»Die Herausforderung liegt darin, die Interaktion mit KI zu trainieren«
DDBs Chief Strategy Officer George Strakhov spricht über KI-Potenziale im Kreativprozess, und erklärt, warum wir das kreative Gärtnern lernen müssen.
Die zweite – für mich wichtigere – Fähigkeit besteht darin, verschiedenste Impulse zu kombinieren und aus allem, was wir sehen, Ideen generieren und deren Potenziale erkennen zu können. Kreative sind gut darin, den Möglichkeitsraum zu erkunden und eine erste Idee in alle Richtungen weiterzudenken. Diese zweite Fähigkeit wird in der Interaktion mit Künstlicher Intelligenz immer bedeutsamer. Denn die Technik erlaubt es uns, in kürzerer Zeit mehr Input zu erhalten und zu bewerten. KI kann uns dabei aus unserer Blase – sei es bei der Recherche, auf Social Media oder im sozialen Umfeld – befreien, indem sie uns neue Impulse gibt und als unparteiischer Sparringspartner agiert. Die tatsächliche Herausforderung liegt dann darin, die Interaktion mit KI zu trainieren und Tools nach unseren Vorstellungen zu entwickeln.
Creative AI im Kreativprozess
Du beschreibst die Interaktion mit KI oft als »kreatives Gärtnern«. Warum gerade diese Metapher?
Ich vergleiche KI gerne mit der Natur. Sie ist als kreatives Medium so aktiv, dass wir theoretisch einfach zurücktreten und alles vor sich hinwuchern lassen könnten. Oder aber wir lernen, mit ihr zu spielen und sie nach unseren Vorstellungen zu formen. Hier kommt das mentale Modell des kreativen Gärtnerns ins Spiel. Kreative müssen einfühlsame Gärtnerinnen und Gärtner werden, die bestrebt sind, die interessanten Tendenzen, die KI hervorbringt, aufzugreifen, sie zu pflegen, zu gießen und zu ausgewachsenen Ideen und Konzepten heranzuziehen. Wichtig dabei ist ein offenes Mindset – und nicht gleich alles KI-Produzierte als unbrauchbar abzutun. Aus einer schlechten Idee entstehen oft die besten Impulse für ein wirklich gutes Konzept. Und von dem Wildwuchs der KI können Kreative sich in neue Richtungen lenken lassen und so innovativere Ideen und Konzepte entwickeln.
Es geht also nicht nur – wie meist argumentiert wird – um Effizienzsteigerung bei der Umsetzung, sondern gerade auch um die Ideenfindung?
Genau! Die Kunst besteht darin, eher früh im Prozess mit KI zu arbeiten und die vielfältigen Perspektiven zu nutzen, die sie einbringen kann. Wenn man schon genau weiß, was man tun will, ist es für Gestalter:innen oft effizienter, das mit klassischen Designtools umzusetzen. Spannend wird es aber, wenn wir anfangen, im gesamten Designprozess die Potenziale von KI zu entfalten.
So kann ich als Stratege bereits nach dem Briefing durch die Kund:innen, KI zur Recherche und zum Verständnis komplexer Zusammenhänge nutzen. Dazu extrahiere ich mit ihrer Hilfe – zum Beispiel in ChatGPT – die Schlüsselwörter aus einer Aufgabenstellung. Anschließend lasse ich mir dazu verschiedene Informationen ausgeben: assoziierte und gegenteilige Begriffe, Definitionen, historische Ereignisse und Fakten über die Branche meiner Auftragge-ber:innen. Auf diese Weise kann ich in kürzester Zeit viele Informationen erhalten, die mir dabei helfen, eine Richtung festzulegen.
