
Designlehre: Fit for the Future
Das Berufsfeld Design ist im ständigen Umbruch – und das Designstudium muss mitziehen. Was sollten Hochschulen heute vermitteln? Und was nicht mehr?
Designhochschulen: Interdisziplinär arbeiten
Auch der Wunsch nach mehr interdisziplinärem Arbeiten im Studium wird oft geäußert. Damit ist nicht die Zusammenarbeit mit anderen Designdisziplinen gemeint, die an den meisten Hochschulen relativ selbstverständlich betrieben wird, sondern die Kooperation mit anderen Fachgebieten wie Informatik, Medizin oder Musik. »Wir müssen raus aus der Designblase und mit mehr Nichtdesigner:innen zusammenarbeiten«, so Stefan Bufler.
Am besten lässt sich das über gemeinsame Projekte und Kooperationen bewerkstelligen. An der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen hat Stefan Wölwer, Professor für Interaction Design, zum Beispiel einige Projekte gemeinsam mit der Fakultät für Soziale Arbeit und Gesundheit realisiert, etwa zu der Frage, wie man schulabsente Jugendliche zurück in die Schule bringen könnte. Dafür mussten sich die angehenden Designer:innen und Sozialpädagog:innen erst einmal richtig verstehen. »Bei solchen Projekten lernen wir alle viel: über andere Disziplinen, aber auch über unsere eigene – und welche Rolle wir in der gemeinsamen Arbeit einnehmen können«, so Wölwer. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen lernen Studierende die für ihr späteres Berufsleben so wichtige Kommunikations- und Teamfähigkeit.
Designlehre: Auf die Berufspraxis vorbereiten
Projektbasiertes Lernen ist in den Designstudiengängen etabliert – allerdings gibt es unterschiedliche Auffassungen über die ideale Art von Projekten. Während René Spitz, Leiter des Studiengangs Media Design an der Rheinischen Fachhochschule Köln, dafür plädiert, nur reale Projekte mit echten Kund:innen umzusetzen (siehe Interview auf Seite 98 f.), achtet Pascal Kress explizit darauf, keine Auftragsarbeiten für die Wirtschaft zu machen, wenn es darum geht, Marktpreise zu unterschreiten. Lieber setzt er auf Kooperationen mit anderen Studiengängen oder NGOs. Ähnlich Stefan Bufler, der mit seinen Studierenden in Augsburg vornehmlich Aufträge aus dem kulturellen Bereich umsetzt, wo die Budgets niedrig sind und die Hochschule nicht in Konkurrenz zu professionellen Designern tritt. Stefan Wölwer ist im Hinblick auf Kooperationen mit der Wirtschaft vor allem die Balance wichtig: »Angewandt gestalten müssen die Absolvent:innen im Job noch zur Genüge. Deshalb versuche ich immer, ihnen Freiraum zu bieten – zum Beispiel mit Speculative Design, das in den Unternehmen in dieser freien Form nicht mehr stattfindet.«
Um eine weitere Perspektive aus der Praxis zu bekommen, hat die Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW den Austausch mit der Kreativwirtschaft in Form eines Fachbeirats institutionalisiert. »Für das Institut Visuelle Kommunikation ergibt sich daraus ein Außenblick, der eine kritische Diskussion über unsere Aktivitäten in Gang setzt und uns ermöglicht, ›besser‹ zu werden«, so Michael Renner. Der Fachbeirat tagte im April 2021 das erste Mal, der Bericht steht noch aus.
Bei der Vorbereitung aufs Berufsleben sollte man allerdings nicht zu eng denken. »Der Anspruch einer guten Designlehre geht über den einer Ausbildungsstätte hinaus«, sagt Stefan Bufler. »Hochschulen können und sollten Impulsgeber für die Designwirtschaft sein.« Hier habe man den Luxus, Grundsatzfragen zu stellen, für die im laufenden Betrieb einer Designagentur oft wenig Platz ist. »Es geht nicht nur darum, die nächste Generation fit für den Job zu machen, sondern sie dazu zu befähigen, die nächste Generation von Jobs neu zu erfinden«, erklärt Bufler.
