Und: Wie funktioniert Designmanagement bei der Schweizerischen Post? Wir haben nachgefragt bei Brandmanager Andreas Badstöber, UX-Architektin Leena Majaranta und User-Interface-Developerin Carla Hofer.
Seit 2018 haben es sich Brandmanager Andreas Badstöber, UX-Architektin Leena Majaranta und User-Interface-Developerin Carla Hofer bei der Schweizerischen Post zur Aufgabe gemacht, Design als Prozess stärker im Unternehmen zu verankern. Mit dem Common Web Frontend (CWF) haben sie neben dem neuen Entwicklungsprozess für digitale Anwendungen ein Designsystem mit Pattern-Bibliothek entwickelt und sind intern als Diplomaten tätig, die den neuen Prozess in die verschiedenen Abteilungen der Schweizerischen Post tragen. Wie das konkret funktioniert, welche Kompetenzen notwendig sind und wie sich die Rolle des Designmanagers entwickelt, besprachen wir mit dem Team.
Was für ein Mindset braucht es, um Designmanagement in einem großen Unternehmen zu etablieren? Andreas Badstöber: Design- oder Brandmanager bewegen sich stets im Spannungsfeld zwischen markenkonformem Corporate Design und dem, was die Mitarbeiter benötigen, um ihre Projekte voranzubringen. Niemand spielt gerne den Polizisten, aber wir befinden uns auch nicht auf einer grünen Wiese, wo alles möglich ist. Wenn eine Abteilung mit Wünschen, Vorstellungen oder Projekten zu uns kommt, die sich nicht umsetzen lassen, ohne dabei die Marke oder unsere Qualitätsansprüche an die User Experience aufzuweichen, dann muss ich einfach sagen: »Sorry, nein, so können wir das nicht machen.« Da bin ich dann doch der Polizist. Dafür zu sorgen, dass das Corporate Design der Post eingehalten wird, ist halt mein Job.
Macht man sich da nicht unbeliebt? Badstöber: Natürlich kann man nicht immer nur Nein sagen, ohne den Leuten zu ermöglichen, ihre Projekte weiterzuentwickeln. Wenn ich ihren Bedürfnissen nicht entgegenkomme, fragen sie früher oder später gar nicht mehr, sondern machen es einfach und sagen am Schluss: »Oh, tut uns leid, jetzt ist es schon online.« Wenn die Mitarbeiter dich nicht schätzen, wenn sie nicht das Gefühl haben, bei dir weiterzukommen, werden sie dich nicht respektieren und letztlich probieren, dich zu umgehen. Daher versuche ich mit allen, die zum Branding kommen, eine gute und stimmige Lösung zu finden, mit der auch der Nutzer am Schluss zufrieden ist. Ich betrachte mich hierbei vor allem als internen Dienstleister. Besonders im Digitalen kann man die Gestaltung nicht vom Brand-Elfenbeinturm aus weiterentwickeln. Sowas muss in enger Zusammenarbeit mit den Projekten passieren. Das Branding behält dabei die Übersicht und entwickelt zudem grundlegende Gestaltungselemente weiter.
Carla Hofer: Es reicht aber nicht, wenn Designmanagement nur beim Branding liegt oder nur aus einer Ecke kommt. Es müssen verschiedene Abteilungen am Tisch sitzen, um einen guten Informationsfluss in Gang zu bringen, es braucht ganz konkrete Rollen und Verantwortlichkeiten.
Leena Majaranta: Das kann ich nur unterstreichen. Die Map mit den Rollen hat uns wirklich sehr geholfen, auch um anderen Abteilungen unsere Rolle zu vermitteln und mit ihnen gemeinsam die Perspektive des Users ins Zentrum des Designprozesses zu stellen. Aber wie Andy sagt:
Es ist immer ein Spagat zwischen Dienstleistung einerseits und Governance über das Designsystem andererseits.
Die Kunst ist, das so rüberzubringen, dass es die Leute positiv aufnehmen. Tatsächlich fragen uns viele nach Regeln und sind froh zu hören, dass es Rahmenbedingungen gibt.
Was hat euch bei der fachübergreifenden Teamarbeit geholfen? Hofer: Für uns war es wichtig, uns in den Meetings von der Unternehmenspolitik zu lösen. Wir haben versucht, nicht in den üblichen Vorgaben unserer Abteilung zu denken, sondern vernünftige Lösungen für alle zu finden. Dabei hat enorm geholfen, dass wir alle ehrlich zueinander waren und von Mensch zu Mensch miteinander gesprochen haben, nicht von Abteilung zu Abteilung. Wenn man ehrlich anstatt businessfreundlich zueinander ist, findet man oft schnell heraus, dass man ohnehin dasselbe denkt, und kann vernünftig arbeiten.
Welche Disziplinen und Kompetenzen braucht es noch? Badstöber: Das kann man so pauschal gar nicht sagen. Nur so viel:
Designmanagement darf nicht die Sache einer einzelnen Person sein, und es muss im Team sehr spezifische Verantwortlichkeiten geben.
