
Für wen B2B-Branding die richtige Nische ist
Warum B2B-Unternehmen als Kunden überhaupt nicht langweilig sind, und wie Kreative hier nicht nur gestalterisch, sondern auch strategisch etwas bewegen können
Der B2B-Bereich birgt allerdings einige besondere Herausforderungen: Es geht dabei überwiegend um komplexe Leistungen und Produkte für eine sehr spezialisierte und gut vernetzte Zielgruppe. Man hat es hier mit Entscheider:innen aus Produktion und Management zu tun, die sich nur schwer von experimentellen Designs überzeugen lassen und gern die Qualität ihrer Produkte schnörkellos in den Vordergrund stellen wollen. Das bedeutet aber nicht, dass Kreative lieber die Finger von B2B-Projekten lassen sollten. Im Gegenteil – oder um es mit den Worten von Ulrike Grein zu sagen: »Gerade die Problemlösung im kleinen Spielraum erfordert gestalterische Finesse und spornt zu neuen Ideen an.«
B2B-Kunden: Strategie auf Augenhöhe
Bei der Brandentwicklung für B2B-Kunden müssen Kreative nicht nur das Unternehmen kennenlernen, sondern auch Produkte und Leistungen analysieren und etwaige Submarken durchdringen. »Das Erste, was wir machen, ist in der Regel, die Anzahl der Marken deutlich zu reduzieren und eine sinnvolle Markenarchitektur aufzustellen«, erklärt Olav Jünke, der mit seiner Hamburger Agentur ondesign B2B-Kunden aus dem Aviation-Sektor betreut.
Die Umstrukturierung und strategische Neuausrichtung gilt es anschließend, vor verschiedensten Stakeholdern aus Produktion, Management und Wissenschaft mit klaren, wirtschaftlichen Argumenten zu begründen. Diese haben meist wenig mit Design zu tun, bewegen sich aber auf C-Level – also in hochrangigen Führungspositionen. So erhalten Kreative die Chance, ungewöhnliche Designlösungen direkt im »Herzen« eines Unternehmens zu präsentieren und Aspekte der Nachhaltigkeit und Diversität in der Positionierung herauszuarbeiten.
B2B-Branding: Qualität und Emotion
Die Herausforderung bei B2B-Projekten liegt darin, komplexe Produkte und abstrakte Leistungen in hoch spezialisierten Branchen zu durchdringen. Dafür müssen Kreative tief in Unternehmen und Geschäftsfelder eintauchen, Gespräche mit Expert:innen führen und einige Zeit auf die Recherche verwenden. Oft haben B2B-Unternehmen nur wenige, dafür große Wettbewerber, von denen sie sich durch Qualität, weniger in der Produktpalette differenzieren. Die entscheidenden Produktionsdetails fallen in der Regel allerdings unter das Firmengeheimnis und können nicht öffentlich kommuniziert werden.
Neukund:innen müssen also auf einer anderen Ebene überzeugt werden. Ein klares Storytelling hilft dabei, einen Rahmen für die Darstellung der Leistungen und Produkte zu schaffen. So schuf Sons & Daughters ID aus Vilnius zum Beispiel für den Softwarehersteller Inion eine generative Identity aus Binärcode-Patterns. Dabei erzählen die Kreativen aber nicht einfach von den Monitoringtools, die Inion für Solaranlagenbetreiber entwickelt, sondern bauten Gestaltung und Claims rund um das Sichtbarmachen von Daten auf.
Das ist bei B2B anders als bei D2C
Auch bei der Art der Kommunikation und Wahl der Medien gibt einiges zu beachten: Sie richten sich meist an ein kleines Fachpublikum, das sich untereinander kennt und auf Events trifft. Kundenbeziehungen sind langjährig und Auftragsvolumen bewegen sich in Millionenhöhe. Eine einfache Geschäftsausstattung und Social-Media-Kampagnen reichen da nicht aus. »Die Kommunikationskanäle im B2B sind ganz andere als bei D2C«, so Jason Debiak, CCO und Partner der US-Agentur Paper Tiger. »Um die richtigen Plattformen, Messen und Events zu finden, muss man sich als Kreativer selbst in der Branche auskennen und gut vernetzt sein.«
Außerdem haben Kundenservice und -pflege in B2B-Geschäftsbeziehungen ein besonderes Gewicht: handgeschriebene Postkarten, aufwendig veredelte Jahrbücher und Kataloge gehören bei den B2B-Kunden von Paper Tiger ebenso dazu wie digitale Newsletter und Kampagnen auf Businessportalen wie etwa LinkedIn. Hinzu kommt Kommunikation im Raum, seien es Messestände, Leitsysteme oder Installationen im Firmensitz. B2B-Brandings müssen also besonders flexibel und skalierbar sein, bieten aber auch die Chance, verschiedenste Medien zu gestalten und über alle Kanäle zu kommunizieren.