Was an fast allen Hochschulen fehlt, sind allerdings Kurse zu Themen wie Selbstständigkeit und Betriebswirtschaft, die besonders zum Ende des Studiums für viele interessant wären – und notwendig, damit sie sich nicht unter Wert verkaufen und mündig in den Beruf starten. Pascal Kress, der neben seiner Lehrtätigkeit als Grafikdesigner arbeitet, versucht diesen Mangel durch Fragerunden mit seinen Studierenden auszugleichen – etwa dazu, wie man Angebote schreibt oder vor Kund:innen präsentiert.
Und was ist mit gestalterischem Handwerk?
Gestalterische Fertigkeiten sind nach wie vor eine wichtige Basis, stehen aber nicht mehr im Zentrum der Designtätigkeit: So lautet ein Fazit der internationalen Untersuchung zum Designstudium der iF Design Foundation (siehe Seite 98 f.). Sollte man sie also daraus entfernen? Ganz so drastisch sehen es wenige, allerdings verändert sich der Stellenwert – und die Definition dessen, was dazugehört. »Die wichtigsten Grundlagen sind letztlich Designmethoden«, sagt Stefan Wölwer. Daher lernen an der HAWK alle Gestaltungsrichtungen in einem gemeinsamen Grundstudium Methoden wie User Journey Mapping oder den Double-Diamond-Prozess. »Manche Studierende sind anfangs skeptisch – aber am Ende merken alle, dass man mit guter Methodik zu viel besseren Ergebnissen kommt«, so Wölwer. Auch Pascal Kress interpretiert gestalterische Grundlagen breiter: »Programme zu bedienen und typografische Regeln zu kennen ist Mittel zum Zweck. Studierende sollten vor allem lernen, Inhalte visuell zu spiegeln, und dafür geeignete Werkzeuge und Medien parat haben.«
Es sei nicht nur wichtig, künstlerisch-gestalterische Fähigkeiten zu vermitteln, sondern auch, ihre Bedeutung für Transformationsprozesse klarer zu machen, findet Stefan Bufler. »Ästhetik wird heute oft abgetan, als wäre Design nur dann eine ernsthafte Profession, wenn die Form keine Rolle spielt. Aber Gestaltung ist wirkmächtig! Ästhetik verleiht Inhalten Ausdruck und Gewicht. Es geht nicht um L’art pour l’art.« Deshalb sei ein breites Repertoire an Techniken der Entwurfspraxis – analog wie digital – nach wie vor essenzieller Bestandteil des Designstudiums. »Zeichnen ist nicht nur in der Illustration zu Hause, sondern auch ein wichtiges Instrument, um Designkonzepte zu visualisieren und Prozesse zu dokumentieren«, so Bufler.
Mit YouTube lernen
Neben klassischen Gestaltungstechniken und Programmen wie Adobes Creative Suite kommen gefühlt jeden Monat neue Technologien dazu. Seien es 3D-Tools wie Blender oder Cinema 4D, Realtime- und Game Engines wie Unity und Unreal, Design- und Prototypingsoftwares wie Figma oder Sketch: Es ist unmöglich, alle modernen Tools in einem einzigen Studium zu lernen. Aber Studierende sollten zumindest ein Grundverständnis dafür bekommen, welche Programme es gibt und was man mit ihnen machen kann. Wie tief sie einsteigen wollen, können sie dann selbst entscheiden.
