, sich ein generalistisches Verständnis von Markenführung anzueignen, dabei den Fokus auf die wichtigen Skills wie UX- und UI Design aber nicht zu verlieren. Außerdem seien Fähigkeiten im Bereich Social Media, Animation und Bewegtbild aktuell sehr gefragt, ergänzt Kristin Louis, Geschäftsfüh­rerin bei Designerdock in Berlin.

Auch Konzerne suchen Digitalkompetenz

Baha Jamous, Vice President Marketing & Communications bei der Solarisbank, die 2016 als komplett di­gi­tal agierende Direktbank an den Start ging, hat 2021 sein Team vergrößert. Trotz der klaren digitalen Ausrichtung war es eine Herausforderung, die richtigen Leu­te zu fin­den. Zum einen brauchte Jamous Personen, die in den Themen SEO, Blog-Content und Google Ads fit sind­, sich mit Monitoring und mit KPIs auskennen. Zum anderen ist in Jamous’ Abteilung das Brand-Marketing-Team der Solarisbank angesiedelt. Hier sind Visual-De­signer und -Designerinnen gefragt, die die Marke weiterentwickeln, aber auch Landingpages bauen oder Videos und Infografiken erstellen können. »Außerdem soll jeder im Team zumindest verstehen, welche Auswirkungen ein Algorithmus auf die von ihm erstellten Inhalte hat«, sagt Baha Jamous.

Grundsätzlich ist eine Affinität zu Digitalität und Daten zunehmend wichtig für Kreative, das bestätigt auch Nick Marten, Head of Content und Editor in Chief bei StepStone. Redakteur:innen und Content-Mana­ge­r:in­nen, die er auf Mid-Level einstellt, sollten bereits ein Gespür für Erfolgsmessung mitbringen und die gängigen Analysetools kennen. Cross­mediale Formate und Animationen gehören in der heutigen Markenwelt ebenfalls dazu. Ju­nio­­ren müssen diese Fähigkeiten nicht zwangsläu­fig vorweisen, sollten aber mindestens neugierig sein, um dann on the job zu lernen. Das gilt auch für die Designer:innen in Martens Team. Motion Design oder User Experience sind zwei Schwerpunk­te, an denen das StepStone-Content-Team gro­ßes Interesse hat – wobei er den Druck auf Kan­didat:innenseite gerne herausnehmen würde. »Den All­rounder, der von Tag eins an alles kann, was man in einem Job braucht, gibt es nicht – viel wichtiger sind Austausch, die Lust auf neues Wissen und stetiges Lernen«, sagt Nick Marten. Von rein theo­reti­schen Weiterbildungen hält er wenig und setzt daher eher auf interne Coachings, Coffee Dates oder Hos­pi­tationen in verschiedenen Teams.

Nick Marten

Den All­rounder, der von Tag eins an alles kann, was man in einem Job braucht, gibt es nicht – viel wichtiger sind Austausch, die Lust auf neues Wissen und stetiges Lernen.

Nick Marten, Head of Content und Editor in Chief bei StepStone

Usability-Verständnis und Sozialkompetenz

Bei der Digitalagentur denkwerk gibt es keine einheitli­chen Jobbezeichnungen, dafür veränderten sich die Auf­gaben viel zu schnell, so Design Director Alina Schlaier. Designer und Designerinnen, die sich bei der Agentur mit Sitz in Berlin, Köln und München bewerben, müssen neben visuellen und ästhetischen Grundlagen vor allem Know-how in Sachen Usability und ein Verständ­nis für digita­le Produktentwicklung mitbringen. An den Hochschulen, das findet auch Schlaier, spiele das eine zu geringe Rolle. Denkwerk-Junioren nutzen deshalb gerne die Kurse der awwwards Academy, und Seniors werden bei IDEO U fündig, wo der Fokus eher auf Design Thinking und Crea­tive Leadership liegt.

Darüber hinaus setzt denkwerk auf den internen Wis­sens­transfer – und definiert daher die Sozialkompetenz als wichtigen Digital Skill. Den aktuellen Anforderungen gewachsen sind diejenigen, die sich auf den Dialog mit den verschiedenen Disziplinen einlassen können, die also Programmierer:innen genauso gut verstehen wie Kundenberater:innen – und die merken, wenn etwas unklar ist, und dann einhaken, statt die Störstelle unter »nicht mein Zuständigkeitsbereich« zu verbuchen. »Man muss heute mehr denn je in der Lage sein, seine Fragen so zu formulieren, dass man schnell zum Ziel kommt und Missverständnisse an den Schnittstellen, etwa zwischen Design und Programmierung, vermeidet«, so Schlaier. Um den Austausch zu fördern und die Sozialkompetenz zu stärken, finden in der Agentur beispielsweise regelmäßige »KreatiFrühstücks«, Tech­Talks und UX-Meetings statt.

