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Circular Design dank KI?

Wie künstliche Intelligenz uns helfen könnte, der Komplexität der Welt Herr zu werden – vorausgesetzt, man will nicht lieber auf den Mars auswandern. Eine neue Ausgabe der KI-Kolumne von Indeed-Chef Karel Golta.

Im Juli waren alle Gedanken und Köpfe dem Mond zugewandt anlässlich der 50-Jahrfeier von Apollo 11 und der Mondlandung. Dabei dachten sicherlich einige: »Wenn die Menschen damals zu Beginn des KI-Winters mit so primitiver Technologie bis zum Mond gekommen sind, dann kann die baldige Besiedelung des Mars doch echt kein Problem sein.«

Während die meisten Menschen gen Himmel schauten, erforschte ich tauchend die irdischen Tiefen unseres Planeten, genauer: das Mittelmeer. Den wenigsten ist bewusst, dass der Sauerstoff für jeden zweiten unserer Atemzüge in den Weltmeeren produziert wird. Ja, da wo der Plastikmüll wabert. Das kümmert uns augenscheinlich noch weniger als die Sauerstoffproduktion in unseren Wäldern. Dafür erforschen wir unermüdlich und mit unvorstellbar viel Geld die Weiten des Weltraums, wo das nächstbekannte Sauerstoffvorkommen 1360 Lichtjahre entfernt ist. Macht Sinn?

Die Sinnfrage mag auch gestellt werden, wenn die Politik fordert, dass Hersteller von Wegwerfplastikware für die Kosten der Entsorgung der Artikel aufkommen. Im Anschluss wird der Müll nach Afrika exportiert, um dort, küstennah gelagert, langsam ins Meer zu gleiten. Das nennt man Kreislaufwirtschaft. Ist doch logisch. Auch werden die 12% mehr Mehrwertsteuer auf Fleisch selbstredend den Zuchttieren ein wunderbares Leben ermöglichen?

Wir Menschen glauben durch das ganze Wissen und die Technologien mehr zu können. Aber alleine können wir immer weniger.

Ich gebe zu: unsere Welt ist unermesslich komplex geworden. Wir Menschen glauben durch das ganze Wissen und die Technologien mehr zu können. Aber alleine können wir immer weniger. Oder könnten sie sich wie vor 200 Jahren mittels eines Kleingartens selbst ernähren?

Die Zusammenhänge von Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt und Technologie sind für uns extrem vielschichtig und verflochten. Egal wie sehr wir uns bemühen Zusammenhänge und Abhängigkeiten, also Kreisläufe und Systeme, zu verstehen, mit eigener Geisteskraft schaffen wir es nicht. So schaffen wir lieber Fakten. Verkaufen sie als Lösung. Und bitten keine Fragen zu stellen.

Wir müssen verstehen, wie die Welt funktioniert

Doch wenn wir eine Circular Economy gestalten und lenken wollen, müssen wir zuerst verstehen. Wirklich verstehen, was unsere Welt im Innersten zusammenhält.

Ja, wie im Design Thinking müssen jeweils zuerst in einer Identify-Phase grundlegende Erkenntnisse und Zusammenhänge gewonnen werden. Die menschliche Empirie ist dabei beschränkt. Die gigantischen Datenmengen der unterschiedlichsten Domänen können nur mittels KI so verarbeitet werden, dass sie die Grundlage für eine mögliche Lösung bieten. Denn lasst uns nicht vergessen, dass nur weil wir etwas nicht verstehen, es trotzdem existieren bzw. es einen noch unentdeckten Zusammenhang geben kann.

Die gigantischen Datenmengen der unterschiedlichsten Domänen können nur mittels KI so verarbeitet werden, dass sie die Grundlage für eine mögliche Lösung bieten.

Es besteht also die begründetet Hoffnung, dass KI uns hilft, für Menschen unverständlich komplexe Systeme so aufzubrechen, dass wir Menschen verstehen und vermittelbare Lösungen erarbeiten können.

Der Weg dahin ist noch weit. Wir haben zwar künstlich intelligente Chatbots, die uns helfen Versicherungsverträge auszufüllen, was auch ziemlich unverständliches Zeug ist. KI hilft ebenfalls dem Onkologen bei der Diagnose – extrem wichtig. Und wir können eine KI mittels Algorithmen Stühle gestalten lassen, was beeindruckt. Doch leider nutzen wir KI fast ausschließlich für deterministische Ergebnisse.

Wenn wir aber verstehen wollen, müssen wir KI zuerst nutzen, um die richtige Frage zu stellen, um Kausalitäten aufzuzeigen, um den Anfang zu verstehen und nicht nur das Ende. Doch damit lässt sich kein Geld verdienen. Bis jetzt.

Ist KI der Schlüssel zur Circular Economy?

Mit den weltweit immer häufiger stattfindenden Diskussionen rund um Circular Design und Circular Economy ändert sich das langsam. Das World Economic Forum zum Beispiel ist überzeugt, das KI ein Schlüssel zum Managen der Komplexität der Kreislaufwirtschaft ist. Die Stanford University hat gerade das »Sustainability and Artificial Intelligence Lab« gegründet.

Selbst die Bundesregierung hat just durch das Bundesumweltministerium eine Förderinitiative »KI-Leuchttürme für Umwelt, Klima, Natur und Ressourcen« ausgearbeitet und stellt dafür 27 Millionen Euro zur Verfügung. Die ersten Cents werden also umverteilt. Im Vergleich dazu: Die Stadt Düsseldorf wird alleine für die Erhöhung von 200 Brückengeländer um 30 cm mindestens 15 Millionen Euros ausgeben. Ohne Präzedenzfall ist man überzeugt, die heute 1 Meter hohen Geländer könnten Fahrradfahrer nicht genügend von einem Sturz von der Brücke schützen.

Was ist heute wirklich wichtig, damit es uns morgen gut geht?

Und warum geben wir überhaupt mühsam gesammeltes Steuergeld für die KI-Forschung aus? Warum damit nicht Schnupfen heilen oder das bedingungslose Grundeinkommen einführen?

Was ist heute wirklich wichtig, damit es uns morgen gut geht?

Ich kann die Menschen verstehen, die sich ob dieser weltlichen Komplexität lieber in eine Zukunft auf dem Mond oder Mars teleportieren wollen. Da ist alles einfacher. Noch keine Megacities und Verkehrsinfarkte, keinen Trump und keine Umweltprobleme. Da wird jeder gebraucht, also auch keine Angst vor dem Jobverlust.

Eskapismus ist halt auch eine Lösung.

Lesen Sie auch:

Teil 4 der KI-Kolumne: »Design Doing mit künstlicher Intelligenz«

Teil 3 der KI-Kolumne: »Künstliche Intelligenz: Was Mensch und Maschine verbindet«

Teil 2 der KI-Kolumne: »Daten machen Krach«

Auftakt zu Karel Goltas KI-Kolumne: »Design for President?«

eDossier »Die Zukunft von Design im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz«

Webinar-Video »Die Zukunft von Design im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz«

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