Für diese vertiefende Beschäftigung sind die Hochschulen aber vielleicht nicht mehr der richtige Ort. Die meisten Tools lassen sich heutzutage am besten mit YouTube-Tutorials lernen. Während es im Kurssystem schwierig sein kann, auf die aktuellsten Entwicklungen einzugehen, sind die Experten auf YouTube immer up to date. René Spitz ist sogar dafür, alle Fähigkeiten, die man sich online aneignen kann, komplett aus der Lehre zu nehmen. Auch wenn man nicht ganz so weit gehen will, ist klar, dass Hochschulen nicht alles abdecken können. Was sie aber sehr wohl vermitteln können, sind Aneignungskompetenzen, also die Fähigkeit, sich eigenständig im Rahmen von Projekten die Skills anzueignen, die es dafür braucht – oder zu wissen, welche Expert:innen man hinzuziehen muss. Denn auch im Berufsleben kann keine:r alles, Designer:innen arbeiten immer im Team und holen sich das entsprechende Know-how je nach Anforderung mit ins Boot – oder lernen es mit YouTube-Tutorials.
Designlehre im Wandel: Dranbleiben
Die Designlehre befindet sich im stetigen Wandel. Dabei muss man aber nicht immer gleich am großen Rad drehen: »Der größte Hebel ist immer noch die Lehre selbst. Entscheidend ist, was in den Seminaren passiert«, sagt Stefan Bufler. Lehrende könnten in ihren Kursen schnell auf aktuelle Entwicklungen reagieren und neue Inhalte oder Formate integrieren. »Man muss nicht den gesamten Lehrplan auf den Kopf stellen, um Studienangebote weiterzuentwickeln. Aber es sollte auch immer die Offenheit für Richtungskorrekturen geben.«
Laut Hochschulberaterin Petra Kern wäre es zudem wichtig, die Fachbereiche mehr zu differenzieren und zu profilieren: »Es gibt circa 510 Designstudiengänge in Deutschland – und alle beschreiben sich weitestgehend gleich. Sicherlich gibt es in der Realität eigenständige Angebote und Schwerpunkte – aber sie werden einfach nicht ausreichend kommuniziert. Dabei gäbe es viele Möglichkeiten, Akzente zu setzen und das Profil zu schärfen.«
Das trifft besonders auf die Masterstudiengänge im Design zu. Hier fehlt es sowohl an einer allgemeinen Übersicht als auch an einer klaren Abgrenzung untereinander. Dabei bietet ja gerade das Masterstudium die Möglichkeit, »die Entwurfspraxis zu vertiefen, das Entwerfen als forschende Tätigkeit zu verstehen und angrenzende Wissensfelder zu erschließen«, wie Michael Renner sagt. Also alles, wofür im Bachelor keine Zeit ist. Zum Schluss noch ein wichtiger Appell von Stefan Bufler: »Bei aller Ernsthaftigkeit dürfen die Leichtigkeit und Spielfreude nicht verloren gehen! Wenn man nur noch tiefe Diskurse führt, verschwindet die Magie.« Das gilt für das Studium ebenso wie für den Designberuf an sich.
Was können wir, was andere nicht können?
In einem Projekt an der Hochschule Augsburg suchten Kommunikationsdesignstudierende nach einer Definition für ihren künftigen Beruf
Wie breit das Verständnis von Kommunikationsdesign inzwischen ist, zeigen die Ergebnisse des Projekts »FuturInventur KD«, das Professor Stefan Bufler im Wintersemester 2020/21 in der Fachwerkstatt Identity Design an der Hochschule Augsburg durchführte. Ziel des Seminars war es, gemeinsam mit externen Partnern auszuloten, welche beruflichen Möglichkeiten es jenseits der traditionellen Pfade für Kommunikationsdesigner:innen gibt und welche Kompetenzen sie dafür benötigen. Das Interesse an dem Projekt war laut Bufler sehr hoch. Im Seminar kristallisierten sich fünf Kernkompetenzen für Kommunikationsdesigner:innen heraus:
- Vermitteln. Für diese Tätigkeit braucht es Kommunikationsstärke, didaktische Fähigkeiten, Empathie, Lust auf Teamarbeit und Visualisierungsskills.
- Vorausdenken. Hierfür muss man Kontexte verstehen, ein breites Allgemeinwissen haben, neugierig sein und ein gutes Vorstellungsvermögen besitzen.
