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Männliche Übernahme und grandioses Design: Eileen Grays berühmtes Haus

Jetzt im Kino: »E.1027. Eileen Gray und das Haus am Meer« erzählt die Geschichte der großartigen Designerin und ihres berühmten Domizils – und darüber, dass Le Corbusier dessen Perfektion nicht ertragen konnte und Unfassbares tat.

»Hier kann ich unbeobachtet kommen und gehen, bin beschützt und gleichzeitig frei«, sagte die Designerin Eileen Gray (1878-1976) über ihr Haus E.1027, das sie 1929 gemeinsam mit ihrem Partner Jean Badovici an der Côte d’Azur baute.

Ein Meisterwerk, an den steilen Hang gebaut und dem Meer ganz nahe, diskret und luftig, leicht und unfassbar modern. Hingehaucht wirkt es mit seinen weiten Innenräumen und Markisen, die Blau wie Himmel und Wellen sind und steckt voller wunderbarer Details wie abgerundeten Wänden, zarten Wörtern, die sie darauf malten, mit einer gekachelten Schräge, auf der man sonnenbaden kann.

So steif wie der Name E.1027 wirkt, den die beiden aus ihren Initialen zusammenfügten, so lebendig ist es.

Und es ist das erste Haus, das die Designerin Eileen Gray baute. Bekannt war sie erst für ihre Inneneinrichtungen und später für ihre Stahlmöbel, die zum Inbegriff der Moderne wurde.

E.1027: Schönheit am Meer ©RISE AND SHINE CINEMA

Le Corbusiers Neid – und Rache

Doch Eileen Gray wollte raus aus dem Trubel der 1920er Jahre, weg von dem Tanz auf dem Vulkan, sie wollte durchatmen und gleichzeitig auch die Innenräume verlassen, auf die ihre Arbeit so festgelegt war.

Finanziell war das kein Problem, denn die Familie der Irin war sehr wohlhabend. Gesellschaftlich aber gab es zu der Zeit noch kein Platz für Architektinnen. Baumeister wie Gerrit Rietveld, Le Corbusier und Mies van der Rohe schufen die moderne Welt nach ihren männlichen Maßstäben.

Doch Eileen Gray wollte keine kopflastigen Wohnmaschinen, sondern Häuser, die einen auch spirituell umgeben, die Rückzugsorte sind, die atmen und für eine neue Welt stehen.

Wie gut ihr das mit E.1027 gelungen ist, zeigt die unfassbare Übernahme des Hauses durch Le Corbusier. Während Eileen Grays Abwesenheit Ende des Zweiten Weltkriegs und nachdem sie ihrem Partner das Haus überlassen hatte, nahm Le Corbusier Pinsel und Farbe zur Hand und überzog die bewusst weiß gelassenen Wände mit fünf leuchtend bunten abstrakten Farb- und Formspielen und nackten Frauenkörpern. Eine Anspielung darauf, dass Eileen Gray auch Frauen liebte.

Eileen Gray in ihrem Haus E.1027 ©RISE-AND-SHINE-CINEMA

Abkehr von E.1027

Le Corbusier ließ sich dazu bei diesem chauvinistischen Akt nackt fotografieren. Ein Verhalten, das bis heute unfassbar scheint, das seine Eifersucht auf ihr Talent zeigt und seine Wut darüber, dass sie es gewagt hatte, seinen Wohnmaschinen-Stil zu kritisieren.

Gleichzeitig widersprach er nicht, wenn er fortan mit dem Entwurf des Hauses in Verbindung gebracht wurde und baute sich, gerade mal 20 Meter von E.1027 entfernt, sein Sommerhäuschen Le Cabanon.

Eileen Gray selbst erfuhr von Le Corbusiers Vandalismus erst nach dem Krieg und das aus einer Architekturzeitschrift.

Und sie ist daraufhin nie wieder in das Haus zurückgekehrt, von dem sie einst sagte, dass sie sich nach so einem Ort ihr ganzes Leben lang gesehnt hatte.

Unbeschwerte Tage: Eileen Gray (Natalie Radmall-Quirke) und ihr Partner Jean Badovici (Axel Moustache) ©RISE-AND-SHINE-CINEMA

Rares Material

Von dem allen erzählt der Film der Schweizer Regisseurin Beatrice Minger als Dokufiktion, mit der Schauspielerin Natalie Radmall-Quirke in der Hauptrolle und in Überblendungen, mit kaleidoskopartigen Bildern, in kunstvollen Inszenierungen und einer Stimme aus dem Off.

Er nimmt die Achsen der Architektur auf, taucht tief ein, auch wenn er die Leichtigkeit, die einst durch E.1027 wehte, nicht ganz erreichen kann.

So nah kommt man dem Haus aber wohl nur noch, wenn man es vor Ort besichtigt. 1968 wurde es wiederentdeckt, es wurde aufwendig restauriert und die Möbel von Eileen Gray gingen in die Massenproduktion.

Und ganz am Ende hält der Film noch zwei wunderschöne Highlights bereit.

Er führt direkt zu Eileen Gray und ihrer Kreativität. Und das mit dem einzig bekannten Filmmaterial, das von ihr gibt und zeigt ein Interview, dass das irische Fernsehen 1975 aufzeichnete.

Und auch danach sollte man keineswegs aufstehen. Denn dann zeigt die Regisseurin noch einmal ihren besonderen Blick. Und das mit einem Abspann, in dem auf Schönste getanzt wird.

E.1027. Eileen Gray und das Haus am Meer, Schweiz 2024, Regie und Buch: Beatrice Minger, Christoph Schaub. 89 Min.,  Kinostart: 24.10.2024

Eileen Gray (Natalie Radmall-Quirke) ©RISE-AND-SHINE-CINEMA
Jean Badovici (Axel Moustache, li.) und Le Corbusier (Charles Morillon, re) ©RISE-AND-SHINE-CINEMA
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