Die Zukunft des Designs heruntergebrochen auf acht Thesen – diesen Versuch hat Strichpunkt-Gründer Jochen Rädeker unternommen. These 4 lautet »Ni Hao statt Hallo« und meint damit: Unsere verschlafene Technik killt Fortschritt und Designjobs. Boris Kochan hält mit seinem Konter dagegen. Diskutieren Sie mit!
Hat Jochen Rädeker mit seinen Thesen Recht? Erfahren werden wir es letztlich erst in ein paar Jahren, aber es lohnt sich, schon jetzt über die Zukunft des Designberufs zu diskutieren. Insgesamt sind es acht zum Teil sehr herausfordernde Gedanken, die der Gründer der Designagentur Strichpunkt für uns zusammengefasst hat. Für eine richtige Debatte aber braucht es Konter – in diesem Falle Antworten namhafter Experten wie Stefan Sagmeister oder Boris Kochan. Eine Übersicht über die bisherige Diskussion finden Sie in unserem Artikel »The Future of Design: Thesen von Jochen Rädeker«. Beteiligen Sie sich an der Debatte – ganz leicht über die Kommentarfunktion am Ende des Artikels. Darum geht’s in Teil 4 der Design-Debatte:
Debatte: The Future of Design ++ Visual Trend: Cultural Cross-over ++ Für Kunden im Nahen Osten arbeiten ++ Top-Schriften für UI Design und Coding ++ Kundenbindung durch Erlebnisse: Innovationsprojekt für adidas ++ CD/CI: Vom PDF-Bericht zum kompletten Branding ++ EXTRA: Top 50: PAGE Ranking 2020
Deutschland und Österreich werden zu Entwicklungsländern. Dank digitaler Transformation werden Millionen Jobs in der Produktion wegfallen, aber auch viele in der Kreation. Schwarzmalerei? Leider nein. Der Grund liegt in der verschlafenen Digitalisierung: Nur 1,6 Prozent der Haushalte in Deutschland hatten 2019 direkten Zugang zu Glasfaserleitungen, lediglich Österreich schneidet in Europa noch schlechter ab. In Indien liegt die Highspeed-Abdeckung bei über 85 Prozent, und selbst in Kambodscha ist sie deutlich besser als bei uns. Ein flächendeckendes Gigabit-Netz ist Voraussetzung für designprägende Schlüsseltechnologien und Zukunftsmärkte wie autonomes Fahren – und dieses Ziel wird Deutschland nicht einmal bis 2025 erreichen. In China dagegen sind seit 2017 quasi alle Dörfer im Gigabitnetz angeschlossen, in Städten wie Shanghai sind bereits 10 Gigabit pro Sekunde für alle Haushalte verfügbar.
Das mögen zunächst technische Daten sein, aber sie erlauben bereits heute Designs und Arbeitsweisen, die für uns in Deutschland noch nach Zukunftsmusik klingen. Design hat sich immer am technisch Möglichen orientiert – und am Formempfinden der wichtigsten Absatzmärkte. In China sind rund 30-mal mehr Designstudenten eingeschrieben als in Deutschland – und sie lernen und praktizieren eine Designausrichtung und Ästhetik, die nur wenig gemein hat mit unseren hehren Bauhaus-Prinzipien, auch wenn der Respekt davor (noch) hoch ist. Die Chancen stehen nicht gut dafür, dass europäisches oder amerikanisches Design in den 2020ern stilbildend sein wird: Wir tun gut daran, Mandarin oder Hindi zu lernen und vor allem unseren Blick auf östliche Kulturen mit ihrer eigenen, reichen Tradition in der Formgebung zu schärfen, um am gestalterischen Puls der Zeit zu bleiben.
Konter: Design orientiert sich am Menschen – nicht an Technologie
Ich wünsche dann mal viel Vergnügen beim Lernen von Mandarin oder Hindi – und bei der Schärfung des Blicks auf östliche Kulturen. Sorry, bei aller Lust (und häufig auch Notwendigkeit) am Zuspitzen: Das hier ist einfach nicht präzise und unzusammenhängend. Da wird der nun wirklich beklagenswerte mangelhafte Netzausbau mal schnell als Grund für Arbeitsplatzverlust angeführt – jedoch: Nicht wegen der verschlafenen Digitalisierung fallen Millionen Jobs weg, sondern weil das nach einschlägigen Prognosen systemimmanenter Bestandteil von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz ist. Dabei wäre es so spannend, sich, wie der Medienwissenschaftler Felix Stalder es formuliert, mit »Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität« als den charakteristischen Formen einer »Kultur der Digitalität« zu beschäftigen. Und was Design darin für eine Funktion hat.
