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Worum geht es bei Experience Design?

Experience Design gewinnt gerade enorm an Bedeutung. Was treibt diese Entwicklung und worum geht es dabei? Darüber und über das nötige Skillset im Experience Design sprachen wir mit Antje Kruse-Schomaker, Daniel Simon und Marko Thorhauer von IBM iX

Experience Design IBM iX
Daniel Simon (links), Chief Design Officer Europe bei IBM iX, Antje Kruse-Schomaker, Executive Design Director und Design Principal bei IBM iX in Hamburg, und Marko Thorhauer, Executive Creative Director und Design Principal bei IBM iX in Berlin

Da­ss Experience Design wesentlich mehr umfasst als digitale Produkte und Ideen zu gestalten, davon sind Antje Kruse-Schomaker, Daniel Simon und Marko Thorhauer überzeugt. Alle drei leiten den Bereich Design bei IBM iX und sind Mitglieder des globalen IBM Senior Design Leadership Teams. Wir sprachen mit ihnen über die Ar­beit bei IBM iX, die designorientier­te Un­ternehmenskultur bei IBM und über das nötige Skillset im Experience Design.

»Es geht nicht nur um die steigende Bedeutung einer Disziplin, sondern auch um die Haltung, dass Designkom­­­pe­tenz in den obersten Ebenen angesiedelt ist«

Daniel Simon

Experience Design gewinnt gerade enorm an Bedeutung. Was treibt diese Entwicklung aus eurer Sicht an?
Marko Thorhauer: Das hat viel mit ge­sell­schaftlichem Wandel zu tun. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die ohne Design nicht zu lösen sind: Nachhaltigkeit, Transformationsprozesse, künstli­che In­tel­ligenz – überall braucht es designtypi­sche Denkweisen und Methoden, um kom­ple­xe Probleme zu lösen.

Daniel Simon: Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass Entscheidungen, in die Designer involviert sind, zu besseren Ergebnissen kommen. Das erkennen auch Unternehmen und Organisationen immer mehr an, weil sie sehen, dass sie sich durch gute Experiences im Markt differenzieren können. Wir sprechen nicht nur von der steigenden Bedeutung einer Disziplin, sondern von einer grundsätzlichen Haltung, einem Bekenntnis hin zu Businessmodellen, in denen Designkompetenz in den obersten Ebenen angesiedelt ist. Es geht also auch darum, mitzureden, die Stimme zu erheben zu wichtigen gesellschaftlichen und businessrelevanten Themen.

»Experience Design kann nur gelingen, wenn unterschiedliche Kompetenzen zusammenwirken«

Antje Kruse-Schomaker

Auch euer Mutterkonzern IBM folgt klar dieser Linie. Ihr selbst gehört zum globalen Senior Design Leadership Team des Konzerns und beeinflusst die Unternehmensführung mit. Was fasziniert euch an dieser Arbeit?
Simon: Als ich 2016 zusammen mit meinen damaligen Partnern unsere Digital­agentur Aperto verkaufte, entschieden wir uns bewusst für IBM, weil wir erkannt hatten, dass das Versprechen von Human-Centered Technology hier nachhaltig verfolgt wird. Design ist seit Langem im Unterneh­menskern verankert. Das berühmte Statement »Good design is good business« des ehemaligen IBM-CEOs Thomas Watson Jr. aus den 1950er Jahren gilt nach wie vor. Mit IBM iX spielen wir heute als weltweit operierende Digitalagentur eine tragende Rol­le im Serviceportfolio des Konzerns.

Antje Kruse-Schomaker: Wie Design im Unternehmen wahrgenommen wird, ist auch für mich ein wichtiger Punkt. Ich war von Anfang an involviert, als IBM 2012 ein globales Designprogramm startete und so­wohl in Talente als auch in eine gemeinsa­me Arbeits- und Denkweise sowie eine ein­heitliche Designsprache investierte. Der Fokus auf nutzerzentrierte Erlebnisse macht für mich die Arbeit besonders wertvoll. Heute arbeiten circa 3000 professionelle Designer:innen bei IBM.

Thorhauer: Für mich war der Start bei IBM iX vor acht Jahren wie eine Umstellung von Sprint auf Marathon. In der Zeit davor hatte ich als Creative Director digitale Projek­te mit Start-ups und Agen­turen umgesetzt, heute leite und skaliere ich eine Design­organisation in einem globalen Konzern. Das heißt, ich bilde Designer:innen aus und führe sie in ihre neuen Rollen als wichtige Ansprechpartner:innen in Transfor­ma­tions- und Businessprozessen. Mit welcher Leidenschaft unsere Kolleg:innen dabei sind, gefällt mir sehr.