- Entwickeln. Dazu braucht es Techniken der Ideenfindung, Konzeptionsstärke, Kooperationsfähigkeit, handwerkliche und technische Fertigkeiten, Prototyping- und Produktionskenntnisse sowie Organisationsvermögen und die Fähigkeit, Kreativprozesse zu gestalten.
- Vernetzen. Freude an Kontakten, Zugewandtheit, Kommunikationsstärke, Verlässlichkeit sowie eine strukturierte Denk- und Arbeitsweise sind für diesen Aspekt des Berufs notwendig.
- Verwandeln. Unter diesem Stichwort summierten die Teilnehmenden die künstlerisch-gestalterischen Aspekte der Designtätigkeit, für die es assoziatives und disziplinübergreifendes Denken braucht ebenso wie Freiräume für Spiel und Überraschung sowie die Fähigkeit, Emotionalität und Sinnlichkeit zu erzeugen.
Die Ergebnisse des Seminars fassen die Studierenden derzeit in einer Dokumentation zusammen.
Interdisziplinäre Forschungslabore
Biotechnologie, Nachhaltigkeit, KI und Robotik: Die BurgLabs dienen als Schnittstelle zwischen Design und den Natur- und Geisteswissenschaften
Seit dem Wintersemester 2020/21 haben Kunst- und Designstudierende der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle die Möglichkeit, im BioLab, XLab und SustainLab disziplinübergreifend zu forschen. »Die BurgLabs sind wie unsere anderen Werkstätten dazu da, (neue) Technologien und Materialien zu erkunden und mit ihnen zu arbeiten. Nur handelt es sich dabei eben nicht um Papier oder Holz, sondern um Biotechnologie, künstliche Intelligenz, Robotik und Umweltwissenschaften«, erklärt Mareike Gast, Professorin für Industriedesign.
In Zusammenarbeit mit Spezialist:innen der jeweiligen Forschungsbereiche lernen die Studierenden hier interdisziplinäres Arbeiten und die Auseinandersetzung mit anderen Fachbereichen kennen. Die Lab-Mitarbeiter:innen verfolgen eigene Forschungsprojekte, stehen den Studierenden aber auch bei ihren Entwurfsprojekten als Expert:innen und zum Sparring zur Verfügung. Im XLab beschäftigt sich Alexa Steinbrück beispielsweise mit der Darstellung und Sichtbarmachung von künstlicher Intelligenz. Die Labs stehen allen Fachbereichen der Hochschule offen. Kooperationen mit anderen Institutionen sowie regionalen mittelständischen Unternehmen sind bereits im Aufbau.
Wohin zum Master?
Jil Pesch entwickelte im Rahmen ihres eigenen Masterprojekts eine Informationsplattform für deutsche Designmasterstudiengänge
Die Masterquote ist im Design relativ gering – die meisten Absolvent:innen starten gleich nach dem Bachelorabschluss ins Berufsleben. Das könnte auch daran liegen, dass die deutschsprachige Masterstudiengangslandschaft recht unübersichtlich ist und es keine zentrale Anlaufstelle gibt, um sich zu informieren. Bisher zumindest. Jil Pesch entschied sich nämlich, ihr Masterprojekt an der Hochschule Düsseldorf genau diesem Mangel zu widmen. Sie entwickelte mit »Master Design« eine digitale Informationsplattform für Studierende auf der Suche nach dem richtigen Aufbaustudium. Zum Start trug sie Informationen zu vierzig staatlichen Hochschulen in Deutschland zusammen. Eine Bewertung gibt es nicht – Interessierte sollen sich objektiv informieren und entscheiden können. Das Backend- und Frontend-Development stammt von der Medieninformatikstudentin Saeideh Safat Zadeh. Die Website ist seit Anfang Juli unter www.master-design.education online – noch mit leicht reduziertem Funktionsumfang. Demnächst sollen auch Hochschulen aus Österreich und der Schweiz dazukommen.
Dieser Artikel ist in PAGE 08.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.