Im nächsten Schritt – der visuellen Konzeption – unterstützt mich KI dabei, die Designteams zu briefen. Als Stratege verbringe ich viel Zeit damit, darüber nachzudenken, wie ich Kreative und Kund:innen »prompten« kann, eine Idee zu verstehen. Das sieht für jeden anders aus, denn Gestaltung ist subjektiv. Für unsere Grafikabteilung kann ein »Prompt« ein grobes KI-Scribble sein, aus dem sie ein gutes Design entwickeln kann. Für unsere Kund:innen müssen wir unsere Ideen und Ansätze in ihr gewohntes Umfeld transferieren, damit sie diese verstehen und bewerten können.
Kunden und Team mitnehmen
Muss man bei Kund:innen noch viel Überzeugungsarbeit in puncto KI leisten?
Einige haben sich bereits mit künstlicher Intelligenz auseinandergesetzt, während andere sehr skeptisch sind. Aber wenn jemand auch nur ein wenig Interesse zeigt, vereinbaren wir in der Regel ein Treffen, bei dem wir unseren Prozess und die Workflows anhand von bereits realisierten Projekten betrachten und ermitteln, wo die KI von Nutzen sein kann. Das könnte zum Beispiel die Contenterstellung für Social Media sein oder überall dort, wo man in kurzer Zeit viel Output benötigt.
Für Kundenworkshops haben wir jetzt ein eigenes Tool entwickelt, das ich den »Bad Ideas Bot« nenne. Wir setzen ihn seit Kurzem ein, um schnell Ideen zu generieren und zu besprechen. Es ist unglaublich hilfreich, diese ersten Würfe – die normalerweise nicht so gut und sehr klischeehaft sind – schnell aus dem Weg zu räumen und direkt in die eigentliche Konzeption zu starten. Das spart im Prozess viel Zeit, weil wir keine der schwächeren Ideen ausführen müssen, nur um die Kund:innen zufriedenzustellen. Die meisten Dinge, die der Bot produziert, klingen erst einmal albern, aber es hilft tatsächlich sehr, um zu zeigen, wo die Probleme liegen und in welche Richtung wir gehen müssen, um zu einem Punkt zu gelangen, an dem das Design einzigartig und funktional sein kann. Denn das macht in der Regel 80 Prozent der Arbeit aus: herauszufinden, wohin wir gehen. Für das »Ankommen« haben wir dann unsere Designteams, die – sobald sie wissen, wohin wir gehen – eine Lösung effizient umsetzen.
Und wie nutzen eure Kreativen bei DDB künstliche Intelligenz?
Sobald die Strategie und Idee klar sind, erarbeiten wir die Gestaltung. KI kann in der Entwurfsphase helfen, indem sie zum Beispiel schnell Variationen erstellt oder bestimmte Faktoren anpasst: angefangen bei der Größe eines Textes bis hin zu verschiedenen Texturen oder Farben in einer Illustration. So können wir schnell sehen, was funktioniert, und mit unserem gestalterischen Auge die vielversprechenden Ansätze auswählen. Einige Ideen wären ohne den Einsatz von KI und Geschwindigkeit, die sie im Prozess bietet, nicht möglich. So werden Kreative nicht nur effizienter, sondern können auf einmal Konzepte in ganz neuer Qualität realisieren.
Das Ziel ist nicht, unsere Kreativen zu ersetzen oder alles zu automatisieren, was geht. Es ist viel effektiver, die Technik für kleine Anpassungen am bestehenden Prozess zu nutzen, als ein übergeordnetes »Mega-System« zu entwickeln, das alles für einen erledigen soll. Das ist unrealistisch und momentan auch ziemlich albern, weil sich die grundlegenden Technologien so rasant entwickeln, dass alles, was man aufbaut, sehr schnell irrelevant sein wird. Sinnvoller ist es da, KI in den Workflow zu integrieren, ohne sich von ihr den Part abnehmen zu lassen, der wirklich Spaß macht. Auf diese Weise können wir in eine Richtung voranschreiten, die sowohl dem Kunden als auch den Kreativen zugutekommt – und haben im besten Fall mehr Freude an unserer Arbeit.
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