Den einen oder die eine Experience-Designer:in gibt es nicht. Welche Kom­petenzen vereinen eure Designteams?
Kruse-Schomaker: Experience Design ge­­lingt nur, wenn verschiedene Kompeten­zen zusammenwirken. Viele unserer Kol­le­g:in­nen kommen mit einer Spezialisierung zu uns und stellen sich mit der Zeit immer brei­ter auf. Design Researcher etwa kommen klassischerweise aus dem Bereich Psy­cho­logie oder Anthropologie. Es gibt aber auch Kommunikationsdesigner:innen, die sich in diese Materie einar­bei­ten. Wichtig ist, dass sie Hypothesen auf­stellen, Interviews führen und Beobachtun­gen systema­tisch dokumentieren können. Im Bereich UX De­sign brauchen wir Menschen, die Ahnung von Interfaces und Interaktionen ha­ben, aber auch Voice-Anwendungen kon­zep­tio­nieren können. Für das UI Design sind wiederum Kom­munikations­desig­ner:in­nen mit einem feinen Gespür fürs Visuelle gefragt. Und Content De­sign konzentriert sich auf Inhalte – hier arbeiten oft Menschen mit journalistischem Hintergrund.

Thorhauer: Aufgabe von Experience De­sign ist, die vielen Touchpoints in den Cus­tomer Journeys unserer Auftrag­gebe­r:in­nen zu einem großen Ganzen zu verbinden. Unsere Kund:innen stehen oft nicht am Beginn ihrer Digitalisierung, sondern verfügen bereits über ein digitales Ökosystem, das aber oft in Design und Technologie fragmentiert ist. Auf dem Weg zu einer nahtlosen Experience gibt es viele Rollen – Visual-Designer:in, Frontend-Designer:in, Content-Strateg:in bis hin zu klassischen Texter:innen. Zudem brauchen wir im Experience Design Prototyping-, Technologie- sowie Daten- und Businesskompeten­zen. Wichtig ist mir, dass all diese Leute ein grundlegendes Verständnis der Bedeutung von Design haben. Sie müssen in der Lage sein, den Mehrwert von Design auch nach außen, etwa gegenüber Menschen mit IT- oder Businesshintergrund, deutlich zu machen, den Prozess zu moderieren und beratend tätig zu sein.

Welche übergeordneten Skills brauchen Experience-Designer:innen?
Thorhauer: Grundlegend sind eine iterati­ve, explorative Denkweise und die Bereit­schaft, schnell und viel zu lernen. Wir haben ein eigenes Design-Thinking-Framework – das sogenannte Enterprise Design Thinking –, mit dem wir uns Lösungen nä­hern: durch Beobachten, Ver­stehen, Re­­flek­tieren, Ideengenerierung, pro­to­­typi­sches Ge­stalten und Testen. Außerdem ist ein hohes Maß an Empathie gefragt.

Simon: Darüber hinaus fordern wir ein in­terna­tio­nales Mindset und Neugier ein, die Sprache auf unseren Projekten ist oft Englisch. Gute Designer:innen beherrschen aber auch fachlich die Sprache ihres Gegenübers. Sie verstehen Industrie­kon­tex­te und eignen sich Branchenkompetenz an. Das erwarten Kund:innen von uns.

In welchen Branchen ist der Bedarf an Experience Design besonders groß?
Simon: Als Digitalagentur an der Schnittstelle von Design, Strategie und Technolo­gie kommen wir dann ins Spiel, wenn sich Marken, Organisationen oder ganze Bran­chen in einer digitalen Transformation be­finden. Meist geht es um die Entwicklung ganzheitlicher Experiences – die Gestaltung von neuen digitalen Businessmo­del­len, Plattformstrategien und Serviceinnovationen. Bedarf gibt es bei Industrie- und Mobilitätskonzernen, Versicherungen und Banken, in den Bereichen Retail und Gesundheit ebenso wie bei Start-ups und im öffentlichen Sektor.

Thorhauer: In Deutschland hat der öffent­liche Sektor starken Nachholbedarf. Die Nachfrage nach digitalen Services ist hoch, da laut Onlinezugangsgesetz die öffentli­che Hand ihre Leistungen in Zukunft digital anbieten muss. Für IBM iX ist die Zusam­menarbeit mit Behörden, der Bundesregie­rung oder halb öffentlichen Einrichtun­gen ein wichtiges und spannendes Feld, auf dem der rechtliche Rahmen, die Sensibilität der Daten oder das Thema Accessibility eine viel wichtigere Rolle spielen als bei Consumer Services.

Kruse-Schomaker: In den Fokus gerückt ist auch das Thema Employee Experience. Im War for Talents haben Arbeitneh­me­r:in­nen heute ei­nen hohen Anspruch an eine ganz­heitli­che Erfahrung an den Touchpoints ihrer Arbeitgeber:innen.

