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Any Way the Wind Blows: re:publica 2022

Die re:publica ist zurück. Live und direkt an der Spree, mit fast 1000 Speakern und einem melodischen Design, mit packenden Talks über AI, Vernetzung und Zusammenhalt – und mit Katja Berlin und ihren großen Infografiken.

Nach mehr als zwei Jahren Pandemie findet die re:publica jetzt wieder live statt (8.-10.6.). An einem neuen Ort in der Berlin Arena direkt an der Spree, mit Badeschiff und reichlich Politprominenz bis hin zu Bundeskanzler Olaf Scholz – und erneut mit einem Erscheinungsbild von dem Studio fertig design.

»Any Way the Wind blows« ist der letzte Satz des Queen-Songs Bohemian Rhapsody, der bei jeder re:publica am Ende der Konferenz gemeinsam gesungen wird – und es ist das Motto der diesjährigen Konferenz, das den Faden dort wieder aufnimmt, wo er mit Covid-19 abgerissen ist. Und gleichzeitig die Unvorhersehbarkeit des Seins thematisiert, die uns die Pandemie gelehrt hat, ganz wie der Wind, der in jede Richtung wehen kann, sich drehen, aufbäumen oder wirbeln.

Dazu zitiert fertig design im diesjährigen Erscheinungsbild nicht nur den Schriftlauf, wie er bei der Karaoke zu lesen ist, sondern mit Sandstränden und Sonnenuntergängen, sanft auslaufenden Wellen und Wüsten auch die Hintergründe, die dabei oft aufleuchten.

Zu finden ist das digital, auf Plakaten und in der Festival-Beschilderung. Und das war es dann auch schon. Denn aus Gründen der Nachhaltigkeit wird konsequent auf Jute-Beutel, Shirts und Schlüsselbänder mit dem Konferenzdesign verzichtet. Wer möchte, kann Textiles mitbringen, das er gerne bedrucken möchte.

Gemeinsam für den Wandel

Nachhaltigkeit und der Klimawandel sind auch ein prominenter Themen-Strang auf der Konferenz selbst – und vor allem wird Zusammenhalt beschworen, Vernetzung, die Macht der Vielen, das Kollektiv und gemeinsame Wille. Dafür plädierte die Politökonomin Maja Göpel in ihrer Keynote »Her mit der besseren Zukunft«, mit der sie die re:publica am Mittwoch eröffnete, ebenso wie Sascha Lobo, der den ersten Konferenztag mit seiner Rede zur Lage der Nation schloss.

Die ist mindestens so Kult auf der re:publica wie das Singen der Bohemian Rhapsody – und führte ausgehend von der Frage »Warum sind wir eigentlich hier?« von der verschlafenen Digitalisierung Deutschlands hin zu Studierenden, die in den 1970er-Jahren an der Universität von Oregon ihren eigenem Campus gestalteten und dafür Rasen aussäten, ihn wachsen ließen und freigaben, um zu sehen, welche Wege am stärksten ausgetreten werden. Diese ließen sie teeren und schufen so das wohl effizienteste und menschenfreundlichste Wege-System überhaupt – und das gemeinsam.

Lobo sezierte Antirationalismus, Antiliberalismus und Geschlechterhass als die drei größten Feinde des gesellschaftlichen Wandels und Transphobie als Hasskitt, forderte dazu auf, konsequent gegen den Backlash zu kämpfen, der sich durch weiße Cis Männer gerade in der Welt breitmacht.

Er beschwor Bewegungen wie #fridaysforfuture, #blacklivesmatter und #metoo, die Kraft der Vernetzung – und die digitale Intelligenz der jungen Generationen von Gen Y, Gen Z zu Gen alpha.

Sascha Lobo auf der re:publica 2002. Foto: re:publica

Horrorvision Emotionserkennung

Besonders interessant war, wie die US-amerikanische Publizistin und Professorin Kate Crawford aufzeigte, dass Artificial Intelligence weder künstlich noch intelligent ist. Wie für den großen Bedarf von Lithium und Zinn für Tesla, Apple, Amazon Echos oder Android Phones Menschen verheizt und Landschaften zerstört werden, und was für unglaubliche Massen an Emissionen AI als eine der umweltschädlichsten Industrien verursacht.

Sie erläuterte, wie AI in den Produktlagern von Amazon Effizienz über Menschlichkeit stellt – und wie die vielbeschworene digitale Emotionserkennung in Gesichtsausdrücken (von denen neue Erkenntnisse sagen, dass sie eigentlich keine Auskunft über Gefühle geben) vorangetrieben wird – und wie Start-ups daran arbeiten, diese zum Beispiel im Auto zu verwenden.

Mit einer fest eingebauten Kamera sollen ununterbrochen die Gesichtsausdrücke der Fahrer:innen analysiert werden und bei Angst oder Wut entweder die Autoversicherung verteuert werden oder die Polizei direkt informiert.

Kate Crawford auf der re:publica 2002. Foto: re:publica

Hippokratischer Tech-Eid

Das ist eine der vielfältgen Arten des Überwachungskapitalismus, über den auch Claudia Nemat aus dem Telekom-Vorstand für Technologie & Innovation, und Adrian Daub, Professor an der Stanford University, sprachen.

