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Für wen B2B-Branding die richtige Nische ist

Warum B2B-Unternehmen als Kunden überhaupt nicht langweilig sind, und wie Kreative hier nicht nur gestalterisch, sondern auch strategisch etwas bewegen können

B2B-Branding: Das Branding von Inion wurde gestaltet von Sons & Daughters ID und macht Code greifbar
Mit individuell pro­gram­mierten Monitoringtools macht Software­hersteller Inion Daten in Solar­plantagen sichtbar. Diese sehr spezielle Expertise übersetzte die Agentur Sons & Daughters ID in grafische Patterns, die auf Binärcode basieren

Turbinenhersteller, IT-Dienstleister für Solarplantagen oder Platinenexperten – den B2B-Bereich verbinden wir nicht gerade mit spannenden Design­aufträgen und gestalterischer Freiheit. Doch der Fach­kräftemangel bewegt auch die industriellen Unternehmen dazu, sich neu aufzustellen und ihre Kommunikation zu überdenken. Meistens ist es allerdings mit dem Employer-Branding nicht getan, sondern die komplette Marke braucht ein Update, um das eigene Profil klar darzustellen und effizient zu kommunizieren – um so potenzielle Mitarbeitende ebenso zu erreichen wie Kunden.

Aber wie überzeugt man traditionell eher technisch und sachlich ausgerichtete Unternehmen, in ein gründliches (Re-)Branding zu investieren? Mit klarer Strategie, guter Argumentation und viel Geduld! Dr. Ulrike Grein, Gründerin der B2B-Branding-­Agentur Markenfels in Zürich, erklärt es ihren Kun­d:innen meist so: »Egal, ob B2B oder B2C, letztlich trifft ein Mensch die Kaufentscheidung. Und den gilt es, nicht nur von der Qualität der Produkte und Dienst­leistungen zu überzeugen, sondern auch emotional an die Marke zu binden, sodass er sich immer wieder dafür entscheidet.«

 

Der B2B-Bereich birgt allerdings einige besondere Herausforderungen: Es geht dabei überwiegend um komplexe Leistungen und Produkte für eine sehr spezialisierte und gut vernetzte Zielgruppe. Man hat es hier mit Entscheider:innen aus Produktion und Management zu tun, die sich nur schwer von experimentellen Designs überzeugen lassen und gern die Qualität ihrer Produkte schnörkellos in den Vordergrund stellen wollen. Das bedeutet aber nicht, dass Kreative lieber die Finger von B2B-Projekten lassen sollten. Im Gegenteil – oder um es mit den Worten von Ulrike Grein zu sagen: »Gerade die Problemlösung im kleinen Spielraum erfordert gestalterische Finesse und spornt zu neuen Ideen an.«

B2B-Branding: Das Branding von Inion wurde gestaltet von Sons & Daughters ID und macht Code greifbar: T-Shirt

B2B-Kunden: Strategie auf Augenhöhe

Bei der Brandentwicklung für B2B-Kunden müssen Kreative nicht nur das Unternehmen kennenlernen, sondern auch Produkte und Leistungen analysieren und etwaige Submarken durchdringen. »Das Erste, was wir machen, ist in der Regel, die Anzahl der Marken deutlich zu reduzieren und eine sinnvolle Marken­architektur aufzustellen«, erklärt Olav Jünke, der mit seiner Hamburger Agentur ondesign B2B-Kunden aus dem Aviation-Sektor betreut.

Die Umstrukturierung und strategische Neuausrich­tung gilt es anschließend, vor verschiedensten Stakeholdern aus Produktion, Management und Wissenschaft mit klaren, wirtschaftlichen Argumenten zu be­gründen. Diese haben meist wenig mit Design zu tun, bewegen sich aber auf C-Level – also in hoch­rangigen Führungspositionen. So erhalten Kreative die Chance, ungewöhnliche Designlösungen direkt im »Herzen« eines Unternehmens zu präsentieren und Aspekte der Nachhaltigkeit und Diversität in der Positionierung herauszuarbeiten.

B2B-Branding: Qualität und Emotion

Die Herausforderung bei B2B-Projekten liegt darin, komplexe Produkte und abstrakte Leistungen in hoch spezialisierten Branchen zu durchdringen. Dafür müs­sen Kreative tief in Unternehmen und Geschäftsfelder eintauchen, Gespräche mit Expert:innen führen und einige Zeit auf die Recherche verwenden. Oft haben B2B-Unternehmen nur wenige, dafür große Wettbewerber, von denen sie sich durch Qualität, weniger in der Produktpalette differenzieren. Die entscheidenden Produktionsdetails fallen in der Regel allerdings unter das Firmengeheimnis und können nicht öffent­lich kommuniziert werden.

