Die App Heavy Mental visualisiert Gefühle, bringt sie zum Leuchten, Pulsieren, Klingen und lädt zur Auseinandersetzung mit ihnen ein. Ganz so, wie Jugendliche es sich wünschen – und in einem umwerfenden Design von Ariane Spanier. Wir zeigen ein Making-of der App
#allthefeels, #askingforhelp oder #sosadtoday: Schon 2017 häuften sich in den sozialen Medien Posts von Jugendlichen zu psychischen Krankheiten und Krisen. Anxiety-Hashtags trendeten, Fotos mit selbstverletzendem Verhalten waren zu sehen. Es gab Collagen und Illustrationen, die das Innenleben darstellen, Live-Posts aus der Psychiatrie, aber auch Recovery-Storys, in denen junge Leute berichteten, wie sie es geschafft haben, ihre Probleme zu bewältigen.
Bei Recherchen zu dem Thema Gesundheit stieß Judith Mair, Trendforscherin und Dozentin am Studiendepartment Trends & Identity der Zürcher Hochschule der Künste, auf diese Posts und stellte zusammen mit der Berliner Grafikdesignerin Ariane Spanier beim Schweizer Bundesamt für Gesundheit einen Förderantrag für das Projekt »Heavy Mental. Veränderte Ästhetiken von psychischem Leid bei Jugendlichen«, wie sie ihre Grundlagenforschung nannten. Neben der Untersuchung der spezifischen visuellen Sprache gehörten dazu auch Interviews mit Jugendlichen, die Krisen hinter sich hatten – zum Teil auch Psychiatrieerfahrung. Es zeigte sich, dass die 14- bis 22-Jährigen mit einer ganz neuen Offenheit über ihre Gefühle sprachen und dass man eine Menge von ihnen lernen konnte.
Um die Forschungsergebnisse zu visualisieren, reichten die Ideen von Stickern und Plakatkampagnen bis hin zu Installationen. »Aber letztendlich ist es der digitale Raum, in dem sich die Jugendlichen bewegen, sich austauschen und auch ästhetisch ausdrücken«, sagt Judith Mair. Deswegen haben sie und Ariane Spanier sich in einen Bereich gewagt, von dem beide wenig Ahnung hatten. »Eine App zu machen war ein Sprung ins kalte Wasser«, berichtet die Designerin. Und dazu eine, die eben nicht wie ein Tagebuch über das eigene Wohlbefinden funktioniert, von denen es so viele in den App Stores gibt. Und auch keine, die zum Durchatmen oder zur Meditation anleitet – ganz so, wie die eigenen Mütter es machen. Heavy Mental ist die erste App, die sich visuell mit Mental Health auseinandersetzt und die Gefühle in Bilder oder Formen übersetzt.
»Die Jugendlichen wollen nicht, dass Erwachsene mit Flüsterstimme und sozialtherapeutischem Ansatz auf sie einreden, dass sie autogenes Training machen oder mehr Obst essen sollten«, sagt Judith Mair. Sie haben sich online schon so viel mit diesen Themen beschäftigt, dass solche Coping-Strategien ein alter Hut sind. Statt nach Wohlfühlratschlägen sehnen sie sich nach Verständnis. Sie wünschen sich, dass es okay ist, sich auch mal schlecht zu fühlen, und dass nicht alles darauf ausgerichtet ist, schnellstmöglich wieder zu »funktionieren«.
Blick nach innen
Deshalb lässt Heavy Mental viel Raum, die eigenen Gefühle zu erkunden, sie zu beschreiben und darzustellen – und in aller Ruhe zu betrachten. »Gefühle sind ja meist etwas Diffuses, das in einem herumwabert«, erklärt Ariane Spanier. »Die App hilft, sie zu konkretisieren.« Und das mithilfe von Formen, Farben und Sound, mit denen man sein Innenleben visualisieren kann. Melancholisch, ruhelos, selbstsicher, leer, euphorisch oder einsam sind einige der 15 Gefühle, die bislang angezeigt werden. Positive und negative Empfindungen, die selbstverständlich nebeneinanderstehen. Auch, um unangenehme Gefühle zu normalisieren und sie nicht aus Angst oder Scham wegzuschieben.