Die preisgekrönte österreichische Illustratorin und Autorin Linda Wolfsgruber hat einen neuen Wiener Stadtteil erkundet. Erst zu Fuß und dann mit Farbe und bietet spannende Perspektiven, interessante Geschichten – und schönste Bilder.

Wer kennt sie nicht, die schöne Kleine Waldfibel von Linda Wolfgruber, die 2021 den österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis gewann und auf der Shortlist für das Beste Wissenschaftsbuch stand.
Doch jetzt hat es die Illustratorin und Autorin aus der Natur hinein in die Stadt gezogen. In den neuen Stadtteil Seestadt, der etwas außerhalb von Wien liegt und einmal mehr zeigt, warum die österreichische Metropole immer wieder für ihren modernen Städtebau gefeiert wird.
Noch ist nicht alles fertig und noch sieht es etwas kahl aus an manchen Stellen, das Grün muss noch wachsen, das Leben ist an vielen Stellen aber schon da.
Seit 2019 ist die Illustratorin immer wieder durch die Seestadt spaziert. Seit der Hobbystadtführer Pipin ihr sie gezeigt hat und sie sofort an de Chirico denken mussten.

Von der Fotografie zum Acrylbild
In allen Jahreszeiten hat sie dort fotografiert und die Perspektiven erkundet. Die Fotos hat sie in schwarzweiß fotokopiert, um einen besonderen Blick auf die Materialien und die Strukturen zu haben. Anschließend hat sie diese mit Bleistift auf die Leinwand übertragen und ausgewählte Motive mit Acrylfarbe gemacht.
»An manchen Stellen sieht man noch die Bleistiftzeichnung durchscheinen, was ich besonders gern mag«, sagt Linda Wolfsgruber selbst.
Hell und fein wirken die Malereien, die alle einen betont starken Ausschnittcharakter haben, die zu Baukränen, unter Unterführungen, zu Plätzen und kleinen Terrassen führen, die immer wieder Hausfassaden studieren, Innenhöfe und die Wege, die durch das Viertel führen.

Blicke hinter die Fassaden
Und nicht umsonst trägt das Buch »Die Stadt« den Untertitel »Begegnungen«. Denn von ihnen erzählt Linda Wolfsgruber in kleinen Geschichten, die jeweils mit nur wenigen Sätzen auskommen.
Da ist Rosa, die ihre Pflanzen und ihre Dachterrasse liebt, Wendel, die sich um Bienenstöcke ihres Sohnes kümmert, der jetzt in einer anderen Stadt studiert. Elvira, die gern am nahe gelegenen Wasser ein Buch liest oder Marika, die die singenden Amseln mit Mehlwürmern und Rosinen füttert.
Doris und Tobias hingegen sind zu Besuch und stellen sich vor, wie es wohl wäre, hier zu leben. Genauso wie man selbst, wenn man die kleinen Geschichten liest und sich in den Bildern verliert, die von dem Zusammenleben und dem Zuhause erzählen.

Besondere Perspektive
Und die auf diesen Ansichten, die Menschen selbst vor allem in Bewegung und meistens von hinten oder im Halbprofil zeigen. Ganz so eben, wie man sie meistens selbst beim Spazieren sieht.
Wie die Blicke durch die Schluchten, über Plätze und auf den See hinaus die Perspektive weiten, öffnet sich durch die dezenten Porträts der Bewohner:innen gleichzeitig der Raum für eigene Assoziationen – für junge Leser:innen (das Buch ist ab 7 Jahren empfohlen) und auch für Erwachsene gleichermaßen.
Gestaltet wurde das Buch von Christiane Dunkel-Koberg und besonders schön ist auch, dass es mit Close-Ups aus den Bildern im Vorsatz beginnt – und endet. Sieht man zu Beginn architektonische Details, die wie ein Mosaik aneinandergefügt sind, finden sie am Ende die Porträts der Menschen, die Linda Wolfsgruber dort getroffen hat.
Linda Wolfsgruber: Die Stadt. Begegnungen; Kunstanstifter, 44 Seiten, 235 x 320 mm, Hardcover, ab 7 Jahren, Gestaltung: Christiane Dunkel-Koberg, 25 Euro, ISBN: 978-3-948743-41-3