Vor allem Claudia Nemat problematisierte die exorbitante Ökonomisierung der Tech-Branche. Sie erinnerte daran, dass die großen Suchmaschinen mal als gutgemeinte Dienstleistung gestartet sind, bevor sie sich ganz dem Kapitalismus und der Überwachung ihrer Kundi:innen verschrieben. Und sie fand eine schöne Analogie dafür, was sie sich wünschen würde:

Nämlich, dass es für Programmierer so etwas gäbe wie den Hippokratischen Eid für Mediziner, denen man nicht nur insofern vertrauen kann, dass sie ihr Handwerk beherrschen, sondern auch, dass sie einem kein überflüssiges künstliches Hüftgelenk einsetzen, nur weil es lukrativ wäre.

Claudia Nemat und Adrian Daub auf der re:publica 2022. Foto: re:publica

Irre Verschwörungserzählungen

Besonders spannend war auch, als die Autorin und »Denkangebot«-Podcasterin Katharina Nocun über die »Die Maschen der Verschwörungsideologen« sprach. Darüber, wie wichtig Prävention ist und wie schwer, Menschen zu erreichen, die bereits im »tiefen Kaninchenloch« abgetaucht sind.

In 10 Punkten führte Nocun durch Strategien der Verschwörungserzählungen, zu denen Suggestivfragen gehören, die sie aus den Boulevardmedien übernommen haben und so Ideen triggern ohne juristisch angreifbar zu sein: »Wurden im Pergamon Museum satanistische Rituale durchgeführt?« zum Beispiel, »Werden wir an Impfung sterben?« oder »Ist der Krieg inszeniert?«.

Nocin erläuterte, dass es in Verschwörungserzählungen nur Gut und Böse und kein Dazwischen gibt, und dass Verschwörungsideologen Kausalitäten herstellen, wo es eigentlich keine gibt. Follow the money ist dabei ein beliebtes Prinzip, das dann zu Superreichen wie Bill Gates führt und anderen, die aus gesellschaftlichen Entwicklungen oder Krisen profitieren.

Im Falle der Pandemie könne man statt Bill Gates dann eigentlich auch die Puzzle-Hersteller, die in Zeiten von Homeschooling und Lockdowns so gute Geschäfte machen, zu Verantwortung ziehen, sagte Nocun, die immer wieder betonte, wie lächerlich die Verschwörungserzählungen eigentlich sind – und wie unfassbar übertrieben.

Denn nur, wer übermächtige Schurken schafft, kann sich selbst zum Helden stilisieren, der als einziger durchblickt, die Welt vor ihrem Untergang rettet und so endlich Annerkennung bekommt. Ganz so wie in einem Hollywood-Spektakel.

Gleichzeitig helfen Verschwörungserzählungen, wenn man einsam oder hochverschuldet ist. Denn dann muss man sich einfach nicht kümmern. Nicht darum, Freunde zu finden, die dann durch Todes-Impfungen sowieso sterben, und man muss auch nicht versuchen seine Schulden abzubauen, wenn bald sowieso alles zusammenbricht. Dass die Szene männlich dominiert ist, überrascht nicht.

Katja Berlin auf der re:publica 2022. Foto: re:publica

Best-of Infografik

Und dann ist da noch Katja Berlin. Gefeierte Autorin, Kolumnistin und »Spezialistin für sonderbare Grafiken«, die seit mittlerweile sieben Jahren mit ihren Torten der Wahrheit in Die Zeit Aktuelles auf den Punkt bringt.

Und dabei hat sie sich 2014, als sie den Anruf der Zeit bekam, zwar wahnsinnig über das Jobangebot gefreut, aber sich anschließend dennoch wochenlang erst einmal nicht gerührt. Würde ihr überhaupt jede Woche etwas einfallen? Würde überhaupt genug passieren, um es zu verarbeiten? Zur Not könnte sie allerdings immer was zur FDP machen, sagte sie sich schließlich – und sagte zu.

Und dann kam 2015 und man ließ Tausende Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken, die AfD erstarkte und es gab mehr Themen, als man sich wünschte, die danach verlangten, Klartext zu reden und auf die Barrikaden zu gehen.

Gleich drei Mal und für knackige 15 Minuten hat Katja Berlin auf Stage 1 der republica ein Best-of aus ihrer Kolumne gezeigt. Als Zwischen-Act sozusagen und jedes Mal gab es wenig freie Plätze und viel Begeisterung.

Sie präsentierte Tortendiagramme, die erklären, dass 1/8 der »Besorgten Bürger« sagen »Ich bin ja kein Nazi« und 7/8 »Aber …«, visualisierte, dass Rechtspopulisten zwar Syrien als sicher bezeichnen, aber nicht deutsche Innenstädte nach 22 Uhr.

Sie zeigte, dass zu den deutschen Wörtern, denen man mangelnde Lesbarkeit vorwirft statt Ungetümen wie Verkehrsinfrastrikturfinanzierungsgesellschaft die große Mehrheit die Bezeichnung Bürger:innen für schwer lesbar hält – und vor allem zeigte sie, wie viel Haltung sie hat.

Heute Abend dann, nachdem unter anderem die Demokratieaktivisten Birgit Lohmeyer, die mit dem Musikfestival Forstrock gegen Neonazis kämpft, gesprochen hat und zum Abschluss auch die Klimaaktivistin Luise Neubauer, wird es wieder die Bohemian Rhapsody geben. Und das endlich wieder live.

re:publica 2022 direkt an der Spree. Foto: re:publica

Erscheinungsbild von fertig design:

 

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