Jung von Matt hat mit dem »Bubbleversum« eine interaktive Experience geschaffen, mit der man in die Filterblasen anderer Menschen eintauchen kann. Wie die Agentur das interne Mammutprojekt umsetzte
Projekt Entwicklung des Bubbleversums AgenturJung von Matt, Hamburg Partner Bubble-Bau: Pool Group, Emsdetten; Metadaten: Civey, Berlin; KI-Modell: Erason, Lüneburg; Programmierung und Animation: Decode, Hamburg Zeitraum 2019 bis September 2021
Wann hat man schon mal Gelegenheit, in die Köpfe – Entschuldigung: die Filterblasen – anderer Menschen zu blicken? Genau das ist im Bubbleversum der Hamburger Kreativagentur Jung von Matt jetzt möglich. Ich bin zu Besuch und entscheide mich für die Bubble eines 18- bis 29-jährigen »Pumpers«, also eines jungen, männlichen Sportenthusiasten. Offenbar keine so originelle Wahl: »Beim ersten Ausprobieren entscheiden sich die meisten entweder für eine fernliegende Gruppe oder für die eigene«, sagt Joachim Kortlepel, Executive Creative Director und Partner bei Jung von Matt und maßgeblich mitverantwortlich für das Projekt.
Ich tauche also in diese mir fremde Welt ein und lerne, welche Medien, welche Accounts und welche Themen den digitalen Alltag des Pumpers prägen. Wie bei »Minority Report« scheinen die Screens vor mir im Raum zu schweben – tatsächlich werden sie an die Innenseite der transparenten Kuppel projiziert, die die Bubble-Metapher in den realen Raum überträgt, untermalt von sphärischen Klängen und subtilen Lichteffekten. Ich sehe, was der Pumper die letzten 24 Stunden und in der vergangenen Woche auf seinem Handydisplay gesehen hat – zumindest auf Instagram, YouTube, Twitter und Facebook. Vieles davon wenig überraschend: Food-Tipps, Work-out-Videos, dazu ist er offenbar ein Fan dicker Autos.
Ich werfe einen Blick auf die demografischen Daten dieser Gruppe: überdurchschnittlich oft Abitur, kaum Existenzängste. Eine Auswahl an sogenannten Haltungsfragen lässt mich tiefer in die Seele des Pumpers schauen. Da werden Klischees bestätigt, aber es tritt auch Überraschendes und Widersprüchliches zutage, wie ein überdurchschnittliches Interesse an Umwelt- und Klimathemen bei gleichzeitigem Widerwillen gegen E-Autos. Nach circa 45 Minuten trete ich aus der fremden Bubble wieder heraus – zumindest physisch. Denn mental beschäftigt mich dieser Blick über den Tellerrand nachhaltig.
Vom Tool zum Erlebnis
Natürlich ist das Bubbleversum mehr als eine faszinierende Spielerei. Es soll helfen, Zielgruppen besser zu verstehen, sie adäquat und in den richtigen Kanälen anzusprechen, um ihnen etwas zu verkaufen. Sein analoger Vorläufer war Jung von Matts »Deutschlands häufigstes Wohnzimmer«, in dem man zwischen Schrankwand und IKEA-Sofa den deutschen Durchschnittsgeschmack erforschen konnte. »Das Bubbleversum markiert einen Paradigmenwechsel«, erklärt Robert Andersen, Managing Director bei der Data-Agentur JvM FLOW, die 2019 aus der Übernahme des Datenanalyse-Start-ups Onzu durch Jung von Matt hervorging. »Den Durchschnitt gibt es nicht mehr, wir leben mittlerweile alle in individualisierten Nischen – den Filterblasen.«