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Siebert-Kolumne: Die Zeit danach

Nicht nur unsere Gesundheit, auch die Gesellschaft müssen wir schützen, sagt unser Kolumnist Jürgen Siebert

Jürgen siebert, Sieberts FundstückeBild: Norman Posselt

Acht Wochen nachdem die deutsche Wirtschaft heruntergefahren wurde, reden alle von der Zeit nach Corona. Prophezeiungen haben Hochkonjunktur, wobei die Vorhersage der Zukunft so ungewiss ist wie die des Wetters: Was heute viel Wind macht, stellt sich nächste Woche als laues Lüftchen heraus. Doch: Es wird keine Zeit nach Corona geben, sondern eine sehr lange Zeit mit Corona. Ob diese Periode erträglich, katastrophal oder so lala wird, weiß kein Mensch.

Trotzdem schenken wir den Vorboten des Guten viel Aufmerksamkeit, weil das angenehmere Nachrichten sind als jene aus Intensivstationen oder von Massenbegräbnissen. Den Zukunftsforscher
Matthias Horx hat das Covid19-Virus schon zwei Wochen nach dem Lockdown in einen »Rausch des Positiven« versetzt: Das gemeinsame Überstehen der Krise schaffe »eine resilientere Gesellschaft und einen neuen, achtsamen Umgang miteinander«, schreibt Horx. Das Digitale sei mit einem Mal Alltag, die Wirtschaft beschäftige sich mit der Glokalisierung, und der Kohlendioxidausstoß werde 2020 erstmals abnehmen. Letzteres scheint allerdings bereits widerlegt zu sein: Trotz Reduzierung des Kfz-Verkehrs auf rund 40 Prozent melden die Messstationen in Großstädten weiterhin hohe CO2-Werte.

Ästhetik-Professor Bazon Brock nennt solche Sterndeutereien schlicht »Unsinn«. Bisher habe die Menschheit noch aus keiner Katastrophe nachhaltig gelernt: »Optimisten sind Volksverdummer.« Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte zwischen den beiden Extrempositionen … Was wir nach wenigen Wochen Krise schon sagen können: Das Tempo, mit dem Politik, Wirtschaft, die Medien und wir Menschen wegweisende Entscheidungen treffen und tragen, hat nicht nur Skeptiker erstaunt. Und dabei stehen, zumindest in unserem Land, Werte wie Solidarität, Verständnis und Verantwortung ganz weit oben.

Das Schlüsselwort im Dialog zwischen Politik und Bevölkerung heißt Vertrauen. Mündige, gut informierte Bürger gehen mit Krisen in der Regel weitblickender um als eine staatlich überwachte Bevölkerung. Wenn die Politik auf wissenschaftliche Fakten hört und danach handelt – und dabei nicht vergisst, die Entscheidungen transparent zu kommunizieren, kann eine Gesellschaft auch ohne Big Brother das Richtige tun.

Leider hat sich in den letzten Jahren – selbst in aufgeklärten verbündeten Industrienationen – eine Politik etabliert, die das Vertrauen in die Wissenschaft, in demokratische Prozesse und in die Medien untergräbt. Im Kampf gegen Corona tendieren einige Staatenlenker dazu, den direkten Weg in die Autokratie einzuschlagen oder forciert fortzusetzen, wobei sie den teils mitverursachten Ausnahmezustand für sich nutzen.

Die Corona-Krise stellt unsere Gesellschaft auf die Probe. Dabei spielen Kreative eine wichtige Rolle, weil sie dazu beitragen, den Weg aus der Pandemie zu gestalten.

Wenn es um hilfreiche Apps geht, eine Online-Plattform, um Infografiken, Plakate oder Kampagnen, sind neue Ideen unentbehrlich. Unterstützt oder hinterfragt sie! Orientiert euch dabei am Wertekanon unserer demokratischen Gesellschaft. Achtet auf übergeordnete Interessen, Finanzierung und einen möglichen Eigennutz im Kreis des/der Auftraggeber(s)! Wenn wir jetzt falsche Entscheidungen treffen und damit kostbare Werte aufgeben, dient das vielleicht kurzfristig der körperlichen Gesundheit, könnte aber der gesellschaftlichen langfristig schaden. Beides muss möglich sein. Doch das ist erst der halbe Weg.

Die Pandemie ist eine globale Krise und muss daher auch global gelöst werden. Corona zeigt das sehr deutlich. Nationale Experimente, sei es aus Trotz oder Ignoranz, werden umgehend bestraft. Das Virus erinnert die Menschheit an die Tragweite einer globalen Solidarität. Je mehr Nationen sich für Alleingänge entscheiden, umso länger werden wir mit der Krise kämpfen. Schafft es das Virus, die Menschheit zu solidarisieren, wäre dies nicht nur ein Sieg gegen Corona, sondern gleichzeitig die Basis für die Bewältigung weiterer globaler Krisen.

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