Immer mehr Designprojekte lassen sich nur mit interdisziplinären Teams bearbeiten. Mit welchen Methoden sich die Zusammenarbeit bei komplexen Projekten wirklich produktiv gestalten lässt.
Je komplexer ein Problem, desto mehr Kompetenzen braucht man, um es zu lösen. Das gilt für Designprojekte, an denen mehrere Disziplinen arbeiten, genauso wie für Transformationsprozesse in Unternehmen und die ganz großen Herausforderungen unserer Gesellschaft. »Wir müssen aus unseren Schneckenhäusern raus«, sagt Jenny Kornmacher, Leiterin des Cross Innovation Hubs der Hamburg Kreativ Gesellschaft. »Wir dürfen uns nicht immer weiter in unsere Expertennischen vertiefen, sondern müssen uns mit anderen Experten austauschen und vernetzen. Die wirklich komplexen Probleme dieser Welt lassen sich nicht im Alleingang lösen.«
Design ist für interdisziplinäre Prozesse besonders gut geeignet, weil es als Schnittstelle zwischen anderen Disziplinen vermitteln, mit partizipativen Methoden die Zusammenarbeit fördern und Sachverhalte klar und verständlich aufbereiten kann, sei es in Kundenprojekten oder bei gesellschaftlichen Fragestellungen. Natürlich ist nicht für jedes Problem ein interdisziplinäres Team notwendig, aber angesichts immer komplexerer digitaler Produkte und Experiences sowie einer neuen Aufgabe des Designers als Berater für Unternehmensprozesse kommen Gestalterinnen und Gestalter heute kaum noch darum herum, mit anderen Disziplinen zu arbeiten.
»Wir müssen aus unseren Schneckenhäusern raus. Die wirklich komplexen Probleme dieser Welt lassen sich nicht im Alleingang lösen«
Kompetenzen zusammenstellen: Wer mit wem?
Marko Thorhauer ist als Executive Creative Director bei der Digitalagentur Aperto, die zum globalen IBM iX Network gehört, für die rund 70 Digital Designer im Berliner Studio verantwortlich. »Wir gestalten komplexe digitale Experiences, die sehr holistisch betrachtet werden müssen und für die wir mit diversen Stakeholdern zusammenarbeiten, sowohl intern als auch auf Kundenseite«, erklärt Thorhauer. Für solche Projekte brauche es neben UX-, UI- und Motion-Designern auch spezialisierte Service- oder Business Designer, die ein besonderes Verständnis für Geschäftsprozesse mitbringen. Hinzu kommen Content Designer und SEO-Experten, Frontend- und Full-Stack-Developer, Salesforce-Profis und so weiter. Je nach Projektanforderung stellt die IBM-Agentur die erforderlichen Kompetenzen zusammen – und dann kommen noch die entsprechenden Counterparts des Kunden dazu.
Doch es kommt nicht nur auf die Fachkompetenz der Teammitglieder an, weiß Britta Nagel. Als Partnerin des Studios für Szenografie Atelier Brückner kennt sie sich bestens mit diversen Teams aus: »Sehr wichtig sind auch die Persönlichkeiten, die mit bestimmten Eigenschaften, Interessen und Denkweisen einhergehen. Manche denken sehr strukturiert, andere eher assoziativ.«
»Durch unterschiedliche Herangehens- und Arbeitsweisen entstehen oft die besten Lösungen.«
Um die richtigen Leute zusammenzubringen, braucht es eine gute Portion Menschenkenntnis – und schlichtweg Erfahrung. »Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen und steuere Teams. Mit der Zeit bekommt man ein Gespür dafür, wer gut mit wem zurechtkommt und welche Kompetenzen sich gut ergänzen. Manchmal muss man aber auch Wagnisse eingehen und Teams ganz neu zusammenwürfeln«, so Nagel.
Effiziente Teams: Dem Nordstern folgen
Je vielzähliger und unterschiedlicher die Disziplinen, die an einem Projekt mitwirken, desto wichtiger ist es, der Zusammenarbeit einen Rahmen zu geben. So setzt IBM iX auf Methoden wie Enterprise Design Thinking oder agile Frameworks wie SAFe von Scaled Agile, das nach Scrum-Prinzipien funktioniert und sich für größere Prozesse skalieren lässt. Die Teams arbeiten in kleineren Gruppen, Squads genannt, und in zeitlich begrenzten Sprints. »Die große Kunst liegt darin, diese Prozesse zu orchestrieren«, sagt Marko Thorhauer. »Ich habe großen Respekt vor Projektmanagern, die es schaffen, dass die Abstimmung in großen Teams effizient funktioniert.« Außerdem helfe es, von Beginn an eine gemeinsame Idee zu verfolgen: »Wir nennen das unseren North Star – eine prototypische Designvision, an der sich alle jederzeit orientieren können.«
Mit einer ähnlichen Art Leitstern arbeitet auch Atelier Brückner: »Große Projekte halten wir in einer Visualisierung fest, die wir Partitur nennen. Sie funktioniert wie ein musikalischer Score, der aufzeigt, welche Disziplinen wo und wann zum Einsatz kommen«, erklärt Britta Nagel. Diese Partitur diene auch dazu, dem Kunden zu zeigen, wie viele Gewerke und Menschen am Projekt beteiligt sind. Anders als beim agilen Framework von Aperto ist der Prozess bei den Szenografen aus Stuttgart etwas organischer. »Wir arbeiten immer an mehreren Projekten gleichzeitig. Da ist es schwierig, mehrere Tage für eine konkrete Phase einzuplanen«, so Nagel. Neben regelmäßigen (Online-)Meetings kommen die Projektteams bei Gesprächsbedarf spontan zusammen.
Ähnlich handhabt es der freie Art Director Bruno Arizio, der derzeit in São Paulo wohnt. Er gestaltet unter dem Dach seines Studio–BA mit Kreativen aus diversen Disziplinen und Ländern vor allem interaktive Digitalprojekte.
»Ich sehe mich als eine Art Dirigent, der alle Beteiligten zusammenbringt und dafür sorgt, dass sie gut zusammen klingen.«
Als Chef verstehe er sich nicht, vielmehr achte er darauf, dass die Teams hierarchiefrei arbeiten. Die Kommunikation läuft über Slack-Channel, in denen alle ihre aktuelle Arbeit teilen. Bei Klärungs- oder Diskussionsbedarf beruft Arizio Zoom-Meetings ein – unter Berücksichtigung der jeweiligen Zeitzonen.