Viel Trubel um die Süpergrüp, viele Gedanken über den Gestalter als Entscheider und die Zukunft des Designs und am Ende Privates von David Bowie: Wie durch etwas Reibung packende Ideen sprühen, zeigte die TYPO Berlin.
Gleich zu Beginn der TYPO Berlin 2016 beschwor Maria Giudice von Autodesk in San Francisco die Rolle des Gestalters als DEO, als Design Excecutive Officer, einen Strategen, der nicht nur kreative, sondern auch unternehmerische Probleme löst – und dabei zwar in der Chefetage, aber nicht in traditionellen Rollen agiert.
Dazu brauchte man einzig die Tools, die man als Designer sowieso an der Hand hat: Kreativität, strategisches Denken, Intuition und Leidenschaft – und all diese sollte eine neue Generation von Designern für die Veränderung der Gesellschaft nutzen und die Lösungen dabei nicht in Meetings, sondern vor allem im Leben selbst suchen.
Macht Euch die Hände schmutzig und seid dabei ganz ihr selbst,
forderte sie so leidenschaftlich wie sehr amerikanisch und dazu baumelte Prince’s Symbol als Kette um ihren Hals.
Wie immer gab es zahlreiche Portfolio Präsentationen im TYPO-Programm, charmant vorgetragen und sehr inspirierend. So britisch-nerdig wie pointiert führte Mr. Bingo durch seine Hate Mails in denen er per Auftrag fremde Leute beschimpft und auch sein Mail-Art-Projekt, in dem er das Briefmarken-Konterfei der Queen mit leicht unanständigen Unterleibern versieht.
Field aus London zeigten ihr wunderbar fließendes und hoch ästhetisches Motiondesign, Mucca aus New York ihre Typo-starken Brandings und Lava aus Amsterdam ihre mitreißenden Kampagnen in Holland und dem Rest der Welt. Nadine Chahine bewies, wie packend die Beschäftigung mit Schriftgrößen, Schriftschnitten und Kontrasten sein kann und vor welche Herausforderungen einen die Gestaltung für Interfaces und Devices wie für Elon Musks Tesla stellt, der mit einem riesigen Touchscreen ausgestattet ist, der während der Fahrt bedient wird.
Der kurze, flüchtige Blick ist die neue Währung
sagte Chahine und erklärte, warum die perfekte Schrift für das schnelle Erfassen auf Devices eine Frutiger, 4mm und in Schwarz auf Weiß ist – erforscht durch Eyetracking und gemeinsam mit dem MIT AgeLab.
Besonders interessant wurde es immer auch dann, wenn es um grundsätzliche Fragen, um Haltung und den Status quo von Design – und dabei Leidenschaft vielleicht auch in ein wenig Empörung umschlug und die Argumentationskette befeuerte:
Hello Future, goodbye Design! nannte Jochen Rädeker von Strichpunkt seinen Talk – und stellte erst einmal fest, wie es sich über das Motto der TYPO, Beyond Design, aufgeregt hatte. Das kam von Johannes Erler, Kopf der Süpergrüp, einer brandneuen Gestalterallianz von Größen wie Erik Spiekermann, Mirko Borsche, Mario Lombardo, Sarah Illenberger, Eike König und Lars Harmsen. Auf der Typo sehr präsent – wenn auch nicht unbedingt in den Talks ihrer Kollegen – gestaltete die Süpergrüp am Freitag den Thementag Stricly no Design, an dem sie auf eine der Typo-Bühnen Gäste, die nicht aus der Gestalter-Szene kommen, einlud.
Rädeker wählte provokante Worte, spickte alles mit viel Rhetorik – und am Ende waren sich dann doch alle einig: Dass Design natürlich nicht tot ist, Gestalter immer schon Changemaker waren – und dazu machte er an mehreren Punkten klar, wie die Zukunft des Design aussehen sollte:
Ohne Autoren-Design, dass von der Co-Creation abgelöst wird, ganz wie die Ästhetik durch das Denken. Statt dem Dogma der Ulmer Schule, Form Follows Function, zu folgen, gehe es viel mehr um Haltung und darum, Dinge sichtbar zu machen – und vor allem auch mal Nein zu Aufträgen zu sagen.
Überlegt Euch für was ihr eure Kräfte als Designer einsetzt
forderte Rädeker, dazu ein Design, das überrascht und
Code mit Content,
der in Zeiten des Big Data Informationsströme sichtbar und öffentlich macht.
