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So funktioniert die VR-Produktion bei BECC Agency

Virtual Reality muss nicht immer nur ein Endprodukt sein – sie eignet sich auch sehr gut für interaktive Gestaltungsprozesse und Schulungen

Voll ausgestattet: Die BECC Agency in München beschäftigt sich seit 2019 verstärkt mit VR und hat ein eigenes Immersive-Media-Team aufgebaut Bild: mail@anja-ostermann.de

Menschen, die mit VR-Brillen auf der Nase an ihren Schreib­tischen sitzen oder in eigens dafür aufgebauten Spaces mit Controllern han­tieren – kein seltener Anblick bei der BECC Agency in München. Die auf Markenbildung und -erlebnisse spezialisierte Agentur be­schäf­tigt sich seit 2019 mit dem Thema Brands im immersiven Raum. »Wir haben Potenzial in diesem Bereich gesehen und es eigenständig vorangetrieben, ohne dass wir ein entspre­chen­des Kundenprojekt hatten«, erklärt Geschäftsführer Leif Geuder. Mittlerweile hat die Agentur ein festes fünfköpfiges Immersive-Media-Team und nutzt Virtual und Aug­mented Reality nicht nur für virtuelle Produkt­präsentationen auf Messen, sondern auch für die interaktive Raumplanung mit Auftrag­ge­be­r:innen, für Trainings und Workshops sowie für die Content-Erstellung für unter­schied­li­che Formate und Kanäle.

Räume planen in VR

Für Konzeptpräsentationen und Abnahmen von Messebauten oder Showrooms muss Leif Geuder heute nicht mehr um die halbe Welt fliegen – zumindest nicht mehr so häufig wie früher. Stattdessen bekommen Kundin­nen und Kunden einen Link zu einer in den Game-Engines Unreal oder Unity erstellten virtuel­len 3D-Umgebung, durch die sie sich am Bildschirm frei bewegen können. Oder sie betreten sie – noch immersiver – mit einer VR-Brille und treffen die Avatare der BECC-Kreativen »vor Ort«. Dort können sie dann gemeinsam Möbel- und Lichtkonzepte ausprobieren, die Licht­verhältnisse zu verschiedenen Tageszei­ten beobachten und den Raum auf sich wirken lassen. »Das VR-Erlebnis ist viel ein­drück­­li­cher als ein 3D-Rendering am Bildschirm. Man sieht deutlich, wie eine kleine Änderung den Gesamteindruck eines Raumes verändern kann«, sagt Leif Geuder.

Mit derartigen VR-Umgebungen ließen sich 60 bis 80 Prozent der realen Probeaufbauten ein­sparen – genauso wie ewiges Rendern. Zudem seien die Kund:innen stärker involviert, und es gäbe am Ende keine (bösen) Überraschungen. Die auf diese Weise ausgetüftel­ten Settings und Maße kön­ne man dann direkt an Messe- und Möbelbauer sowie an für Licht­tech­ni­k Verantwortliche übermitteln, so die Erfahrungen der Agen­tur. Wenn gewünscht, las­sen sich aus den VR-Umgebun­gen ebenfalls Fil­me erstellen, und das wesentlich schnel­ler als aus den alten 3D-Vi­sualisierun­gen heraus. »Früher musste ein zwei­minüti­ger Film locker drei Wochenenden lang rendern. Heute braucht man für zehn Minuten Film zehn Minuten – und das in bestechender Qualität«, so Leif Geuder. Selbst Content für Augmented-Reality-Anwendungen lässt sich schnell extrahieren, da die digitalen Assets bereits vorhanden sind.

Das alles entschlackt den Prozess und spart Produktions- sowie Reisekosten – und das wissen immer mehr Kund:innen zu schätzen. »Corona hat die Akzeptanz für diese Form der virtuellen Zusammen­arbeit enorm erhöht«, sagt Geuder. BECC Agen­­cy ver­wendet die Technik sogar für Präsenta­tionen wie auch Schu­lungen in den Bereichen Corporate Identity und Corporate Design.

