
Step by Step: Digital Art per 3D-Druck
Von Skizzen über animierte 3D-Renderings in die physische Welt. Der Hamburger Digitalkünstler Kevin Jaeger zeigt Schritt für Schritt, wie eine seiner Skulpturen entsteht
Kevin Jaeger interessiert sich schon seit Langem für 3D-Design, denn »damit kann man aus nichts alles erschaffen, das finde ich sehr reizvoll«. Bereits während seiner Ausbildung zum Mediengestalter experimentierte er mit 3D-Softwares – und scheiterte. Fast ein Jahr lang ließ er das Thema ruhen, startete dann aber einen neuen Versuch. Dieses Mal lief es besser. Jaeger konzentrierte sich auf Cinema 4D, lernte schnell und konnte einen der wichtigsten Kunden der Agentur davon überzeugen, die bisher riesige Fotoproduktion auf 3D umzustellen.
Klassische Motive mit Glitches und Pixeln
Kevin Jaeger begann, täglich 3D-Renderings auf Instagram (@wild_once) zu posten, die immer mehr in eine künstlerische Richtung gingen. »Ich habe viel gelernt, viel ausprobiert und unheimlich viele Fehler gemacht«, so sein Resümee. Um sich ganz aufs 3D-Design konzentrieren zu können, wagte er im Herbst 2019 den Schritt in die Selbstständigkeit. Mit Erfolg.
Heute entwickelt der Designer Konzepte, Animationen und Produktvisualisierungen für Agenturen oder auch direkt für Kunden, wobei 90 Prozent seiner Aufträge im Bereich 3D angesiedelt sind. Diese Jobs nehmen aber nur rund zwei Drittel seiner Arbeitszeit in Anspruch, den Rest widmet er seiner anderen großen Liebe: der Kunst. »3D-Design und -Kunst haben mich schon immer begeistert«, so Kevin Jaeger. Seine eigenen Arbeiten zeigte er zunächst vor allem in Social Media, aber auch schon bei der Ausstellung »Polyart« in China auf großen LED-Screens. So aufregend das war, entwickelte sich in ihm doch der Wunsch, seine Artworks über die digitale 2D-Welt hinaus Gestalt annehmen zu lassen.
Digital Antiques
Besonders antike griechische und römische Skulpturen haben es dem 3D-Designer angetan und so entstand die Idee, in Cinema 4D klassische Vasenformen zu gestalten und zu animieren und dann auf einem 3D-Drucker in physische Objekte zu verwandeln. Dabei sollen seine Skulpturen keinesfalls Nachahmungen der historischen Vorbilder sein, sondern ihren digitalen Charakter behalten.
»Ich bin ein digitaler Designer, das will ich auch gar nicht verstecken«, so der 29-Jährige. »Es soll ganz klar zu sehen sein, dass es ein digitales Objekt ist, das ich physisch produziert habe. Deshalb versehe ich die klassisch inspirierten Motive mit digitalen Elementen wie Verzerrungen, Glitches oder Pixeln.«
3D: Vom Virtuellen ins Reale
Im Juni 2023 kaufte Kevin Jaeger für rund 700 Euro einen besseren 3D-Drucker. Eine gute Investition, denn hier kommen die Prints in der Regel so heraus wie gewünscht. »Bei dem alten Drucker, der auch noch unfassbar viel Krach machte, waren vier von fünf Prints kaputt, jetzt geht vielleicht einer von zwanzig schief.«
Der Gestaltungsprozess läuft immer ähnlich ab: Kevin Jaeger beginnt mit Skizzen – auf Papier, am iPad oder auch schon mal mit dem VR-Headset Meta Quest in dem Adobe-Tool Substance 3D Modeler. Es folgen die 3D-Visualisierung, die Animation und schließlich das Rendering, bevor die Skulptur dann auf dem 3D-Drucker produziert wird.
