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Font&Form: Der übersehene Code des Wahlkampfs

Typedesigner Sven Fuchs von der Peter Schmidt Group über die Eigenheiten von Wahlkampf-Type. Typografisch analysiert – ohne politische Wertung

Ein schwarzes Plakat mit verschiedenen Fontsamples vor einer weißen Wand
Okay, vielleicht nicht ganz unpolitisch. Aussage und Schriftbild lassen sich nämlich nicht trennen. In diesem Type-Specimen testet Sven mal neue Wahlkampf-Slogans

Farben, Köpfe, Logos, Statements – die Kampagnen der Parteien zur Bundestagswahl lassen sich auf wenige Bausteine reduzieren. Doch was ist eigentlich mit den Schriften, die auf den Plakaten verwendet werden? Passen die Assoziationen, die sie wecken, zu den Aussagen, die sie vermitteln sollen? Welche Partei hält sich an ihren eigenen Styleguide – welche bricht aus und warum? 

Sven Fuchs, Typograf und Designer bei Peter Schmidt, bewertet Wahlkampf-Type in seiner neuen Kolumne »Font&Form«, die erstmals in PAGE 01.25 erscheint. Hier lest ihr einen ersten Sneak Peek

SPD: Kontinuität in The Sans

Bereits seit über zwanzig Jahren nutzt die Partei die »SPD The Sans« aus der Thesis-Familie von Luc(as) de Groot als Hausschrift. Sie ist also ein fester Markenbaustein der SPD und ein Gegenstatement zu kurzlebigen Trends. Modern, aber nicht modisch – eine zeitlose Wahl, die klare Haltung und Verlässlichkeit ausstrahlt. Im Versalsatz vermittelt sie zudem Stärke.

So passt sie zur generellen Ausrichtung der Kampagne, die Olaf Scholz als ruhenden Pol in aufgeregten Zeiten inszeniert und Begriffe wie »Sicherheit« in den Fokus rückt. Zugleich verkörpert sie als humanistische Sans Serif Werte wie Solidarität und soziale Gerechtigkeit: Typografie als stiller, aber wirkungsvoller Träger sozialdemokratischer Identität.

CDU: Offiziell in Inter und IBM Plex

Als einzige große Partei setzt die CDU auf eine Schriftmischung aus Sans und Antiqua: Die serifenlose Inter von Rasmus Andersson trifft auf die IBM Plex Serif von Bold Monday. Diese Kombination erzeugt klare Hierarchien, visuelle Tiefe und wirkt fast schon hoheitlich: als wäre es die Regierung, die mit einem kommuniziert. Während die Inter für Sachlichkeit und Moderne steht, verleiht die IBM Plex Serif mit ihren Serifen der Gestaltung eine traditionelle Autorität.

Die Wahl letzterer ist besonders spannend: Als Hausschrift von IBM trägt sie eine digitale DNA in sich. Sie weckt Assoziationen zu Innovation, Technologie und Fortschritt. Durch die Balance aus zeitgemäßer Funktionalität und klassischer Typografie spiegelt die Kampagne der CDU somit den Spagat zwischen Bewahrung und Erneuerung wider. 

Die Grünen: Zuversicht in Gotham und GrueneType

Die Grünen setzen mit der Gotham von Jonathan Hoefler und Tobias Frere-Jones auf eine Schrift, die seit Barack Obamas Wahlkampf für Reformkraft und visionären Pragmatismus steht: »Hope« und »Chance« titelte Obama – »Zuversicht« und »Zusammen« plakatieren die Grünen. Frei nach ihrem Slogan »Ein Mensch, ein Wort.« Die sachliche Klarheit der Gotham im Versalsatz verleiht den Botschaften seriöse Entschlossenheit.

Hinzu kommt die Eigenentwicklung GrueneType, die in den Sublines kursiv eingesetzt wird und behutsam Innovation vermittelt. Ein typografischer Mittelweg zwischen Tradition und Fortschritt, der aber auch eine gewisse Unentschlossenheit offenbart: Die Gotham mit ihren offenen Formen trifft auf die geschlossener wirkende Neo-Grotesk GrueneType. 

 

FDP: Fernwirkung in Field Gothic

Laut Guideline ist die Sache bei der FDP klar: Die Futura Bold Oblique von Paul Renner soll es in der Kommunikation sein. Aber offensichtlich haben sich die Kampagnenmacher gefragt, ob man sich mit dieser ausreichend gegen die Konkurrenz abgrenzt. Genau das steht bei der Kampagne nämlich im Fokus: Selbstbewusstsein zu demonstrieren, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. So entscheidet sich die FDP für die ultrafette und weite Field Gothic von Max Phillips: Auf leuchtendem Gelb sorgt sie für maximale Fernwirkung und unverkennbare Präsenz im Straßenbild. Die Kombination mit Schwarz-Weiß-Fotografie und reduzierter Gestaltung verstärkt die Klarheit der Botschaft: modern, entschlossen, prägnant. Ein gutes Beispiel für die strategische Kraft von Typografie in der visuellen Kommunikation.

AfD: Charakterlos in Barlow

Die AfD setzt mit Barlow von Jeremy Tribby auf eine enge Neo-Grotesk, die maximale Funktionalität bietet. Sie wirkt streng, distanziert und unpersönlich – eine Schrift ohne gestalterische Eigenständigkeit. Für die Kampagne bietet sie jedoch einen Vorteil: Sie ist platzsparend. Während andere Parteien Typografie nutzen, um Emotionen zu vermitteln, lässt der Einsatz der Barlow ausreichend Raum für polarisierende Worte und inhaltliche Zuspitzung.

Die Linke: Dynamisch in WorkSans

2024 hat sich Die Linke ein neues Corporate Design gegeben, 2025 steht dieses vor seiner vielleicht größten kommunikativen Bewährungsprobe. Auf den Plakaten fällt eine Schrift auf, die programmatisch perfekt zur Partei passt – die Work Sans von Wei Huang: Ihr Name verweist auf die Funktion als »Workhorse«; ihre Form wirkt progressiv, setzt starke Akzente und ermöglicht moderne Kommunikation. Der extreme Kontrast zwischen dem markanten Heavy-Schnitt und ultraleichten Varianten schafft grafische Dynamik, birgt jedoch zugleich funktionale Risiken: Hier geht der ästhetische Anspruch auf Kosten der Lesbarkeit und einige textlastige Plakatmotive lassen sich nur schwer decodieren – was schade ist, weil auf ihnen teilweise ein cleverer Wortwitz schlummert. Dennoch: Die Linke hat die Kraft zeitgemäßer Typografie erkannt.

BSW: Unentschlossen in Helvetica

Welcher Kopf auf die Plakate des BSW kommt, war in der Kampagnenentwicklung sicher ein »No Brainer«, alles andere scheint hingegen immer noch in der Findungsphase zu stecken: Logo, Farben – und eben auch die Typografie. In der Not entscheidet man sich für die Helvetica von Max Miedinger. Man kann sie einsetzen, um Präzision zu vermitteln und sachliche Klarheit auszudrücken, das jedoch setzt mehr gestalterische Raffinesse voraus, als das BSW auf seinen Plakaten demonstriert: Der Mix unterschiedlicher Schnitte und ein fragwürdiger Farbverlauf schwächen Kontrast, Lesbarkeit und Fernwirkung. So wirkt die Partei, die für einen Neuanfang stehen möchte, als wäre sie in den Neunzigerjahren steckengeblieben.

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