Team und Technik

Die neuen Technologien verändern natürlich auch die Abläufe und die Aufstellung der Agentur. So musste das Immersive-Team erst mal aufgebaut werden. »Leute mit allen notwendigen Kompetenzen gibt es heute einfach noch nicht. Wir mussten im Team zusammen lernen, wie wir die passenden Antworten auf bestimmte Herausforderungen finden«, erinnert sich Leif Geuder. Momentan arbeiten fünf Personen aus verschiedenen Ländern und Generationen aus den Bereichen 3D- und UI/UX Design sowie Develop­­ment im VR-Team. Sie verfügen über Game-Engine-Expertise, haben ein gemeinsames Mindset, teilen die Liebe fürs Gaming und beherrschen eine Vielzahl an Programmen für 3D-Content-Produktion und Tex­turing wie Cinema 4D, Houdini, ZBrush, Substance und Marmoset Toolbag. Die digitalen Objekte und Oberflächen fügen sie dann in Unreal Engine oder Unity zu einer immersiven Erfahrung zusammen. Dabei bildet Technical Director Philipp Otterbach ei­ne Schnittstelle zwischen Design und Coding und be­hält das große Ganze im Blick. Natürlich braucht es nach wie vor auch Leute aus Architektur sowie 3D- und Visual Design – diese müssten aber flexibel sein und lösungsorientiert arbeiten, erklärt Leif Geuder. »Es braucht höhere Qualifikationen, mehr Kommunikation und eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit als früher.«

Ist die Asset Database für einen (oder mehrere) Kunden erst einmal aufgebaut, läuft die Implementierung in unterschiedlichen Medien relativ einfach, schnell und kosteneffizient ab. Dafür müssen die verschiedenen Anwendungen allerdings von Anfang an mitgedacht werden. Das sei mittlerweile fester Bestandteil von Strategie und Workflow bei BECC. »Je mehr solcher Projekte man gemacht hat und je mehr Objekte und Funktionen man programmiert hat, desto schneller geht es beim nächsten Projekt«, erklärt Otterbach. Bei jedem neuen Auftrag achtet er darauf, ob Elemente eventuell auch für ein späte­res Projekt genutzt werden können.

Künstliche Intelligenz kann hier bislang nur bedingt helfen. Mit ihr lassen sich laut Otterbach zwar mittlerweile auch einigermaßen gut aussehende 3D-Objekte erstellen, allerdings seien diese eher allgemein und wenig spezifisch: »Unsere Auftraggeber wollen ja explizit ihre Produkte in 3D nachgebaut haben. Hier ist KI noch kaum nützlich.« Für ein generelles Look-and-feel im Vorfeld – beispielsweise um Neukundschaft zu gewinnen – nutzen die Kreativen aber mittlerweile fast ausschließlich KI-Programme wie Midjourney.

Immersive Zukunft

»Vermutlich werden künftig zumindest große Marken ihre eigenen Asset Databases haben«, sagt Leif Geuder. »Agenturen sind dann dafür zuständig, die VR-Welten auch wirklich rund zu gestalten. Hierfür braucht es Design-Know-how, ästhetisches Empfin­den und Erfahrung in der reellen Raumplanung.« Derzeit müsse BECC aber noch oft Überzeugungsarbeit leisten, viele Kund:innen sähen das Potenzial von immersiven Medien noch nicht, so Geuder. Aus die­sem Grund gehe die Agentur häufig in Vorleis­tung und entwickle schon einmal eine rudimentäre VR-Umgebung, mit der auch Marketingentscheide­r:innen innerhalb von Konzernen ihre Vorgesetzten besser überzeugen könnten. Das sei auch eine gute Fingerübung für das Team und eine Chance, neue Technologien und Methoden zu testen.

