Mit einer Charme-Offensive, Bildern aus dem All und spannenden Geschichten von der Raumstation ISS verzauberte Astronaut Alexander Gerster Kinder und Blogger auf der re:publica. Mehr geht nicht? Doch! Denn dann kam Cory Doctorov – und hatte Angela Merkel auf der Brust.
Es gab kein Halten mehr auf der re:publica15 als der Astronaut Alexander Gerster seinen Speech beendet hatte. Im Raumfahrt-Overall der ESA brachte er den Weltraum ganz unprätentiös, augenzwinkernd und mit Leidenschaft auf die Erde – mit Bodenhaftung sozusagen und mit Geschichten darüber, dass es tatsächlich im Raumschiff tatsächlich einen ganz banalen Knopf gibt, den man zum Starten drücken muss, dass die Ausronauten gemeinsam die Fussball-WM geguckt haben (und nach einer verloren Wette zwei der Kollegen plötzlich einen Irokesen hatten), dass es als Astronaut hilft, ein Gamer zu sein, um den Transportarm der Raumstation mit »Joysticks« zu bedienen und auch wie der Toilettengang in der Schwerelosigkeit funktioniert (mit Urinschlauch etc) war ein Thema.
Ein perfekter Match für die re:publica, denn der Geophysiker Gerster, aka Alex in Space oder @Astro_Alex, hatte mit seinen Berichten über soziale Netzwerke der Mission große Popularität gebracht.
In seine Erlebnisse streute er Fakten ein, dass die Raumstation ISS die komplexeste Maschine ist, die von der Menscheheit je gebaut wurde, mit über 100 000 Menschen und sozusagen im Orbit, in den die Teile geflogen wurden.
Die Verletzlichkeit der Erde
Dazu machte er nicht nur klar, dass es dort oben das schnellste Weltklasselabor Europas gibt, das Experimente in der Schwerelosigkeit durchführt, die auf der Erde unmöglich sind, dort Medikamente gegen Osteoporose erforscht wurden, die heute in Apotheken erhältlich sind, feuerfeste Materialien und es wichtige Forschungsergebnisse in Bezug auf Krebs gibt – und erzählte gleichzeitig von der Fragilität der Erde, darüber, wie dünn die uns schützende Atmosphäre ist, wie dicht der Smog über China, wie dramatisch kahl die Wälder um den Amazonas herum sind – und dass sie von oben sogar Raketen über dem Gaza-Streifen gesehen haben. Als traurigstes Bild seiner Mission hatte Gerster das in den sozialen Netzwerken verbreitet.
Eigentlich unmöglich, an so ein perfektes Event anzuschließen. Nicht aber für Cory Doctorow, kanadischer Science-Fiction-Autor, unermüdlicher Aktivist für die Freiheit des Netzes und vor allem pfeilschnell redendes Motor-Mouth, der in einer rasanten Tour de Force eine Stunde lang darlegte, wie Giganten wie iTunes, Nintendo oder Netflix die User an ihre Produkte binden oder wie wir uns mit dem iPhone in der Hosentasche, diesem Supercomputer, der weiß wer unsere Freunde sind, wieviele Schritte wir täglich machen und wohin, der unsere Bankdaten kennt und dem wir einfach vertrauen müssen, dass er uns nicht abhört, versklaven. Genauso wie wir auf Facebook und bei sowieso jedem Klick im Netz, freiwillig unsere Privatsphäre aufgeben.
Horrorszenario Internet of Things
Und er machte klar wie er das Internet of Things sieht: als ein Horrorszenario der Vollüberwachung, denn wenn in den Werbespots die Leute, die nach Hause kommen hier und da winken und Sprechen, damit die Heizung angeht oder der Kühlschrank Eiswürfel auswirft, heißt das nicht anderes als dass das gesamte Haus voller Kameras und Mikrofonen ist.
Dsa sind feste Themen Doctorovs, der seit Jahren anklagt, wie Firmen und Regierungen uns mit Hilfe von Software ausspionieren und gleichzeitig die Crux aufzeigt, das unser ganzes Leben mittlerweile mit dem Internet verbunden ist – vom Auto über unseren Fotoapparat, Herzschrittmacher, dem Telefon – und dem noch ein paar bedrückende neue Szenarien hinzufügte.
Haben die Demonstraten auf dem Majdan in Kiew auf ihre Smartsphone Nachrichten bekommen, dass ihre Teilnahme an einer illegalen Demonstration jetzt registriert sein, malte Doctorov aus was denn wäre, wenn es in Zukunft die Möglichkeit gibt, Heizungssysteme etc. zu manipulieren. Kommen die Demonstranten dann nach Hause und eine Nachricht ertönt, dass ihnen die Heizung ausgestellt wurde?
Von Trackern terrorisiert
Was ist mit den neuen Autos, die mit Trackern versehen sind? Starten sie dann plötzlich nicht mehr, weil man mit einer Zahlungsrate im Rückstand ist? Oder man, wie es der Vertrag untersagt, die Staatsgrenze überquert hat und dann am Abend vom Waldspaziergang mit seinen Kindern auf den Parkplatz und das Auto blockiert?
Oder was ist mit den ganzen Computergesteuerten Prothesen, zwingen sie die Benutzer zu Handlungen, die sie gar nicht ausführen wollen? Lassen Sie sie zur Polizeiwache maschieren, weil es ihren Beinprothesen befohlen wurde?
Wie immer plädierte er nachhaltig dafür, für ein freies, faires und offenes Internet zu kämpfen. Dafür müsste man nicht perfekt sein. Natürlich würde man immer mal wieder Technologie-Giganten mit seinen Käufen unterstützen, davon sei keiner frei.Doch sollte man sich überlegen, wieviel man ihnen bezahlt, damit sie einen ausspähen und tracken und vielleicht statt dessen auch Organisationen unterstützen, die für die Freiheit des Netzes kämpfen, sichere Mailserver benutzen oder andere Dinge tun, die in der eigenen Macht stehen.
Kein einziges Filmchen flimmerte dazu über die Leinwand, kein einziges Dia zeigte er – was er aber trug, war ein T-Shirt mit einem Bild von Angela Merkel, die in ihrer berühmten Raute ein Smartphone mit einem Free Your Data Aufkleber hält. Es ist ein Shirt der Kampagne Freeyourdata des Hamburger Start-ups Protonet, das erst einen sicheren Server herausbrachte, der jetzt sogar vom Hamburger Senat benutzt wird, und jetzt für eine Gestzesänderung kämpft, die Unternehmen und Technologie-Giganten zwingt, ihre Verwendung von User-Daten transparent zu machen.