Am Donnerstag, dem 10. September, verstarb im Alter von 87 Jahren in Bremgarten bei Bern die Schweizer Schriftlegende Adrian Frutiger.
Adrian Frutiger und Akira Kobayashi bei der Arbeit an der Neuen Frutiger.
Nachdem am 4. Juni bereits Hermann Zapf gestorben war, verliert die Typowelt mit Adrian Frutiger nun ihren zweiten großen Künstler. Auch wenn Frutiger selbst das wohl nicht so gesehen hätte – jedem, der ihn persönlich kennengelernt hat, fiel als Erstes seine große Bescheidenheit auf.
Aber trotz aller Bescheidenheit war Adrian Frutiger einer der wenigen Schriftgestalter, von dem auch Menschen außerhalb der Typo- und Gestaltungsszene schon mal gehört hatten. Diese Bekanntheit ist vor allem seinen beiden Schriftfamilien Univers und Frutiger zu verdanken.
Die serifenlose Linear-Antiqua Univers, die Adrian Frutiger Anfang der 50er Jahre gestaltete, war keine einzelne Schrift, sondern erstmals ein ins ich geschlossenes System, in dem Zahlen statt Namen die einzelnen Schnitte kennzeichneten. Ausgehend vom Normalschnitt Univers 55 leiteten sich alle weiteren Schnitte ab. Die später von Linotype mehrfach überarbeitete Univers Schriftfamilie ist auch heute noch vielfach in Gebrauch.
Adrian Frutigers zweiter großer Wurf war die Frutiger-Familie. Ende der 60er Jahre fiel der Startschuss für die Planungen des Pariser Großflughafens Charles de Gaulle (Roissy). Der junge Architekt Paul Andreu stellte eine unkonventionelle Expertenkommission aus Farbpsychologen, Designern, Philosophen und Musikern zusammen, um mit ihnen wegweisende Neuerungen zu entwickeln. Der Entwurf des Flughafenleitsystems wurde Adrian Frutiger und seinem Atelier übertragen. »Alle nahmen an, ich würde zur Univers greifen,« erzählte Frutiger viele Jahre später. »Doch mir wurde schon bald klar, dass sie zu rund und geschlossen für die schnelle Wahrnehmung von Wegweisern war.«
Stattdessen nahm er seine 1959 gestaltete Concorde als Basis und schuf daraus die klare und gut lesbare Schrift Roissy. Nicht nur Paul Andreu, die gesamte Fachwelt war begeistert. Aufgrund der großen Nachfrage entwickelte Frutiger eine um zusätzliche Schnitte erweiterte Druckversion der Roissy: die Frutiger, die rasch zum Bestseller und Inbegriff von Lesbarkeit wurde.
Auch die Frutiger wurde von Linotype mehrfach überarbeitet: 1999 kam die Frutiger Next, 2008 – zu Frutigers 80. Geburtstag – die Frutiger Serif. 2009 schließlich die Neue Frutiger, Linotypes künstlerischer Leiter Akira Kobayashi hatte sich gemeinsam mit Adrian Frutiger die Urschrift vorgenommen, sie überarbeitet und ausgebaut. Natürlich widmeten wir diesem ehrgeizigen Projekt einen Artikel in der PAGE, in der Ausgabe 09/2009.
Nach Vollendung des Projekts »Neue Frutiger« schrieb Adrian Frutiger einen sehr persönlichen Brief an Akira Kobayashi. Vermutlich bedeuteten diese Worte des Großmeisters der Typografie für Akira Kobayashi mehr, als alle Wettbewerbsauszeichnungen der Welt.
Neben Univers und Frutiger entwarf Adrian Frutiger in seinem langen Leben noch viel mehr Schriften. Wer sich dafür interessiert, dem sei das Buch »Adrian Frutiger Schriften. Das Gesamtwerk« empfohlen, dass letztes Jahr in einer Neuauflage im Birkhäuser Verlag erschien (460 Seiten, 69,95 Euro, ISBN 978- 3038215240).
Lesbarkeit stand für den Schweizer, der eine Schriftsetzerlehre absolviert und an der Kunstgewerbeschule Zürich studiert hatte, immer im Vordergrund. Dem Team von Linotype berichtete er vor einigen Jahren warum: »Im Blei habe ich die Schrift und ihre Fähigkeit, mit immer denselben Lettern die ganze geistige Welt lesbar werden zu lassen, zuerst erlebt. Damit erwachte in mir das Bedürfnis, die bestmögliche Lesbarkeit zu entwickeln.«
Die fortschreitende Technik war für Adrian Frutiger nicht nur Anlass zur Freude: »Schnell kam die Zeit, in der ein Text nicht mehr mit Bleibuchstaben, sondern durch einen Lichtstrahl gesetzt wurde. Die Aufgabe, die Schriften der alten Meister vom Hoch- in den Flachdruck umzudenken, war für mich die beste Schule. Als es jedoch um den Grotesk-Stil ging, hatte ich meine eigene Vorstellung: es entstand die Univers-Familie. Die technischen Fortschritte gingen rasch voran. Die elektronische Bildübertragung brachte die Verzackung und später die Vektorisierung der Umrisse. Für mein Formengefühl war das eine Leidenszeit. Doch heute, mit Kurvenprogrammen und Laserbelichtung, scheint mir, dieser Weg durch die Wüste sei zu Ende gegangen.
Aus allen diesen Erfahrungen habe ich als Wichtigstes gelernt, dass Lesbarkeit und Schönheit ganz nahe beieinander stehen und dass die Schriftgestalt in ihrer Zurückhaltung vom Leser nicht erkannt, sondern nur erfühlt werden darf. Die gute Schrift ist diejenige, die sich aus dem Bewusstsein des Lesers zurückzieht, um den Geist des Schreibenden und dem Verstehen des Lesenden alleiniges Werkzeug zu sein.«
Wer Adrian Frutiger noch einmal hören möchte kann das auf YouTube tun. In einem eindreiviertel Stunden langen Interview, das der Filmemacher Sebastian Rohner 2007 mit ihm geführt hatte.