Prof. Johannes Kiessler, Dekan der Fakultät Art & Design an der University of Europe for Applied Sciences schreibt über die neue Rolle von Designer:innen und ethische Verantwortung
Tools wie DALL-E 2, MidJourney oder Canva’s »Magic Studio« verändern die Designbranche grundlegend. Die gute Nachricht: momentan sieht es aus, als würde KI Kreative aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ersetzen, sondern ihnen als leistungsstarkes Werkzeug dienen. Die Kombination aus menschlicher Kreativität, Empathie und Intuition und den technischen Möglichkeiten der KI könnte zu besseren Ergebnissen und mehr Innovation führen – aber dafür müssen wir erst einmal die Co-Kreation lernen und die Anwendungsfälle für KI ausloten.
Demokratisierung von Design
Schauen wir uns die KI-Toollandschaft genauer an, lassen sich mehrere Ebenen der Komplexität erkennen. Auf der ersten liegen Bilderzeugungstools wie DALL-E. Flux AI, Midjourney oder Stable Diffusion. Je nach Expertise der Nutzer:innen können diese Tools bereits professionelle Ergebnisse erzielen, was heute in der Medien- und Werbebranche anhand von rückläufigen Umsätzen bereits deutlich spürbar ist.
Auf der nächsten Ebene finden wir Angebote von Unternehmen wie Adobe und Canva. Adobes Sensei Framework ist mittlerweile in fast alle Tools der Creative Cloud integriert – von generativer Bildbearbeitung in Photoshop bis zu »intelligenten« Layoutvorschlägen in XD. Weitere große Entwicklungen der nächsten Jahre zeichneten sich bei der Adobe MAX 2024 bereits ab. Und Canva erlaubt mit wenigen Klicks die KI Nutzung für die breite Masse.
Diese Tools bedeuten eine deutliche Effizienzsteigerung im Designprozess, aber vor allem eine Öffnung von Design für eine breitere Basis von Nutzer:innen aller Skill-Levels. Auch Menschen ohne Fachwissen können jetzt gestalterisch arbeiten und mit wenigen Klicks optisch ansprechende Resultate produzieren. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen, da beide Unternehmen stark in die KI-Forschung und -Entwicklung investieren.
Neue Prozesse im Design
Was auf der nächsthöheren Ebene passieren wird, finden wir heraus, wenn wir uns von GPT-4o in Figma selbstständig generierten Wireframes ansehen, die anhand von PRD’s (Product Requirement Documents) entstehen. Die Möglichkeiten sind schon jetzt beeindruckend, denn die KI erzeugt voll funktionierende Prototypen.
Product Designer:innen erzeugen ein umfassendes PRD und werden in Zukunft mutmaßlich ohne Development, Projektmanager:innen, UX-Designabteilung und Programmierer:innen auskommen. Ob der kreative Prozess von dieser Entwicklung profitieren kann und sich die Qualität der Resultate verbessern wird, bleibt abzuwarten.
Für Designer:innen bedeutet das eine Konzentration der Projektverantwortung auf weniger Personen und die Notwendigkeit zur Erweiterung ihres Wissens. Theoretisch wird eine einzige Person in der Lage sein, ein komplettes (digitales) Produkt zu erschaffen. Kreative, die diese Tools nicht beherrschen, werden früher oder später aus dem Markt verschwinden.
Hyperpersonalisierung: Revolution im Marketing
Eine der interessantesten Möglichkeiten, die generative KI im Marketing eröffnet, ist die Personalisierung von Nutzererlebnissen – ein zentraler Aspekt vieler moderner Marketingstrategien.
Mithilfe von Datenanalyse und generativer KI lassen sich Nutzererlebnisse schaffen, die präzise auf individuelle Vorlieben zugeschnitten sind. In Zukunft wäre es sogar denkbar, das komplette Erscheinungsbild von Webseiten und Benutzeroberflächen durch den Einsatz von KI in Echtzeit an die Vorlieben jedes einzelnen Nutzers individuell anzupassen.
Für das Marketing bedeutet diese Möglichkeit zur Schaffung hyperpersonalisierter Erlebnisse eine Chance zu mehr Kundenbindung. Unternehmen könnten durch generative KI die gesamte Customer-Journey individualisieren, von der ersten Anzeige bis hin zur nachfolgenden Kommunikation oder der Ansprache in Chatbots und Service-Nachrichten.
Doch diese Entwicklung wirft neue Fragen auf: Datenschutz, ethische Bedenken und die Gefahr, Nutzer durch übermäßige Personalisierung zu manipulieren.