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Könntet ihr jeweils ein Beispiel für ein Projekt aus dem Bereich Employee Experience und aus dem öffentlichen Sektor nennen?
Kruse-Schomaker: Wir begleiten zum Bei­spiel die globale Einführung eines digita­len Human-Resources-Chatbots bei Siemens. Die Idee zu CARL – so heißt der Chatbot – wurde 2016 in einem Design-Thinking-Work­shop in unserem Hamburger Studio geboren. Damit können Siemens-Mit­ar­bei­ter:innen mit künstli­cher Intelligenz sehr einfach Hilfestellungen zu HR-bezoge­nen Prozessen erhalten, ohne sich durch ganze Wälder von Informationen und Applikationen auf diver­sen Plattformen zu wühlen.

Thorhauer: Das aktuell prominenteste Bei­spiel aus dem öffentlichen Sektor ist der di­gitale Impfnachweis für das Bundesge­sund­heitsministerium. Hier hatten wir ein wun­derbares Designteam, das sehr schnell dafür sorgte, dass er nut­zerfreundlich gestaltet wird und die Kom­mu­ni­kation rund ums Produkt funktioniert.
Simon: Auch dieser Fall zeigt, dass Design mehr tut als Applikationen zu entwickeln. Es kann Innovationen in bestehende kulturelle Muster und Rituale integrieren und Menschen den Zugang dazu ermöglichen.

»Experience Design verbindet die digitalen Touchpoints unserer Auftraggeber:innen zu nahtlosen Customer Journeys«

Marko Thorhauer

Wie stellt ihr sicher, dass ihr angesichts der Konzerngröße schnell arbeitet?
Kruse-Schomaker: Agilität ist einer der Er­folgsfaktoren des IBM-Designprogramms. Es war von Anfang an klar, dass wir uns au­ßerhalb der traditionellen Konzernstruk­turen bewegen müssen, um uns schnell an neue Bedürfnisse anpassen zu können.

Simon: Das spiegelt sich übrigens auch in der IBM Garage wider. In diesem Modell arbeiten wir kollaborativ mit unseren Auf­traggeber:innen zusammen und helfen ih­nen mit unseren Methoden, Transformationsprozesse zu beschleunigen. Es umfasst die Ver­mittlung und die Umsetzung von Design Thin­­king, von agiler Entwicklung sowie Dev­Ops-Tools und -Techniken ebenso wie den Zugang zu unseren eigenen und zu Part­ner­technologien. 2020 hat das Marktforschungsunternehmen Forres­ter IBM Garage auf den Prüfstand gestellt und den Er­folg belegt: Das IBM-Garage-Modell führt zu einem Viel­fachen an Ideen, zu um 67 Prozent schnelleren Ergebnissen, zu sechsmal so vielen Projekten in der Pro­duktion und zu mehr als 100 Prozent Return on Investment.

Die Messbarkeit des Projekterfolgs spielt eine wichtige Rolle für euch. Wie viel Druck erzeugt das in euren Teams?
Simon: Gerade in komplexen Projek­ten ist es wichtig, die Qualität bis zum Ende hoch­­zuhalten. Wir gestalten oft am An­fang ­eine ambitionierte Design Vision, eine Art »Nordstern«, den wir erreichen wollen. Auf dem Weg dorthin sorgen wir immer wieder für »Tangible Outcomes«, indem wir mit Prototypen User:innentests durchführen. Auch DesignOps, also systematisierte Tools und Pro­zes­se, bereitzustellen hat sich als erfolgreich erwiesen. Key-Performance-In­dikatoren für Design sind in vielen Fällen eher qualitativ zu messen, etwa durch Net-Promoter-Scores von User:innen oder Focus Groups. Aber auch die offene Designkritik unter­einander ist wichtig.

Wie gelingt das?
Thorhauer: Dazu gehört, dass es im Unternehmen eine gute Peergroup aus De­sig­ner:innen gibt, mit denen man kol­la­bo­rie­ren und sich austauschen kann. Wis­sens­austausch sowie Weiterentwick­lung sind ent­scheidend für die Jobzufriedenheit, fürs Qualitätslevel und damit auch für den Erfolg unserer Arbeit.

Welche Karrierechancen haben Expe­rience-Designer:innen bei IBM iX?
Kruse-Schomaker: Im Zuge der Designtransformation hat IBM schon seit 2012 ei­gene Karrierepfade für Designer:innen etabliert. Das kannte man im Unternehmen so bisher nicht. Man kann als Spe­zia­list:in Karriere machen oder sich in Richtung Management entwickeln und Team- beziehungsweise Führungsverantwortung übernehmen.

Simon: Theoretisch ist die Karriereleiter nach oben offen. Wie gesagt: Wir sind der festen Überzeugung, dass zur neuen Rolle von Designer:innen gehört, bei business­relevanten Fragen mitzureden und Entscheidungen zu treffen. Design ist akzeptiert, Design entscheidet mit. Ich finde: Es gab nie eine bessere Zeit, um Kreative:r zu sein.

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