
Wie wird Sora die Kreativwelt verändern, Max Lederer?
Open AIs neues Video-Modell Sora sorgt für Furore in der Branche. KI-Experte Max Lederer hat sich intensiv damit befasst. Er bewertet für uns die Chancen und Risiken – und erklärt, inwieweit die KI neue Vergütungsmodelle erzwingen wird.
Max, du bist KI-Experte bei Jung von Matt und hast dich sicher schon mit Sora auseinandergesetzt. Was waren deine Gedanken, als du Sora zum ersten Mal genutzt hast?
Max Lederer: Sora ist bisher nicht für die öffentliche Nutzung zugänglich – ausschließlich über persönliche Invites. Und ich darf nicht verraten, ob wir bereits einen haben (zwinkert).
Ich kann aber sagen, dass die ersten gezeigten Beispiele, und vor allem auch das »Live-Prompting« von Videos von Sam Altman auf X uns in der Agentur alle überwältigt haben. Selbst die besonnensten Entwickler:innen bei uns warfen mit Superlativen um sich. Es hatte schon etwas von der ersten Mondlandung, denn: bisher war es ja mit Modellen wie Runway nur möglich, statische Bilder oder Prompts bis zu sechs Sekunden zu animieren. Dass Text-to-video bald kommen würde, war uns allen klar – dass es so schnell und in dieser Qualität und Länge mit bis zu 60 Sekunden verfügbar sein würde, hat uns alle überrascht.
»Es hatte fast schon etwas von der ersten Mondlandung«
Welche Auswirkungen wird Sora auf die Kreation haben?
Max Lederer: Der Release gibt uns nur einen winzigen Ausblick, welche Möglichkeiten uns generative KI in Zukunft noch bieten wird. Wir sollten uns alle vergegenwärtigen, dass wir gerade am Anfang der Entwicklung dieser Technologie stehen.
Wir sehen gerade die AOL-CD, das Nokia 6210, den »Flyer-1« der Gebrüder Wright. Im Gegensatz zu vielen kritischen Stimmen, die sich jetzt zu den vermeintlichen Schwächen oder Limitationen einer Technologie äußern, deren konkrete Umfänge und Anwendungsmöglichkeiten in der Zukunft keiner von uns voraussehen kann, konzentrieren wir uns auf die Stärken und sind gespannt auf die weitreichende Innovation.
Welche Vorteile seht ihr für euch als Agentur?
Zunächst einmal sehen wir hier eine Technologie zur Automatisierung von kleineren Bewegtbildproduktionen. Angesichts des sehr hohen Content-Bedarfes großer Marken, der meist auch mit hohem Kostendruck einhergeht, sehen wir hier die Chance unseren Kund:innen kostengünstige Alternativen zu klassischen Produktionen anzubieten. Social-Media-Content hat ja nur eine sehr kurze Halbwertszeit. Hier sehen wir einen großen Hebel, um entweder günstiger zu werden oder Teile des Contents zu automatisieren, um diese Einsparungen dann in aufwändigere produzierte kreative Highlights zu investieren, die dann wieder zu mehr Aufmerksamkeit führen.
Weiterhin sehen wir großes Potenzial für User-generativ-Content. UgC-Kampagnen fehlte es in der Vergangenheit einerseits an Qualität und Brand-Fit des Contents. Und andererseits mangelte es an der konkreten Motivation für Nutzer:innen, ihre Zeit und Kreativität für »Werbung« einzusetzen.
Die hohe Qualität generativer KI-Modelle löst dieses Problem für beide Seiten: Für Marken können wir zum Beispiel die Modelle so trainieren, dass der Content zur Tonalität der Marke passt, und User:innen haben mehr Spaß an eigenem Content in Hollywood-Qualität.
»Es besteht also die Gefahr der endlosen Wiederholung von Gesehenem«
Und welche Nachteile?
Gerade bei der Aufbereitung und Visualisierung von Ideen sehe ich die Gefahr einer Verstärkung der »Moodfilm-Falle«: je konkreter und hübscher ein Mood- oder Layoutfilm ist, desto schwerer ist es für Kund:innen, das Gesehene zu abstrahieren, und sich auf eine neue, unerwartete Tonalität oder Ästhetik einzulassen. Bei einigen Kampagnen kann man heute ja schon ablesen, welche Szene Vorlage für die Produktion war. Vereinfacht gesagt verknüpfen Modelle wie Sora unzählige Schnipsel der Stock-Footage, auf der sie trainiert wurden. Es besteht also die Gefahr der endlosen Wiederholung von Gesehenem.