Außerdem hält BECC mehrmals im Jahr Impulsvorträge über VR bei ihren Kundinnen und Kunden. »Bei dem Thema gibt es noch viel Erklärungs- und Kommu­nika­tionsbedarf – auch während der Zu­sam­men­ar­beit. Die Aufträge werden zumeist aus dem Marketing gesteuert, obwohl es sich im Grunde um IT-Pro­jek­te handelt. Da müssen wir anleiten und ver­ständ­lich ma­chen, was technisch dahintersteckt«, so Geu­ders Erfahrung.

Derzeit realisiert BECC viele Immersive-Projekte im Automobilbereich, zum Beispiel für Messen, Flagship-Stores und Produkttrainings. Aber die Techno­logie sei auch für viele andere Branchen und Anwen­dungen spannend, meint Leif Geuder. Er ist überzeugt: »Designagenturen, die sich in den nächsten Jahren nicht mit Immersive Media beschäftigen, wer­den den Anforderungen des Marktes nicht mehr gerecht werden.« Immerhin ist bereits abzusehen, dass mit den Generationen Z und Alpha und deren Gaming-Affinität mehr kompetentes Personal auf den Jobmarkt kommt.

Reisacher: VR-Raumplanung

Die Planung des neuen Autohauses für den BMW-Händler Reisacher in Augsburg verlief unter anderem im virtuellen Raum. Dabei standen neben dem Markenerlebn­is vor allem nachhaltige Materialien und ein LED-Beleuchtungskonzept im Fokus. Ganz oben der fertige Raum, darunter die Programmierumgebung in Unreal.

BECC: AR-Raumplanungs-App

Wie Möbelstücke, Ausstellungselemente oder Produkte in einem Raum aussehen und wirken, kann BECC mittels dieser selbst entwickelten AR-App mit ihren Kund:innen live vor Ort testen – ohne reale Exponate oder Probeaufbauten. Sie kam schon bei diversen Projekten zum Einsatz sowie bei der Umgestaltung der eigenen Agenturräume.

BMW Motorrad

Train-the-Trainer-Produktschulung

Wie praktisch und immersiv eine Produktschulung im virtuellen Raum sein kann, erlebten BMW-Mitarbei-ter:innen bei einer interna­tionalen Train-the-Trainer Veran­staltung. Die Teilnehmenden testeten live, wie es sich anfühlt, sich im virtuellen Raum als Avatare zu treffen und Inhalte vermittelt zu bekommen, beispielsweise zu einem neuen Motorrad.

iONiX: Virtuelles Produkterlebnis

Auf der Mobilitätsmesse eMove 360° in München konnten Besucherinnen und Besucher 2021 die Funktionsweise von iONiX-Ladesäulen für E-Autos in VR erleben.

Bild: BECC Agency GmbH

BMW Group Brand Companion: Employee-Training-App

Marken- und Unternehmenswerte büffeln soll mit dem BMW Group Brand Companion jetzt mehr Spaß machen. Die Zielgruppe Trainees erwartet in der App eine Mischung aus redaktionellen Inhalten und Gami­fication-Elemen­ten sowie eben die Möglichkeit, die Brand Identity im virtuellem Raum zu erleben. Die App wird innerhalb von Marken­trainings eingesetzt, kann aber auch individuell flexibel genutzt werden – und soll darüber hinaus als Inspirationsquelle für künftige Produkt­entwicklungen dienen. Die gemeinsam mit Straightlabs, einem Anbieter für Educational Technology, realisierte App wurde 2022 beim Red Dot Award: Brands & Communication Design ausgezeichnet.

Dieser Artikel ist in PAGE 07.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PAGE 07.2023

Packaging für junge D2C-Marken ++ Designlehre an der Hochschule ++ Type und UI Design fürs IoT ++ B2B Branding ++ ENGLISH SPECIAL House of Gül ++ New Work: Tools & Workflows ++ Making-of: iOS-App Heavy Mental ++ VR-Produktion bei BECC Agency ++ E-Commerce: Transparente Check-outs ++ Start in die Designlehre

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