Mit dem 3D-Druck sind die Skulpturen aber noch längst nicht fertig. Immer folgt eine Weiterverarbeitung mit unterschiedlichen Materialien von Autolack bis Strukturpaste. »Ich habe unzählige Farben, Sprays und Lacke, mit denen ich die Objekte mit verschiedensten Oberflächenveredelungen versehe«, erklärt Jaeger. Bei der hier gezeigten Skulptur entschied er sich für eine grobkörnige Strukturpaste aus dem Künstlerbedarf, die die Steinoptik widerspiegelt.
No more Quatsch
Für die Zukunft plant Kevin Jaeger, sich weiter ins Thema Gießen zu vertiefen, zum Beispiel indem er mit seinem 3D-Drucker Gussformen produziert, um dann aus verschiedenen Materialien Skulpturen zu gießen. Und er will seine handwerklichen Fähigkeiten noch perfektionieren: »Leider bin ich ziemlich tollpatschig, da geht ständig etwas schief.«
So nahm er einmal eine zu alte Versiegelung, die Nähte bildete, die er dann mühsam wieder abschleifen musste. Ein anderes Mal kippte eine Skulptur um und ein Henkel brach ab. Was bedeutete, dass er sie neu drucken musste. »In der heißen Phase vor der Ausstellung gab es schon viel Blut, Schweiß und Tränen«, so Kevin Jaeger, »aber ich habe ja auch einiges dazugelernt.« Eine solch positive Arbeitseinstellung wünschen wir uns wohl alle.
How-to: Vom digitalen zum physischen Objekt
Wie Kevin Jaeger seine Skulpturen mittels VR-Headset Meta Quest 3 und 3D-Drucker produziert
Die »Process Exhibition«, die vom 26. Januar bis zum 29. Februar 2024 in der Trader Gallery in Hamburgs Schanzenviertel zu sehen war, präsentierte Kevin Jaegers Skulpturen, Animationen und AR-Prints zusammen mit Arbeiten von Max Salzborn, ebenfalls Designer und Digital Artist. Für Kevin Jaeger war das ein weiterer, wichtiger Schritt, seine künstlerische Arbeit zu professionalisieren. Einige seiner 3D-Animationen konnte er zudem als NFTs verkaufen – einen mit einem Verkaufswert von rund 12 000 Euro! Im Folgenden gibt der Designer Einblick in seinen Workflow mit Procreate, Cinema 4D und Adobe Substance 3D Modeler.
1. Skulptur in Procreate skizzieren
Die Grundform der Skulptur entsteht am iPad mithilfe von Procreate. Zwar hat Kevin Jaeger ein sehr gutes dreidimensionales Vorstellungsvermögen, sodass es die zweidimensionale Zeichnung gar nicht unbedingt bräuchte. Für ihn gehören Skizzen aber zum Designprozess dazu – weil er sie schön findet, aber vor allem auch, weil sie in der späteren Entwicklung oft dabei helfen, sich nicht zu sehr in Details zu verlieren, sondern sich immer wieder auf die Grundform zu besinnen.
2. Procreate-Skizze in 3D ausarbeiten
Die Referenzbilder aus Procreate lädt Kevin Jaeger in die Sculpting-Software Substance 3D Modeler, um sie dann mithilfe des VR-Headsets Meta Quest 3 und zwei Controllern zu modellieren. Als Werkzeug wählt er Kugeln, die er multipliziert, um die Form der Skulptur zu erzeugen. Ebenfalls mit dem Kugel-Tool entfernt er im Modus »Subtraktion« immer wieder Material. Nach und nach entsteht durch Zugeben und Abschaben die fertige Form – ähnlich wie beim Arbeiten mit Ton.