Wie wird man B2B-Branding-Agentur?
Der Trick besteht darin, sich auf eine bestimmte Branche zu spezialisieren und selbst zur Expertenagentur zu werden. Olav Jünke besucht beispielsweise die größeren Aviation-Messen und tauscht sich dort mit Firmenvertreter:innen aus. So kommt das Gespräch früher oder später auf die Vorteile eines strategischen Brandings. Wichtig dabei ist: mitreden können und Fachwissen parat haben, denn wer Verständnis für die besonderen Anforderungen der Kund:innen zeigt, wird nach einer erfolgreichen Zusammenarbeit in der Branche weiterempfohlen.
Ulrike Grein, die mit Markenfels seit 2013 ausschließlich B2B-Kunden betreut, ist damit definitiv erfolgreich. Aber auch im kleineren Rahmen kann B2B eine tolle Ergänzung zum Branding-Portfolio sein. Paper Tiger beispielsweise legt sich nicht fest, bietet es aber mit an, um so eine größere Bandbreite an Kund:innen zu erreichen. Ob nun voll auf B2B spezialisiert oder als zusätzliches Angebot – für Kreative bieten sich spannende Möglichkeiten, neue Ideen zu entwickeln und mit einem ungewöhnlichen Case sichtbar zu werden. Denn in der Fülle an business as usual Designs im B2B-Bereich fällt gutes Branding auf und kann visionären Marken den entscheiden Vorteil verschaffen. Also, worauf wartet ihr noch?
B2B-Branding: Die besten Beispiele aus der Praxis
Von Daten inspiriert
Wie Sons & Daughters ID für den Softwarehersteller Inion Code greifbar macht

Sons & Daughters ID aus Vilnius geht B2B- und B2C-Branding-Projekte auf die gleiche Weise an: Am Anfang stehen eine tiefschürfende Recherche und Q & As für die verschiedenen Stakeholder. Anschließend entwickeln die Kreativen in enger Abstimmung mit dem Kunden eine strategische Ausrichtung und Identity, die das Fundament der Marke bilden. Daraus ergeben sich dann mehrere Richtungsmöglichkeiten für die Gestaltung.
»Beim B2B-Branding lassen wir uns meist von einem Detail aus der Herstellung inspirieren. Etwas, das die Marke ausmacht und ihre Leistungen in den Vordergrund stellt«
erklärt Kreativdirektor Adomas Jazdauskas.
Die Kernkompetenz des Softwareherstellers Inion ist die individuelle Programmierung von Datenvisualisierungstools für die Kontrollzentren in Solarplantagen. Sons & Daughters ID entwickelte ein Brand Storytelling um die Fähigkeit, unsichtbare Daten wertvoll zu machen. Mit Claims wie »Who knew data could look like this« und »Data is energy«. Die Kreativen programmierten außerdem ein generatives Tool mit Python, das Wörter in Binärcode umwandelt und als Pattern visualisiert. In Kombination mit einer kräftigen Farbpalette und verschiedenen Helvetica-Schnitten können die Inion-Mitarbeitenden so selbst Teile des Designs erstellen und mit Binärcode-Botschaften aufladen.
Nach anderen Regeln spiegeln
Control Studio macht den sozialen Anspruch des IT-Dienstleisters turntabl sichtbar
Control Studio aus Amsterdam arbeitet ganz bewusst nur mit Firmen zusammen, die mit ihren Produkten zum Klimaschutz beitragen, Diversität und Inklusion fördern. Wobei es bei den Projekten oft darum geht, diese Werte in Positionierung und Branding erst noch klar herauszustellen. So auch beim IT-Dienstleister turntabl aus Ghana, dessen Mission es ist, die Tech-Branche im Land zu stärken, Informatiker:innen auszubilden und an Unternehmen aus der ganzen Welt zu vermitteln. Die Besonderheit: Anteile der Firma gehören den Mitarbeitenden und die Geschäftsführung plant, sich in Zukunft ganz aus dem Unternehmen zurückzuziehen.