Er erklärte das Ende der Marke im klassischen Sinn und, dass die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik markenprägend wird und das Interface zur Marke. Schließlich dann rief er das Ende des Endes aus und zeigte, was für inspirierende Funken ein wenig Wut und der Wille zum Widerspruch schlagen können.
Als die vielgepriesene Süpergrüp mit Borsche, Lombardo, Illenberger und Harmsen dann schließlich auf die Bühne kam, viel zu lange Showreels abspielte und beim anschließenden Quiz lustige Filmchen und eigene Arbeiten zeigte, Mario Lombardo zu Geigenklängen und flackernden Duftkerzen aus seiner Alphabet Collection Poesie vorlas, zeigte sich die Süpergrüp erst einmal weniger als Club der Visionäre sondern vielmehr als Verein von Verkäufern.
Dieser Eindruck wirkte sich am nächsten Tag dann auf der Süpergrüp-Bühne aus, als bei Talks mit so spannenden Projekten wie Cucula, einem Unternehmen von und mit Flüchtlingen, die Designklassiker bauen, nur weinige Besucher waren. Das Interesse stieg erst als Musiker Nils Frahms, der den Soundtrack zu dem preisgekrönten Berlin-Drama Victoria schrieb, sich über Inspiration und das Komponieren unterhielt und der Dresdner Dramaturg Robert Koall von dem das Buch Mein Kampf gegen Rechts stammt, über Haltung sprach, die Stimmung in Dresden, über fatales Stadtmarketing gegen Rechts, das sich, angereichert mit »Cognacbohnenhumor« selbst als naiv-rassistisch outete. Das Gespräch der Journalistin Anja Wewer mit der Floristin Ruby Barber und der Designerin Sarah Illenberger schließlich geriet harmlos wie ein Gänseblümchen.
Aber was soll’s! Die Süpergrüp hat Diskussionen angeregt – über den Status Quo von Design, darüber, wo Design aufhört und andere Disziplinen beginnen und, ob man diese Grenze überhaupt noch ziehen kann. Und es stellte sich natürlich auch die Frage, ob Diskussionen über Pegida, über Filmmusik, Möbelklassiker oder afrikanische Kulturprojekte auf eine Designkonferenz gehören. Umso besser, wenn sich die Gestalter-Geister daran scheiden, anstatt zufrieden und zahm vor sich hinzudümpeln und sich gegenseitig auf die Schulter zu schlagen.
Was eine Power so eine Süpergrüp hat, ob es darum geht, sich als Platzhirsch zu positionieren, zu provozieren oder vielleicht etwas anzustoßen, hat sich auf der TYPO gezeigt. Bleibt nur zu wünschen, dass sie diese Kraft nicht zur Selbstvermarktung nutzt, sondern dazu, Haltung zu zeigen und etwas zu bewirken – sozial, politisch, visionär.
Wie großartig man auf diese Weise agieren kann, zeigte schließlich der britische Grafikdesigner Jonathan Barnbrook, berühmt für die Covergestaltung fast aller David Bowie Studioalben, inklusive des letzten, Blackstar, mit dem ikonischen schwarzen Stern. Im Gespräch mit Sonja Knecht erzählte Barnbrook von seiner Zusammenarbeit mit Bowie, davon wie wichtig es Bowie war, authentisch und ganz er selbst in seiner Arbeit zu sein – und wie Barnbrook, nicht wissend, dass Blackstar Bowies letztes Album sein wird, dessen Porträt vom allerersten Album, Low, im Booklet zitiert.
Worum es ihm aber vor allem ging war, wie sehr er daran glaubt, dass Design die Gesellschaft verändern kann. Weil sie wie die Politik den Anspruch hat, die Welt zu einer besseren zu machen – und jedes Design sowieso politisch ist. Schon allein die Entscheidung, wie und in welchen Bereich mal als Designer arbeitet, ob in der Werbung oder für kulturelle Einrichtungen sei es, welche Kunden man bedient und wieviel Profit man anstrebt.
Fonts, die er aus den Beschriftungen von Cruise Missiles Raketen ableitete, gehören ebenso zu seinen Arbeiten wie das Logo der London Occupy Bewegung und die Website Resolution, die sich mit Wandbemalungen in Nordirland beschäftigt, deren Schrift in Fonts verwandelt und Barnbrook vor Ort auch einige der Murals als Zeichen der Hoffnung selbst gestaltete:
Sometimes it is better to be kind than to be right
steht auf einem. Auch dafür gab es riesigen Applaus.