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Welcome, New Talent! 

Wie junge Kreative ihre Wege in die Designbranche finden und was Bildungseinrichtungen, Agenturen und Unternehmen ändern können, um ihren Einstieg besser zu gestalten 

Eine Gruppe von Menschen sitzt auf bunten Sitzgelegenheiten in einem kreativ gestalteten Raum mit farbenfrohen Streifen an Wänden und Decken.
Ganz gemütlich im eigenen Gebäude in der JvM Academy: hier sollen die Talents im Safe Space ihre Kreativität entfalten können.

Neue Talente halten die Designbranche in Bewegung und sind überall gefragt. Trotzdem ist ihr Einstieg in die Branche oft noch holprig: sie erzählen von enttäuschten Erwartungen an den Berufseinstieg, zu wenig Praxisarbeit im Studium, Sprüngen ins kalte Wasser und etlichen Wechseln, bis sie schließlich ihre Traumjobs finden.

Doch wo driften die Designlehre und die Realität der Branche auseinander?

Ausbildung oder Studium?

Erste Unsicherheit entsteht bei den jungen Kreativen bereits in der Wahl zwischen Studium und Ausbildung. Der Trend geht seit mehreren Jahren kontinuierlich zum Hochschulabschluss. Doch wirklich sicher fühlen sich die Studierenden beim Berufseinstieg damit nicht. »Im Nachhinein hätte ich vorher gerne eine Ausbildung gemacht, um mehr an praxisbezogenen Projekten arbeiten zu können«, sagt Lilly Bremer, die an der University of Europe for Applied Sciences in Hamburg Kommunikationsdesign studierte. 

Aber auch unsere Talents mit Ausbildung fühlen sich nach abgeschlossenen Lehrjahren nicht vollständig auf die Realität der Branche vorbereitet. So entschied sich Lana Kari nach zwei Ausbildungen und ersten Berufserfahrungen, noch ein Studium anzuhängen. Ihr ging es dabei vor allem um die konzeptionelle Tiefe und den Freiraum, den das Studium bieten kann. 

Trotz ihrer umfassenden Ausbildung in Theorie und Praxis gestaltete sich ihr Einstieg in die Branche allerdings schwierig und sie musste darum kämpfen als Gestalterin mit all ihren Erfahrungen ernst genommen zu werden. Liegt das Problem also weniger in der Form der Lehre als dem Verständnis, was die Talents beim Einstieg leisten sollen?

Eine Gruppe von Menschen steht im Kreis um ein Klavier. Eine Person mit einer Weihnachtmütze spielt das Klavier in einem dunklen Raum.
Mehr als nur lernen: bei der Ausbildung von Talents in der JvM Academy geht es auch darum, die Gemeinschaft und individuellen Stärken zu fördern.

»Es geht nicht nur darum das Potenzial zu erkennen und Talente einmalig weiterzubilden – ihre Entwicklung ist eine kontinuierliche Aufgabe in Agenturen und Unternehmen«

Robin Auer, Design Lead bei IBM

Was können Talents leisten?

»Agenturen und Unternehmen haben eine klare Vorstellung, was neue Mitarbeitende bei ihnen leisten sollen«, erklärt IBM Design Lead, ehemaliger DDC-Vorstand und Dozent Robin Auer, der selbst in einigen Agenturen arbeitete, bevor er auf Unternehmensseite wechselte. »Wenn ich junge Leute einstelle, kann ich aber nicht erwarten, dass sie diese Rolle sofort ausfüllen. Denn junge Kreative müssen erst in diese Positionen hineinwachsen und Erfahrungen sammeln um dann die Erwartungen erfüllen zu können.«

Entscheidend sind dabei die zeitlichen und finanziellen Ressourcen, sowie Senior-Fachkräfte, um diese Art von Weiterbildung zu leisten. Ohne sie droht den Talents der unkontrollierte Sprung ins kalte Wasser – sie müssen sich viel selbst beibringen um Lücken im bestehenden Team zu schließen.

Dabei wird eine ihrer wichtigsten Kompetenzen oft übersehen: Sie bringen neue Ideen, Workflows und Skills mit, die Teams verjüngen und Prozesse optimieren können. Ihre Qualität liegt so vielleicht nicht in den handwerklichen Aufgaben, die gerade erledigt werden müssen, dafür sind sie der Schlüssel, um die Branche zukunftsfähig zu machen. Und genau darauf will die Designlehre sie vorbereiten.

Hochschulen: eine Konstante mitgeben

Eine der ersten Hochschulen, die ein neues Lehrkonzept erfolgreich anwendet, ist die FH Salzburg. Ursprünglich stark handwerklich ausgerichtet, fiel die Hochschule in den letzten beiden Jahren bei den ADC Talent Awards mit wasserdichter Konzeption und ungewöhnlichen Ideen auf.