Offenheit für solche Formate, ein eigener Antrieb, neue Technologien auszuprobieren und die Zeit dafür dann auch einzufordern, sowie ein sicherer Umgang mit agilen Projekten – das sind Digitalkompetenzen, die Kreative wertvoll machen, sowohl für Agenturen als auch für Unternehmen. Bei allen weiteren Skills gilt: focus and learn.

»Die Auseinandersetzung mit Code eröffnet ganz neue Denkräume«

Tim Rodenbröker (oben) ist Designer und betreibt eine digitale Lernplattform für Creative Coding und Computational Thinking inklusive einer weltweiten Community. Cyrill Kuhlmann, Art Director in Köln und Gründer von COPE Studio in Hamburg, war von Anfang an dabei. Hier sagen die beiden, was Digital­kompetenz für sie bedeutet und wie man sie sich aneignet.

Müssen alle Kreativen heute coden können?
Cyrill Kuhlmann: Ich würde jede Designerin und jeden De­si­gner dazu ermutigen, sich mit Code zu beschäftigen, schon al­lein, weil dies ganz neue gestalterische Möglichkeiten er­öff­net: von interaktiven Anwendungen über dreidimensionale Bildwelten bis hin zu Augmented-Reality-Experiences und künstlicher Intelligenz. Hinzu kommt, dass Gestaltung aus Pers­pek­tive der Effi­zienz langfristig gar nicht mehr anders abzubilden ist. Ein gutes Beispiel sind Designgeneratoren, die in den vergangenen Jahren immer besser geworden sind und oft eine Konkurrenz für handwerkliches Grafikdesign darstellen. Im besten Falle programmiert man diese daher selbst (lacht). In einer Zeit, in der die Kreativbudgets immer knapper werden, ist dieser Skill von Vorteil.
Tim Rodenbröker: In Zeiten rapider Digitalisierung ist die Auseinandersetzung mit Code für Kreative absolut sinnvoll. Es öffnet ganz neue Denkräume, nicht nur im Sinne von Gestaltung. Für meinen Geschmack ist die ganze Grafikdesignbran­che noch viel zu konservativ. Dabei ist mir schon bewusst, dass es eine sehr große Herausforderung ist, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Creative Coding ist jedenfalls eine effektive Denkschule für Digitalkompetenz. Hier werden Skills trainiert, die weit über technisches Handwerk hinausgehen.

Was lernen die Teilnehmer:innen deiner Kurse?
Rodenbröker: Beim Creative Coding geht es um den kreati­ven, visuellen Output und weniger um den technischen Nutzen. Mit Kursen wie etwa »Bauhaus Coding« oder »Grid Systems« biete ich ein auf Gestalter:innen zugeschnittenes Curriculum an, das helfen will, niederschwellig in die komplexen Themen hineinzufinden. Dabei ist es mir sehr wichtig, Orientierung zu schaffen und die Lernenden miteinander zu verbinden.
Kuhlmann: Was mich an Tims Angebot fasziniert, ist die Verbindung aus Kursformaten und seiner Community auf Discord. Es heißt nicht umsonst, dass man im Austausch am besten lernt – und hier tauschen sich Leute aus, die sich mit der Zukunft unserer Branche beschäftigen wollen.

Wie verändert sich die Rolle von Designer:innen mit diesen neuen Herangehensweisen?
Kuhlmann: Wir sind immer weniger Gestalter:innen eines einzelnen grafischen Artefakts, sondern werden zu Kura­to­r:innen eines visuellen Outputs – generiert von Algorithmen. Das gestalterische System rückt in den Vordergrund und wird als solches an Kunden verkauft.
Rodenbröker: Ich glaube, dass sich an vielen Stellen der Creative Technologist durchsetzen wird – ein neuer Typus von Gestaltenden, die so viel von Technologie verstehen, dass sie entweder als Bindeglied zwischen Kreativität und Technik agieren oder sogar selbstständig eigene Lösungen umsetzen können. Viele Agenturen suchen schon nach diesen Creative Technologists, da tut sich eine ganze Menge!

Was sind für euch die wichtigsten Digital Skills?
Kuhlmann: Das Verständnis für Programmiersprachen und die Fähigkeit, sich mit Begeisterung in Systeme einzuarbeiten. In Umgebungen wie Processing, p5.js, Python oder Program­me wie Adobe Aero und Blender – ich habe einfach Freude daran, deren Möglichkeiten mit meiner gestalterischen Handschrift, meinem visuellen Verständnis zu verbinden.

Rodenbröker: Technologie entwickelt sich wahnsinnig schnell, und ich glaube, dass es in Zukunft vor allem auf die Soft Skills ankommt: Lernfähigkeit, Selbstmotivation, Proaktivität, Sys­temdenken, Flexibilität und Kommunikation. Creative Coding trainiert viele dieser Fähigkeiten.

Cyrill Kuhlmann
Cyrill Kuhlmann

Dieser Artikel ist in PAGE 05.2022 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 5.2022

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