Man teilt Verantwortung, Ideen und Visionen, schafft sich Freiräume und ein Miteinander, wie es einem gefällt: Die Arbeit im Kollektiv ist in. Wir stellen verschiedene von ihnen aus Berlin, Paris und Sydney vor und verraten, was sie antreibt und wie sie sich organisieren.
Als bekannt wurde, dass ruangrupa aus Jakarta die documenta fifteen im nächsten Jahr kuratiert, machte schnell der flapsige Spruch die Runde, dass es bei der bedeutendsten Kunstschau der Welt diesmal vielleicht mehr Ausstellungsmacher:innen als ausgestellte Werke geben wird. Denn ruangrupa ist ein Kollektiv, ein zehnköpfiges, das aus verschiedensten Kreativen besteht und gleich in seiner ersten Pressekonferenz verkündete, zahlreiche andere Kollektive in seine Arbeit einzubeziehen.
Den Anfang machten die Studierenden vom indonesischen Studio 4002, die das Konzept für die Identity der documenta fifteen entwickelten und gemeinsam mit der Berliner Designagentur Stan Hema umsetzten. Über verschiedene Kontinente, Zeitzonen und Designtraditionen hinweg entstand eine leuchtend bunte visuelle Symphonie aus ineinander verschränkten Händen, die ein Geben, Nehmen und gegenseitiges Halten visualisieren.
Als ein beständiges »Teilen und Erkennen« beschreibt Stan-Hema-Designer André van Rueth auch die gemeinsame Arbeit, die sich an den Prinzipien des lumbung orientierte, die im Zentrum der documenta stehen werden. Das indonesische Wort bedeutet »Erntespeicher« und bezeichnet das traditionelle Miteinander der indonesischen Landbevölkerung, das auf Gemeinschaft, Freundschaft, Solidarität und dem Teilen von Wissen und Ernteüberschüssen basiert. Und dessen Ideen hochaktuell sind. Auch für die Designagentur Stan Hema, die sich seit zwei Jahren selbst auf dem Weg zum Kollektiv befindet.
Kollektiver Boom
Lange galt die Idee des Kollektivs als leicht chaotisches Konstrukt aus den 1970er Jahren und rief Bilder Latzhosen tragender Hippies wach, die mit viel Gemeinschafts-, aber ganz ohne Geschäftssinn über staubiges Farmland irren. Inzwischen wird diese Idee in Kunst und Kultur und nach und nach auch in der Kreativwirtschaft wieder populär. Noch bis Ende des Jahres zeigt das Londoner Barbican Centre, wie das radikale Architekturkollektiv Matrix Feminist Design Co-operative in den 1980er Jahren unsere Städte neu dachte, und das in einer Szenografie des feministischen Edit Collective. Im Mai wurden für den renommierten Turner Prize einzig Kollektive nominiert. Die neue Kuratorin der Sammlung Grafik und Plakat des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe hat gleich in ihrer ersten Ausstellung »Tiere, Tampons und Theater« (bis 26. September) alle Mitarbeiter:innen des Hauses zum kollektiven Kuratieren eingeladen, um ihre eigene Rolle infrage zu stellen – und um zu zeigen, wie vielfältig der Zugang zu Gestaltung sein kann. Außerdem hat das Lenbachhaus in München gerade seine »Gruppendynamik«-Plattform Collaboratory eröffnet und stellt in zwei Ausstellungen zum Thema »Kollektive der Moderne« vor.
Und auch das Grafikteam des »Missy Magazine« hat bei seinem aktuellen Relaunch nicht nur das Editorial Design erneuert, sondern auch die Zusammenarbeit. Es hat den Designprozess geöffnet, neue kollaborative und hierarchiearme Arbeitsmethoden erprobt und konsequent alle Ideen und Blickwinkel miteinbezogen. Das habe das Redesign entscheidend weitergebracht, sagt Artdirektorin Daniela Burger, denn auf diese Weise hätten sie ihre Layoutprozesse »mehr gedreht und gewendet«.
Arbeit im Kollektiv, das ist mehr als business as usual. Schließlich weiß man gerade auch als Designer:in, dass die Form den Dingen eine Bedeutung gibt, sie auflädt und ihnen Selbstausdruck verleiht. Und dazu gehört auch die Form der Arbeit selbst, die die Kollektive ganz unterschiedlich gestalten.