»Mit 3D-Design kann man aus nichts alles erschaffen, das finde ich sehr reizvoll«
Kevin Jaeger, Artdirektor und Digital Artist
3. Digitale Skulptur in Cinema 4D gestalten
In Cinema 4D gestaltet Kevin Jaeger eine Szenerie, positioniert die Steine und leuchtet sie aus – wie in einem digitalen Fotostudio. Da die Form der Skulptur recht organisch ist, kombiniert er sie mit natürlichen Materialien und entwickelt drei verschiedene Varianten: einen rohen Stein, einen matten Edelstein und ein orange leuchtendes Kristall, das fast schon ein bisschen surreal wirkt. Die mit diesen drei Materialien versehene Skulptur rendert er und erstellt – ebenfalls in Cinema 4D – eine kleine Animation. Die digitale Skulptur ist fertig.
4. Skulptur für den 3D-Druck vorbereiten
Um seine Skulptur in die physische Welt holen zu können, braucht es in Cinema 4D etwas Nachbearbeitung. Mit dem Grafiktablett Wacom Cintiq Pro bügelt Kevin Jaeger zunächst unsaubere Stellen aus. Vor allem aber muss er die Skulptur gerade ausrichten, damit sie in der echten Welt vernünftig steht.
Mit einem Würfel, den er von der Skulptur subtrahiert, erhält er einen geraden, sauberen Boden. Für diese Volumen-Modelling genannte Technik nutzt man in Cinema 4D das Volume-Mesher-Tool. Damit lassen sich 3D-Modelle miteinander verschmelzen oder voneinander subtrahieren.
Die Linien um die Skulptur herum zeigen die Druckmaße – 25,6 Zentimeter darf das Objekt groß sein, damit es in den Drucker passt. Da Kevin Jaeger es größer haben möchte, als der Innenraum des 3D-Printers es hergibt, teilt er seine Skulptur in zwei Teile. Ein selbst gebasteltes Stecksystem hilft dabei, sie später zusammenzufügen.
5. Skulptur drucken
Die Daten aus Cinema 4D importiert Kevin Jaeger in die Slicer-Software Bambu Studio des 3D-Printers. Er platziert das Objekt auf der Druckplatte und stellt die Größe sowie weitere Parameter ein, zum Beispiel die Dicke der Wand, wie stark das Objekt gefüllt und welches Muster gedruckt werden soll.
Angezeigt wird auch, wie viel Material man braucht und wie lange der Druck dauern wird. So lässt sich prüfen, ob man vielleicht noch etwas optimieren kann. Aus all diesen Einstellungen produziert die Software ein Modell, das den Pfad beschreibt, den der 3D-Drucker dann entlanggeht.
Grün gekennzeichnet sind die Stützen, die es braucht, damit überhängende Teile nicht abbrechen. Ist alles perfekt, kann es losgehen. Das Drucken der beiden Skulpturenteile dauerte rund 17 Stunden.
6. Schleifen, zusammensetzen, verkleben
Nachdem er die Stützen herausgebrochen und die entstehenden unsauberen Stellen durch Schleifen unsichtbar gemacht hat, verklebt Jaeger die beiden Teile mit einem Epoxidkleber. Dem Stecksystem allein vertraut er nicht. Da dieser Kleber im nicht ausgehärteten Zustand hochgiftig ist und über die Haut aufgenommen wird, sind für diesen Arbeitsschritt spezielle Nitril-Handschuhe erforderlich. Die kleine Rille, an der die beiden Teile zusammenstoßen, verschwindet später beim Bemalen.
»Trotz aller Handarbeit: Ich bin ein digitaler Designer, und das soll man auch sehen«
Kevin Jaeger, Artdirektor und Digital Artist
7. Die Oberfläche bearbeiten
Mit einem Schwamm, manchmal auch mit einem Pinsel trägt Kevin Jaeger in einer dicken Schicht eine grobkörnige Strukturpaste aus dem Künstlerbedarf auf. So entsteht auf der Skulptur eine grobe Oberfläche, die die Steinoptik nachempfindet.


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Dieser Artikel ist erstmals in PAGE No. 2.2024 erschienen.