Werden Jobs dadurch wegfallen?
Ich finde, wir müssen jetzt alle erkennen, dass diese Technologie unsere gesamte Branche, unsere Kreations- und Produktionsprozesse und Business-Modelle auf den Kopf stellen wird. Und ja: natürlich wird es Jobs kosten und gleichzeitig werden neue entstehen. Ich finde, es ist unredlich, ständig so zu tun, als hätte das keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
»Hier rächt sich jetzt natürlich brutal, dass es uns in der Vergangenheit nicht gelungen ist, Kreativität und Ideen-Entwicklung ausreichend zu monetarisieren«
Es gibt bereits Thesen, dass die Agenturleistung, künftig nur noch aus strategischer Planung und Ideen-Entwicklung besteht. Wie siehst du das?
Wir leben als Branche von der Herstellung von Medieninhalten – wenn eine Technologie diese nun »for the cost of computing« – also für Strom- und Serverkosten – automatisiert, muss dies zwangsläufig zu massivem Preisdruck führen.
Es bleibt also für viele Agenturen nur Strategie, Beratung und Ideation als nachhaltiges Erlösmodell übrig – und hier rächt sich jetzt natürlich brutal, dass es uns in der Vergangenheit nicht gelungen ist, Kreativität und Ideen-Entwicklung ausreichend zu monetarisieren. Wir werden also um einem ehrlichen Dialog über unsere Vergütungsmodelle mit unseren Kund:innen nicht herumkommen.
Was gibt es hinsichtlich Deepfakes und Kennzeichnung von KI-generiertem Material zu beachten?
Max Lederer: Wir brauchen dringend eine globale, einwandfreie Kennzeichnung von KI generierten Inhalten durch digitale Wasserzeichen, und daran wird ja bereits mit Hochdruck gearbeitet. Der Vorstoß von Meta zur freiwilligen Kennzeichnung eigener KI-generierter Inhalte in ihren Produkten ist ein Anfang – reicht aber bei weitem nicht aus, um die die Glaubwürdigkeit der Medien und unseren offenen demokratischen Diskurs zu schützen.
16 Monate Midjourney und ChatGPT: Damals waren der Hype und die Erwartungen auch groß. Was hat sich seitdem tatsächlich geändert und welche Bedeutung haben die Tools im Agenturalltag tatsächlich?
Unsere Mitarbeitenden haben Zugang zu allen relevanten Gen-AI-Tools, und nutzen sie täglich. Jede Kundenpräsentation bei uns wird mittlerweile zum größten Teil mit generierten Bildern illustriert – auch, weil viele Kund:innen das von uns erwarten.
Wir haben konkrete eigene AI-Produkte wie JvM Stables im Angebot und setzen bereits viele KI-Projekte für Kunden um – von der Bildgenerierung für Automarken bis zu Chat-GPT-basierten Assistenten für den Customer Service. Die Möglichkeiten sind vielfältig und werden auch viel nachgefragt. Gen AI ist eine Commodity geworden, und ihr Einsatz wird von Kund:innen zu Recht vorausgesetzt
Welche Parallelen können wir daraus ziehen, was den Einsatz von Sora in der Werbung künftig angeht?
Im vergangenen Jahr wurden weltweit 70.000 (!) AI-Startups gegründet. Wir sollten aufhören, durch überzogene Erwartungen isolierte digitale Produkte wie Sora als »Gamechanger« hochzujazzen – damit machen wir lediglich die Arbeit des Investor Relations Departments von Microsoft.
Für jede:n Beobachter:in dieser Entwicklung muss doch völlig klar sein, dass nicht einzelne Produkte den großen Unterschied machen werden, sondern die gesamte Klaviatur dieser Technologie alle Facetten unserer Branche massiv verändern wird. Und vielleicht ist das auch gut so, denn Veränderung bedeutet ja meistens auch Fortschritt.
TRIFF MAX LEDERER AUF DEM W&V SUMMIT
KI macht Kreation schneller, besser und billiger. Was bedeutet das für das Geschäftsmodell der Agenturen einerseits und für die Markenführung andererseits? Darüber diskutiert W&V-Redakteur Conrad Breyer mit Max Lederer und außerdem mit Ulrich Klenke (Deutsche Telekom) und Larissa Pohl (GWA). Mehr zum Programm und den Tickets
(Text: Marina Rößer)
Dieser Artikel erschien zuerst bei W&V, dem führenden Magazin für die Marketingbranche. W&V bietet Markenmacher:innen Wissen, Trends, Weiterbildung und Inspiration aus einer Hand. Schau doch mal bei W&V vorbei!