Weiter wird dann hurtig das wunderbare (Feind-)Bild China genutzt und die Anzahl eingeschriebener chinesischer Designstudenten mit künftiger Stilbildung gleichgesetzt. »Design hat sich immer am technisch Möglichen orientiert«: Ja, genau. Klingt eingängig, verkürzt aber in seiner Absolutheit und führt auf die falsche Fährte. Es ist genau der Fehler, der hierzulande seit den 1990er Jahren die Potenziale von Design vernichtet (hat). Dieser ausschließliche Bezug zum Technischen – und Design dann als kleines oder großes dienstleistendes Rädchen zur Sicherung von (neuerdings auch im Wirtschaftsministerium entdeckten) »nichttechnischen Innovationen« zu sehen. Dabei hat sich und muss sich Design am Menschen orientieren. Das kann man übrigens auch in fernöstlichen Kulturen lernen . . .
Boris Kochan ist Gründer und Geschäftsführer der Branding- und Designagentur Kochan & Partner in München. Zudem ist er Sprecher des Deutschen Designtags e. V.
Was halten Sie von dieser These? Ihre Meinung ist gefragt!
Sie können sich ganz leicht an der Diskussion beteiligen: Nutzen Sie dafür einfach die Kommentarfunktion unter dem Artikel. Und bleiben Sie dran: Jede Woche veröffentlichen wir eine neue These von Jochen Rädeker samt Konter.
These 4 behauptet in seiner doch etwas sehr einseitigen Sicht, dass Design, damit auch gutes Design, etwas mit digitaler Geschwindigkeit zu tun hätte.
Das ist, mit Verlaub, Unfug! Ich habe noch nie ein gutes Produkt gesehen, welches mit digitaler Hochgeschwindigkeit gestaltet wurde. Diese Hochgeschwindigkeit benötigen wir in meiner Agentur lediglich für die Übertragung von Daten an unsere Kunden. Das, was vorher passiert, hat nichts bzw. sehr wenig mit Geschwindigkeit sondern mit analytischem und innovativem Denken und Arbeiten zu tun.
Ebenso halte ich den Hinweis, dass in China 30 mal mehr Designstudenten als in Deutschland eingeschrieben sind für Panik des Autors. Er sollte dabei auch nicht vergessen, dass die chin. Bevölkerung ca. 16 mal größer als die deutsche ist. Menge ist aber noch lange kein Garant für Qualität. Dafür viel mehr für billig und Niedriglohn. Mir wird von chinesischen Firmen immer wieder erzählt, wie viele Designer sie in ihren Unternehmen beschäftigen. Dann schaue ich mir die Produktpalette an und stelle meistens fest, dass außer Kopieren und Nachahmen nicht viel aus chinesischen Unternehmen kommt. Die guten Produkte werden vor allem und nach wie vor von westlichen Designern gestaltet.
These 4 behauptet in seiner doch etwas sehr einseitigen Sicht, dass Design, damit auch gutes Design, etwas mit digitaler Geschwindigkeit zu tun hätte.
Das ist, mit Verlaub, Unfug! Ich habe noch nie ein gutes Produkt gesehen, welches mit digitaler Hochgeschwindigkeit gestaltet wurde. Diese Hochgeschwindigkeit benötigen wir in meiner Agentur lediglich für die Übertragung von Daten an unsere Kunden. Das, was vorher passiert, hat nichts bzw. sehr wenig mit Geschwindigkeit sondern mit analytischem und innovativem Denken und Arbeiten zu tun.
Ebenso halte ich den Hinweis, dass in China 30 mal mehr Designstudenten als in Deutschland eingeschrieben sind für Panik des Autors. Er sollte dabei auch nicht vergessen, dass die chin. Bevölkerung ca. 16 mal größer als die deutsche ist. Menge ist aber noch lange kein Garant für Qualität. Dafür viel mehr für billig und Niedriglohn. Mir wird von chinesischen Firmen immer wieder erzählt, wie viele Designer sie in ihren Unternehmen beschäftigen. Dann schaue ich mir die Produktpalette an und stelle meistens fest, dass außer Kopieren und Nachahmen nicht viel aus chinesischen Unternehmen kommt. Die guten Produkte werden vor allem und nach wie vor von westlichen Designern gestaltet.