Neukund:innen müssen also auf einer anderen Ebene überzeugt werden. Ein klares Story­telling hilft dabei, einen Rahmen für die Darstellung der Leis­tun­gen und Produkte zu schaffen. So schuf Sons & Daughters ID aus Vilnius zum Beispiel für den Softwarehersteller Inion eine generative Identity aus Binärcode-Patterns. Dabei erzählen die Kreativen aber nicht einfach von den Monitoringtools, die Inion für Solaranlagenbetreiber entwickelt, sondern bauten Ge­staltung und Claims rund um das Sichtbarmachen von Daten auf.

B2B-Branding: Das Branding von Inion wurde gestaltet von Sons & Daughters ID und macht Code greifbar: Totebag

Das ist bei B2B anders als bei D2C

Auch bei der Art der Kommunikation und Wahl der Medien gibt einiges zu beachten: Sie richten sich meist an ein kleines Fachpublikum, das sich untereinander kennt und auf Events trifft. Kundenbeziehun­gen sind langjährig und Auftragsvolumen bewegen sich in Mil­lionenhöhe. Eine einfache Geschäftsausstattung und Social-Media-Kampagnen reichen da nicht aus. »Die Kommunikationskanäle im B2B sind ganz andere als bei D2C«, so Jason Debiak, CCO und Part­ner der US-Agentur Paper Tiger. »Um die richtigen Plattformen, Messen und Events zu finden, muss man sich als Kreativer selbst in der Branche auskennen und gut vernetzt sein.«

Außerdem haben Kundenservice und -pflege in B2B-Geschäftsbeziehungen ein besonderes Gewicht: hand­geschriebene Postkarten, aufwendig veredelte Jahrbücher und Kataloge gehören bei den B2B-Kun­den von Paper Tiger ebenso dazu wie digitale Newsletter und Kampagnen auf Businessportalen wie etwa LinkedIn. Hinzu kommt Kommunikation im Raum, seien es Messestände, Leitsysteme oder Installatio­nen im Firmensitz. B2B-Brandings müssen also besonders flexibel und skalierbar sein, bieten aber auch die Chance, verschiedenste Medien zu gestalten und über alle Kanäle zu kommunizieren.

Wie wird man B2B-Branding-Agentur?

Der Trick besteht darin, sich auf eine bestimmte Bran­che zu spezialisieren und selbst zur Expertenagentur zu werden. Olav Jünke besucht beispielsweise die größeren Aviation-Messen und tauscht sich dort mit Firmenvertreter:innen aus. So kommt das Gespräch früher oder später auf die Vorteile eines strategi­schen Brandings. Wichtig dabei ist: mitreden können und Fachwissen parat haben, denn wer Verständ­nis für die besonderen Anforderungen der Kund:innen zeigt, wird nach einer erfolgreichen Zusammenarbeit in der Branche weiterempfohlen.

Ulrike Grein, die mit Markenfels seit 2013 ausschließlich B2B-Kunden betreut, ist damit definitiv erfolgreich. Aber auch im kleineren Rahmen kann B2B eine tolle Ergänzung zum Branding-Portfolio sein. Paper Tiger beispielsweise legt sich nicht fest, bietet es aber mit an, um so eine größere Bandbreite an Kund:innen zu er­rei­chen. Ob nun voll auf B2B spezialisiert oder als zusätzliches Angebot – für Kreative bieten sich span­nende Möglichkeiten, neue Ideen zu entwickeln und mit einem ungewöhnlichen Case sichtbar zu werden. Denn in der Fülle an business as usual Designs im B2B-Bereich fällt gutes Branding auf und kann visio­nären Marken den entscheiden Vorteil verschaffen. Also, worauf wartet ihr noch?