Dahinter steckt die klare Haltung der Fachbereichsleiterin für Kommunikationdesign, Prof. Viktoria Kirjuchina: »Wir haben keine Zeit mehr, die Studierenden handwerklich rundzuschleifen. Was wir ihnen mitgeben müssen, ist, in dem Wandel die Konstante am Design zu erkennen: die Kommunikationskompetenz an sich und die Kompetenz, konzeptionell und strategisch zu denken.«

Der praktische Schwerpunkt der Ausbildung, sowie das Vermitteln des nötigen Fachvokabulars in einem spezifischen Bereich, fallen dabei eher den späteren Arbeitgeber:innen zu. Dadurch würden die Hochschulen freier und könnten eine neue Rolle einnehmen, erklärt Andrea Nienhaus, Professorin an der IU Internationalen Hochschule: »Es geht nicht immer um einen starken Praxisbezug – im Gegenteil: Wir probieren hier etwas aus und versuchen eine Lösung für etwas zu finden, die zukunftsweisend ist.«

Mehrere Personen sitzen auf gelben Stühlen in einem farbenfrohen Raum und hören einer stehenden Person zu, die eine Präsentation hält.
Zusammen an Problemen arbeiten und Lösungen suchen. In der JvM Academy kommen das Team und die neuen Talente zusammen und profitieren von einem bunten Angebot aus Expertinnen-Sessions

»Wir müssen hinterfragen, was die Funktion des Designstudiums sein soll«

Prof. Viktoria Kirjuchina, Fachbereichsleitung Kommunikationsdesign, FH Salzburg

Wie Agenturen weiterbilden

Die konzeptionell starken neuen Talente als solche anzuerkennen und dann vor Ort für spezifische Aufgaben weiterzubilden, bietet zudem Vorteile für Agenturen und Unternehmen. Früh erkannt hat das die Agentur Jung von Matt, die in ihrer Academy in Hamburg jährlich 20 Talente selbst ausbildet.

So kann ein individuell zugeschnittener und flexibler Lehrplan genau die Qualitäten in den Vordergrund stellen, die JvM in ihren Mitarbeitenden sucht – und diese liegen weniger im handwerklichen Bereich als in der Ideenentwicklung, Persönlichkeit und Resilienz. Dazu verbringen die Talents mehrere Monate in der Academy in Hamburg mit Theorie und Praxisprojekten, rund acht Monate an den verschiedenen JvM-Standorten, um ihre Skills im Agentur-Alltag zu vertiefen.

»Wir haben uns gefragt, was man Kreativen noch beibringt, wenn fast alles Wissen googlebar ist«, so JvM Academy-Leiter Chris Fotheringham. »Wir lehren sie heute vor allem, Fehler zu machen, auszuprobieren, Hemmungen abzubauen, furchtlos Output zu schaffen ohne sofort zu bewerten.« Finanziell ist die JvM Academy für Jung von Matt ein großes Investment. Doch es zahlt sich aus: ein Großteil der Academy-Absolvent:innen bleibt nach dem Ausbildungsjahr bei Jung von Matt – und trägt den Innovations-Geist der Academy in die verschiedenen Teams.

Aber es muss auch nicht immer gleich die eigene Academy sein. Viel wichtiger ist, dass erfahrene Kreative und Agenturen Strukturen schaffen, in denen neue Talente wachsen können. Sei es in einem wöchentlichen Tool-Training für Junior:innen, wie bei Accenture Song. Oder in einem organisierten Mentoring, wie dem ADC Future Females Programm, bei dem sich erfolgreiche Gestalterinnen aus der Branche engagieren, um junge Kreative zu fördern.

Eine Gruppe von Menschen sitzt und entspannt sich auf einem Dach, während die Sonne untergeht und den Himmel orange färbt.
Im kleinen Kreis und lockerer Atmosphäre. Die Jung von Matt Talents lernen sich in einem Jahr gut kennen

»Ich wünsche mir, dass die Hochschulen die Studierenden auf eine offene Zukunft vorbereiten – mit all ihren Herausforderungen und Chancen. Der Fokus sollte auf gesellschaftlicher Verantwortung, Empathie, Resilienz und Selbstvertrauen liegen. Mehr aufrichten, statt unterrichten«

Nicole Hoefer-Wirwas, Systemischer Coach, ADC-Jurymitglied und Mentorin für junge Kreative, Berlin

Branche: Offenheit für Veränderung

Klar ist: nicht nur Hochschulen und Ausbildungsbetriebe haben einen Lehrauftrag, sondern auch die späteren Arbeitgeber:innen. Dabei lohnt es sich, Erfahrungswerte von jungen Kreativen mit einzubeziehen, denn sie zeigen kritisch Probleme auf.

»Wir können so viel voneinander lernen«, sagt Nicole Hoefer-Wirwas, Kreativdirektorin, Coach und Mentorin. »Konflikte entstehen dort, wo die bestehenden Strukturen und Denkmuster nicht mit der Innovationskraft und den neuen Ideen der jungen Kreativen Schritt halten. Und genau dann müssen wir als Branche umso besser zuhören.«

Wir haben deshalb mit fünf Talents gesprochen und stellen in diesem Impuls ihre Werdegänge vor – von ersten Jobs in Agenturen über den verwinkelten Weg in die Selbstständigkeit bis hin zur Karriere im Unternehmen. Wir fragen nach ihren Wünschen und Zukunftsvisionen fürs Design. Und was sie anderen Talents, den Hochschulen und Agenturen mitgeben wollen.

Denn der erste Schritt, um etwas in der Branche zu verändern, ist immer der Dialog.

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