Wir haben zwei Experten zu den Entwicklungen und Herausforderungen im Bereich Interface Design befragt – und mit ihnen über ihre persönlichen Interface-Visionen gesprochen.
Sprachsteuerung, Chatbots und der Amazon Dash Button – längst ist es normal geworden, in allen möglichen Bereichen des Alltags mit völlig verschiedenen Schnittstellen zu interagieren – natürlich auch jenseits des Bildschirms. Das Unternehmen Triplesense Reply aus Frankfurt konzipiert digitale Berührungspunkte und Interaktionsmöglichkeiten für Kunden wie Vorwerk oder die Deutsche Bahn. Geschäftsführer Peter Krause und Marc O. Schürmann, Head of UX, sprechen im Interview über zentrale Aufgaben und zielgruppengerechte Lösungen im Interface-Bereich.
PAGE: Welche Interfaces werden zukünftig an Bedeutung gewinnen?
Marc O. Schürmann: Heute besteht keine Notwendigkeit mehr, die »Mensch-Maschine-Interaktion« an einem Bildschirmarbeitsplatz stattfinden zu lassen. Augmented Reality kombiniert mit Voice und Artificial Intelligence ist auf dem Vormarsch.
Peter Krause: Mixed Reality Interfaces wie HoloLens und deren Gestensteuerung sind natürlich am greifbarsten. Auch Interfaces in Oberflächen wie in Spiegeln und Fenstern sind im Kommen: Mit Sensoren ausgestattet, direkt in Einrichtungsgegenständen verbaut und mit dem Web verbunden, führen sie auf Berührung Funktionen aus oder geben Informationen wieder. Intelligente Kleidung wird zunehmend eine Rolle spielen und Interaktionen teilweise übernehmen.
Welche Variante wird sich langfristig als besonders relevant erweisen?
Schürmann: Meine persönliche Interface-Vision sind transluzide Oberflächen, die AR und VR je nach Bedarf mit Voice, Gestensteuerung und Sensoren oder sogar Implantaten kombinieren. Die Ausgabe – das App-Feedback – erfolgt ebenfalls über verschiedene Wege: statt eines klassischen Bildschirms könnten das zum Beispiel Projektionen auf Brillen, Kontaktlinsen oder direkt auf der Netzhaut sein.
Welche neuen Herausforderungen entstehen dadurch für Interface- und UX Designer?
Krause: Eine Herausforderung ist die Übermittlung von Funktionsfeedback an den User. Das dezente Klopfen der Apple Watch ist bereits eine smarte haptische Lösung. Eine weitere Aufgabe: Komplexere Interaktionsketten ohne Screen zu durchlaufen – speziell, wenn umfangreiche Nutzereingaben erforderlich sind. Zudem ist Alltagstauglichkeit unabdingbar – vernetzte Sportbekleidung muss auch Kälte, Hitze, Nässe und die 30°-Wäsche überstehen. Letztlich gilt es auch, neue und schlüssige Gesten und Eingabeparadigmen zu finden und die Nutzer mit ihnen vertraut zu machen.
»Neue Interfaces können nicht ohne Beteiligung der Nutzer realisiert werden.«
Wie gelingt es, Interfaces noch humaner zu entwickeln?
Krause: Anwendungen und Interfaces müssen unbedingt vom Nutzerbedürfnis aus designt werden. Das bedeutet fast zwingend, dass neue Interfaces nicht ohne Beteiligung der Nutzer realisiert werden können. Interdisziplinäre Teams sollten stets den Sweet Spot zwischen Nutzerbedürfnis, technischer Machbarkeit und Businessziel der Marke im Blick haben. Dabei gilt es, insbesondere umfassende Ökosysteme zu berücksichtigen und zu konzipieren, statt Insellösungen zu schaffen.
Worauf muss bei der Entwicklung außerdem geachtet werden?
Krause: Interfaces sollten soweit wie möglich Hardware-unabhängig sein und ihre Kraft aus intelligenten Services beziehen. So kann über die Zeit der Mehrwert für den Nutzer gesteigert werden, ohne dass er ständig in neue Hardware investieren muss. Zudem müssen Interfaces und ihre Anwendungen Mehr-Personen-fähig und personalisierbar sein – ein wichtiger Faktor im Familien- wie Businesskontext. Ein Interface der Zukunft sollte auch auf unterschiedliche Lernfähigkeiten seiner Nutzer vorbereitet sein und Darstellung und Funktionen adaptiv anpassen.
Wie stellt man sich auf die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen ein?
Schürmann: Snapchat-erfahrenen Jugendlichen muss man einen Chatbot nicht erklären. Ältere Menschen wünschen vermutlich keinen Joystick, um durchs Internet zu surfen. Gegen Spracheingabe haben beide nichts – sofern es ihnen nicht einfacher erscheint, per Smartphone auf Objekte in ihrem Blickfeld zu zeigen, oder sie es vorziehen, vertrauenswürdige Inhalte schnell einzutippen. Anwendungsfall und Erfahrungen der anvisierten Zielgruppe müssen stets zu einander passen. Ein an Lean UX und Service Design Thinking orientiertes Vorgehen kann hier helfen, Fehlschläge zu vermeiden.
Welche neuen Berufsbilder werden sich im Bereich Interface Design ergeben?
Schürmann: Neben den klassischen Interface-Gestaltern, wie UX Architects und Visual Designer, wird die Bedeutung von Sprach- und Intelligenzforschern, wie Linguisten, Neuropsychologen und Kognitionswissenschaftlern, steigen. In der Mixed Reality der intelligenten Assistenten sind Data Scientists, AI-Experten, Video- und 3D-Producer daran gewöhnt, eng miteinander zusammenzuarbeiten.
»Die spannende Frage wird am Ende sein, wer in Zukunft überhaupt noch arbeiten muss.«
Was sollten Berufseinsteiger mitbringen?
Krause: Praktika in entsprechenden Bereichen können helfen, beispielsweise in Innovationsabteilungen oder Start-ups. Fähigkeiten im Prototyping sind ausgesprochen hilfreich – es darf auch gerne gescribbelt werden. Und wer schon mal ein agiles Team von innen gesehen hat, sprintet im Job besser voran. Vom Nutzer aus zu denken, ist natürlich eine Grundanforderung – genauso wie ein solides Wissen rund um Usability und Interface Design.
Schürmann: Erfolg versprechen alle Wege, die UX Design, Computer Science und Psychologie verbinden. Spezialisten für Machine Learning und Big Data müssen sich ohnehin keine Sorgen machen. Die spannende Frage wird am Ende sein, wer in Zukunft überhaupt noch arbeiten muss. Hoffentlich nicht nur die neue Berufsgruppe der KI-Psychologen, welche die geheimnisvolle innere Funktionsweise von Roboterintelligenzen zu ergründen suchen, die für uns den Laden schmeißen. Für deren Analysen und Therapien könnten mehrere große Bildschirmfenster mit zahlreichen Anzeigen und Schaltern wiederum recht nützlich sein.