B2B-Branding: Die besten Beispiele aus der Praxis

Von Daten inspiriert

Wie Sons & Daughters ID für den Softwarehersteller Inion Code greifbar macht

B2B-Branding: Das Branding von Inion wurde gestaltet von Sons & Daughters ID und macht Code greifbar: Webtool für das Umwandeln von Wörtern in Pattern nach dem Rebranding
Wer glaubt, B2B-Branding sei langweilig, hat vielleicht Designs wie das von Inion vor dem Rebranding im Kopf (oben). Aber Datenvisualisierung – die Spezialisierung des Softwareher­stellers – lässt sich auch ansprechend darstellen. Sons & Daughters ID entwickelte ein Webtool, mit dem die Inion-Mitarbeiter:innen Wörter in Patterns verwandeln können

Sons & Daughters ID aus Vilnius geht B2B- und B2C-Branding-Pro­jekte auf die gleiche Weise an: Am Anfang stehen ­eine tiefschürfende Recherche und Q & As für die verschiedenen Stakeholder. Anschließend entwickeln die Kreativen in enger Abstimmung mit dem Kunden eine strategische Ausrichtung und Identity, die das Fundament der Marke bilden. Daraus ergeben sich dann mehrere Richtungsmöglichkeiten für die Gestaltung.

»Beim B2B-Branding lassen wir uns meist von ei­nem Detail aus der Herstellung inspirieren. Etwas, das die Marke ausmacht und ihre Leistungen in den Vordergrund stellt«

erklärt Kreativdirektor Adomas Jazdauskas.

B2B-Branding: Das Branding von Inion vor dem Rebranding

Die Kernkompetenz des Softwareherstellers Inion ist die individuelle Programmierung von Datenvisualisierungstools für die Kontrollzentren in Solar­plantagen. Sons & Daughters ID entwickelte ein Brand Storytelling um die Fähigkeit, unsichtbare Daten wert­voll zu machen. Mit Claims wie »Who knew data could look like this« und »Data is energy«. Die Kreativen programmierten außerdem ein generatives Tool mit Python, das Wörter in Binärcode umwandelt und als Pattern visualisiert. In Kombination mit einer kräftigen Farbpalette und verschiedenen Helvetica-Schnit­ten können die Inion-Mitarbeitenden so selbst Teile des Designs erstellen und mit Binärcode-Botschaften aufladen.

Nach anderen Regeln spiegeln

Control Studio macht den sozialen Anspruch des IT-Dienstleisters turntabl sichtbar

B2B-Branding: Billboard des IT-Dienstleisters turntabl, gestaltet von Control Studio

Control Studio aus Amsterdam arbeitet ganz bewusst nur mit Firmen zusammen, die mit ihren Produkten zum Klimaschutz beitragen, Diversität und Inklusion fördern. Wobei es bei den Projekten oft darum geht, diese Werte in Positionierung und Branding erst noch klar herauszustellen. So auch beim IT-Dienstleister turntabl aus Ghana, dessen Mission es ist, die Tech-Branche im Land zu stärken, Informatiker:innen auszubilden und an Un­ternehmen aus der ganzen Welt zu vermitteln. Die Besonderheit: Anteile der Firma gehören den Mitar­beitenden und die Geschäftsführung plant, sich in Zukunft ganz aus dem Unternehmen zurückzuziehen.

B2B-Branding: Plakate des IT-Dienstleisters turntabl, gestaltet von Control Studio

Dieses Konzept rückte Control Studio im Storytelling in den Vordergrund und positionierte turntabl als Vorreiter für technische Kompetenz aus Ghana. Das Design selbst ist ungewöhnlich verspielt für die Branche und hebt sich mit einer stilisiert-verpixel­ten Schrift – eine abgewandelten Avenue Mono von BoulevardLAB – bewusst von anderen IT-Dienstleis­tern ab. Alexander Bajada, Kreativdirektor und Grün­der von Control Studio, erklärt:

»Bei B2B-Brands muss man sich trauen, die Regeln einer Branche zu brechen. So kann man die Unternehmen sichtbar machen, die wirklich etwas bewegen.«

Der richtige Ton

Paper Tiger zeigt, wie eine flexible B2B-Brand unterschiedliche Zielgruppen erreichen kann

B2B-Branding: Branding für den Akku-Hersteller Resonant Link von Paper Tiger

»B2B assoziiert man zunächst nicht mit spannen­dem Design«, sagt Jason Debiak, der als CCO und Partner die Digitalagentur Paper Tiger leitet. »Ein ungewöhnlicher Ansatz kann deshalb nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Designer:innen in einer Branche bekannt machen.« Für Paper Tiger zahlt sich das in Weiterempfehlungen aus. So erhielten sie auch den Auftrag für das Branding des Akkuherstellers Resonant Link. Das Unternehmen bedient vier Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen: Medicine, Automotive, Industrial und Consumer.