Dieses Konzept rückte Control Studio im Storytelling in den Vordergrund und positionierte turntabl als Vorreiter für technische Kompetenz aus Ghana. Das Design selbst ist ungewöhnlich verspielt für die Branche und hebt sich mit einer stilisiert-verpixelten Schrift – eine abgewandelten Avenue Mono von BoulevardLAB – bewusst von anderen IT-Dienstleistern ab. Alexander Bajada, Kreativdirektor und Gründer von Control Studio, erklärt:
»Bei B2B-Brands muss man sich trauen, die Regeln einer Branche zu brechen. So kann man die Unternehmen sichtbar machen, die wirklich etwas bewegen.«
Der richtige Ton
Paper Tiger zeigt, wie eine flexible B2B-Brand unterschiedliche Zielgruppen erreichen kann
»B2B assoziiert man zunächst nicht mit spannendem Design«, sagt Jason Debiak, der als CCO und Partner die Digitalagentur Paper Tiger leitet. »Ein ungewöhnlicher Ansatz kann deshalb nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Designer:innen in einer Branche bekannt machen.« Für Paper Tiger zahlt sich das in Weiterempfehlungen aus. So erhielten sie auch den Auftrag für das Branding des Akkuherstellers Resonant Link. Das Unternehmen bedient vier Zielgruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen: Medicine, Automotive, Industrial und Consumer.
Paper Tiger entwickelte deshalb eine Dachmarke, aus der sich vier Signets ableiten. Jede Zielgruppe erhält ein eigenes Erscheinungsbild mit eigener Farbwelt und zugeschnittenem Wording. Besonders wichtig sei es beim B2B-Branding, über die langfristige Anwendung in verschiedenen Medien nachzudenken, erklärt Jason Debiak:
»Es geht darum, eine Balance zwischen Kreativität und Praktikabilität zu schaffen. Das Design muss leicht skalierbar sein, Raum für potenzielle Submarken lassen und nicht nur auf einer Website, sondern auch auf einer Messe funktionieren.«
»B2B-Designer:innen brauchen Marathonqualitäten«
Dr. Ulrike Grein entwickelt bereits seit 2013 mit ihrer Agentur Markenfels strategische Markenauftritte für große und kleine B2B-Kunden. Wir sprachen mit ihr darüber, was eine B2B-Designagentur können muss.
Wo liegt für Sie der Reiz bei B2B-Projekten?
Ulrike Grein: Wir können als relativ kleine Agentur mit etwa zehn Teammitgliedern so große Kunden wie Siemens bedienen und haben das komplette Design selbst in der Hand. Oft reichen im B2B-Bereich die Budgets nicht für größere Agenturen, das eröffnet Chancen für kleine, spezialisierte Teams, in denen auch die Senior-Mannschaft gestaltet. Wir werden dann in der Regel von jemandem aus dem Kundenteam dazugeholt, um Design in den Köpfen der Führungsebene als wertvolles Asset für ihr Unternehmen zu verankern.
Wie überzeugt man B2B-Kund:innen davon, in ihr Branding zu investieren?
Die Argumentation ist immer dieselbe: Branding steigert die Wertschöpfung durch die Marke. Kund:innen zeigen wir dazu Statistiken und unsere Referenzen. In der Beratung geht es darum, die Entscheiderinnen und Entscheider an die Hand zu nehmen und Gestaltung klar zu begründen. In der Regel spricht man da mit Ingenieur:innen, Wissenschaftler:innen und Manager:innen auf C-Level. Das sind strategisch denkende Menschen, die man dadurch überzeugt, dass man ihre Thematik begreift und die richtigen Fragen zu ihren Produkten und ihrer Zielgruppe stellt.
Welche Kompetenzen braucht es in einer B2B-Branding-Agentur?
Vor allem Marathonqualitäten. Projekte dauern oft mehrere Jahre und es geht dabei nie um das eigene gestalterische Ego oder aktuelle Trends. Viele unserer Designer:innen haben zwei Ausbildungen, kommen aus der IT oder haben vorher eine Lehre gemacht. Wichtig ist, dass man bereit ist, sich in technische Themen einzuarbeiten und die besonderen Herausforderungen im B2B-Bereich als Chance zu begreifen. Denn gerade die Problemlösung im kleinen Spielraum erfordert gestalterische Finesse und spornt zu neuen Ideen an.

Haben Sie ein Beispiel für uns?
Das kleine Budget des Schweizer Glasherstellers Univerre hat uns zu einer ungewöhnlichen Lösung inspiriert. Um Kosten zu sparen, sollten die bestehenden Produktbilder weiterverwendet werden. Wir haben sie dann mit einem eigenständigen Overlay versehen, das die ganze Gestaltung zusammenhält. Außerdem haben wir die Kernbotschaften neu ausgearbeitet und ein ganz klares Storytelling eingeführt, das Kunden und Kundinnen die Expertise von Univerre vermittelt. Die Umsetzung hat die Firma anschließend kostengünstig ausgelagert, und wir sind weiterhin für die Strategie zuständig.
Dieser Artikel ist in PAGE 07.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.