Ethische Verantwortung: Auf dem Weg zu Responsible AI
Mit den Risiken, die mit der Praxis der Hyperpersonalisierung entstehen, wächst auch die ethische Verantwortung der Designer und Marketer. Sie erfordern von allen Beteiligten einen umfassenden Ansatz, der klar definierte Strategien, gute Unternehmensführung und ein Bekenntnis zu verantwortungsvoller KI beinhaltet.
Manche Risiken sind größer als andere: neben ethischen Fragen in Bezug auf Datenschutz und -sicherheit, Richtlinien und Arbeitskräfte kann generative KI auch neue potenzielle Risiken wie Fehlinformationen oder Plagiate, Urheberrechtsverletzungen und schädliche Inhalte hervorbringen. Abgesehen davon müssen sich Unternehmen auch mit den sozialen Folgen der Verdrängung von Arbeitsplätzen durch KI auseinandersetzen. Das alles erfordert mittelfristig die Schaffung einer neuen Unternehmenskultur: einer Kultur der generativen KI-Ethik. Wie könnte eine solche Ethik aussehen?
Eine Unternehmenskultur, die verantwortungsvolle KI mit einbezieht, würde es ermöglichen, die Potenziale von KI zu nutzen und gleichzeitig ethische und gesellschaftliche Aspekte angemessen zu berücksichtigen. Dazu gehören klare Governance-Strukturen und Verantwortlichkeiten für KI-Systeme. Dadurch wäre es möglich, eindeutige, ethische Grundsätze für den Umgang mit KI im Unternehmen zu formulieren und zu kommunizieren.
Werte wie Fairness, Transparenz, Datenschutz und Sicherheit sollten von der Unternehmensführung vorgelebt werden. Die Mitarbeitenden müssen Angebote bekommen, sich kontinuierlich über den Umgang mit KI weiterzubilden, um an KI-bezogenen Entscheidungen und Prozessen teilhaben zu können. Entsprechende Kontrollmechanismen zur Überwachung des KI-Einsatzes würden die kontinuierliche Überprüfung von KI-Systemen auf ethische Konformität ermöglichen.
Co-Kreation von Mensch und Maschine
KI ist nicht das Ende der menschlichen Kreativität oder der strategischen Marketingarbeit, sondern vielleicht ihr Anfang in einer neuen Form. Wir alle haben einst kreative Berufe aus Leidenschaft gewählt. Die aus unserer Arbeit resultierenden Erfolgserlebnisse fühlen sich einzigartig an und sind in ihrer Nachhaltigkeit durch nichts zu ersetzen. Design und kreative Arbeit sind für die meisten von uns Bestandteile eines erfüllten Lebens.
Forscher wie Frithjof Bergmann und Unternehmer wie Adriano Olivetti gingen mit humanistischen Ansätzen davon aus, dass Technologie, Innovation und Automatisierung keineswegs als Bedrohung zu sehen seien. Sie böten vielmehr die Möglichkeit, sich aller monotonen und langweiligen Bestandteile von Arbeit zu entledigen, um sich auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt und Erfüllung bringt. Kurz gesagt: Technologie in den Diensten des Menschen und nicht umgekehrt.
Aber wie würde das für uns Kreative aussehen? Gehen wir davon aus, wir geben alle repetitiven und zeitaufwändigen Aufgaben an KI ab. Dann könnten wir einen stärkeren Fokus auf die Gestaltung von gesamtheitlichen Nutzererlebnissen legen und mehr Zeit für die Entwicklung innovativer Lösungsansätze verwenden. Recherchearbeit, konzeptionelles Denken und Ideenfindung würden endlich in den Vordergrund rücken.
Insgesamt wird sich die Rolle von Designern in Richtung einer stärker strategischen, kuratorischen und ethisch verantwortungsvollen Position entwickeln. Dazu brauchen wir eine Kombination technischem Verständnis, kreativer Vision und menschenzentriertem Denken. Der Umgang mit diesen Systemen und das hierzu nötige Gestaltungswissen, die technischen Kompetenzen und Business Thinking müssen professionell gelernt werden.
Nur dann haben wir Kreative die Chance, KI in unsere Dienste zu stellen und im Idealfall wird sich die Zusammenarbeit vielleicht irgendwann anfühlen, wie Tango tanzen: harmonisch und synchron, aber mit klarer Hierarchie: einer führt, einer folgt, sonst klappt’s nicht!
Prof. Johannes Kiessler ist Dekan der Fakultät Art & Design und Professor für Innovation Design Management an der University of Europe for Applied Sciences (UE). Analyse, Umgang und Konzeption mit neuen Technologien wie KI lernen die jungen Talente der UE unter anderem in dem neuen Masterprogramm »Generative Design&AI« in Potsdam.