B2B-Branding: Branding für den Akku-Hersteller Resonant Link von Paper Tiger. Plakat "Wireless Power"

Paper Tiger entwickelte deshalb eine Dachmarke, aus der sich vier Signets ableiten. Jede Zielgruppe er­hält ein eigenes Erscheinungsbild mit eigener Farb­welt und zugeschnittenem Wording. Besonders wich­tig sei es beim B2B-Branding, über die langfris­tige Anwendung in verschiedenen Medien nachzudenken, erklärt Jason Debiak:

»Es geht darum, eine Balance zwischen Kreativität und Praktikabilität zu schaffen. Das Design muss leicht skalierbar sein, Raum für po­tenzielle Submarken lassen und nicht nur auf einer Website, sondern auch auf einer Messe funktionieren.«

B2B-Branding: Branding für den Akku-Hersteller Resonant Link von Paper Tiger auf einer Totebag

»B2B-Designer:innen brauchen Marathonqualitäten«

Dr. Ulrike Grein entwickelt bereits seit 2013 mit ihrer Agentur Markenfels strategische Markenauftritte für große und kleine B2B-Kunden. Wir sprachen mit ihr darüber, was eine B2B-Designagentur können muss.

Portraitbild von Dr. Ulrike Grein

Wo liegt für Sie der Reiz bei B2B-Projekten?
Ulrike Grein: Wir können als relativ kleine Agentur mit etwa zehn Teammitgliedern so große Kunden wie Siemens bedienen und haben das komplette Design selbst in der Hand. Oft reichen im B2B-Bereich die Budgets nicht für größere Agenturen, das eröffnet Chancen für kleine, spezialisierte Teams, in denen auch die Senior-Mannschaft gestaltet. Wir werden dann in der Regel von jemandem aus dem Kundenteam dazugeholt, um Design in den Köpfen der Füh­rungsebene als wertvolles Asset für ihr Unternehmen zu verankern.

Wie überzeugt man B2B-Kund:innen davon, in ihr Branding zu investieren?
Die Argumentation ist immer dieselbe: Branding steigert die Wertschöpfung durch die Marke. Kun­d:innen zeigen wir dazu Statistiken und unsere Referenzen. In der Beratung geht es darum, die Ent­scheiderinnen und Ent­scheider an die Hand zu nehmen und Gestaltung klar zu begründen. In der Regel spricht man da mit Ingenieur:innen, Wissen­schaft­ler:innen und Ma­nager:innen auf C-Level. Das sind strategisch denkende Menschen, die man dadurch überzeugt, dass man ihre Thematik begreift und die richtigen Fragen zu ihren Produkten und ihrer Zielgruppe stellt. 

Welche Kompetenzen braucht es in einer B2B-Branding-Agentur?
Vor allem Marathonqualitäten. Projekte dauern oft mehrere Jahre und es geht dabei nie um das eigene gestalterische Ego oder aktuelle Trends. Viele unse­rer Designer:innen haben zwei Ausbildungen, kom­men aus der IT oder haben vorher eine Lehre gemacht. Wichtig ist, dass man bereit ist, sich in technische Themen einzuarbeiten und die besonderen Herausforderungen im B2B-Bereich als Chance zu begreifen. Denn gerade die Problemlösung im kleinen Spielraum erfordert gestalterische Finesse und spornt zu neuen Ideen an.

B2B-Branding: Branding des Glasherstellers Univerre auf Plakaten
Markenfels sieht das kleine Budget des Glasherstellers Univerre als Chance, die bestehenden Bildwelten zu verwandeln

Haben Sie ein Beispiel für uns?
Das kleine Budget des Schweizer Glasherstellers Uni­verre hat uns zu einer ungewöhnlichen Lösung inspi­riert. Um Kosten zu sparen, sollten die bestehen­den Produktbilder weiterverwendet werden. Wir ha­ben sie dann mit einem eigenständigen Overlay versehen, das die ganze Gestaltung zusammenhält. Außerdem haben wir die Kernbotschaften neu ausgearbeitet und ein ganz klares Storytelling eingeführt, das Kunden und Kundinnen die Expertise von Univerre vermittelt. Die Umsetzung hat die Firma anschließend kostengünstig ausgelagert, und wir sind weiterhin für die Strategie zuständig.

Dieser Artikel ist in PAGE 07.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PAGE 07.2023

Packaging für junge D2C-Marken ++ Designlehre an der Hochschule ++ Type und UI Design fürs IoT ++ B2B Branding ++ ENGLISH SPECIAL House of Gül ++ New Work: Tools & Workflows ++ Making-of: iOS-App Heavy Mental ++ VR-Produktion bei BECC Agency ++ E-Commerce: Transparente Check-outs ++ Start in die Designlehre

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