Hofer: Bei den Kompetenzen spricht man ja gerne von den T-Shaped People, die zugleich Generalist und Experte sind – häufig müssen diese aber dafür herhalten, dass keine Experten angestellt werden, und am Schluss sollen sie alles abdecken können. Man braucht Experten wie UI-Developer, die mit Designern und Entwicklern gleichermaßen reden können, das ist aber Teil der Spezialisierung.
Majaranta: Vor allem muss man die Rolle der anderen verstehen und auch am selben Strang ziehen können. Das CWF-Management können wir nur als Team realisieren, und da kommt es neben fachlicher Expertise viel auf Soft Skills und Erfahrung an.
Welche Voraussetzungen müssen im Unternehmen bestehen, damit Designmanagement erfolgreich ist? Badstöber: Das Unternehmen insgesamt muss den Business Value von Designmanagement erkennen. Dafür muss man viel evangelisieren und die Mitarbeiter sensibilisieren. Alle Mitarbeiter sollten die Wichtigkeit einer konsistenten Brand Experience über alle Touchpoints hinweg verstehen, egal ob digital oder physisch. Dazu gehört, dass man ein Grundverständnis für die anderen Abteilungen mitbringt.
Hofer: Vor allem für die UX-Services! Die wurden bisher am ehesten umgangen, weil sie Budget kosten und ihre Dienstleistung vielleicht am wenigsten greifbar ist. Aber tatsächlich ist sie ausschlaggebend für ein positives Nutzererlebnis. Zudem sind die Kosten dafür, ein Projekt noch einmal neu zu konzipieren und umzusetzen, deutlich höher, als wenn man die UX-Services von vornherein einbezieht.
Majaranta: Carla hat recht: Uns UXler konnte man recht einfach umgehen, die IT jedoch nicht. Deshalb haben wir mit dem CWF jetzt einen ganz klaren Prozess, bei dem die IT kein Frontend ohne validiertes UX-Konzept umsetzen darf, sodass man uns immer einbeziehen muss.
Wie kann man das Verständnis dafür im Unternehmen fördern? Badstöber: Wir veranstalten schon länger eine wöchentliche »Brand- und UX-Sprechstunde«, die die Mitarbeiter sehr gut annehmen. Für sie haben wir jede Woche bestimmte Zeiten festgelegt, damit sich die Projektteams informieren und mit ihren Fragen zu uns kommen können. Teilweise sind das ganz einfache Fragen wie: Wo sind die Logos? Welche Farben kann ich verwenden? Aber wir versuchen den Leuten dort auch den Business Value von Branding und UX aufzuzeigen und den einheitlichen Brand als gemeinsames Ziel zu vermitteln. Denn das ist letztendlich im Sinne des Endkunden und damit der gesamten Schweizerischen Post.
Majaranta: Außerdem vermitteln wir dort sämtlichen Interessierten auch das Common Web Frontend und die neuen Prozesse in unseren Teams. Wir sitzen mit IT, Brandmanagement und Visual Design zusammen und besprechen aktuelle Projekte und Problemstellungen, bei denen man durch fachübergreifende Gespräche schneller voran- und weiterkommt als alleine.
Man kann sich in Designmanagement fortbilden. Wie viel haben Theorie und Praxis gemeinsam? Badstöber: Theorie und Praxis haben sehr viel miteinander zu tun. Neben der theoretischen Arbeit, der Methodik sowie der Strategie tauschen sich die Fortbildungsteilnehmer an der Hochschule Luzern viel über ihre Erlebnisse in der Praxis aus und bringen sich dadurch gegenseitig weiter.
Hofer: Aber wenn man gerade frisch von der Uni kommt, fehlt einem wahrscheinlich eine gewisse Reife, oder?
Badstöber: Ja, nicht bloß das Fachwissen gehört zum Designmanagement, sondern ebenso Lebenserfahrung – man muss mit Rückschlägen umgehen und Durchhaltevermögen besitzen. Designmanagement in großen Unternehmen zu verankern ist ein langfristiges Projekt.
Mindestens vier bis fünf Jahre konsequent dranzubleiben mit allem, was dazugehört, schafft man nur mit Geduld und Hartnäckigkeit.
Majaranta: Außerdem sollte man bereits gut vernetzt sein im Unternehmen, damit das greift. Beim Brandmanagement erlebst du viele Diskussionen, musst dich durchsetzen und mit allen Abteilungen auf Augenhöhe reden können. Das erfordert neben Diplomatie und Durchsetzungskraft auch Erfahrung und Vertrauen.
Was war das spannendste Projekt mit dem CWF, was macht ihr aktuell? Hofer: Für mich ist die Arbeit am CWF am interessantesten. Derzeit setzen wir damit eine neue Standortsuche um und bereiten die Demo-App für den offiziellen Roll-out des CWF 4.0 Anfang 2021 vor.
Badstöber: Es gibt so viele spannende und coole Projekte hier bei der Post, in denen ich richtig aufgehen kann, aber die allererste Realisierung mit dem CWF fand ich sehr beeindruckend: Wir konnten das Projekt »Service-on-Demand« in unglaublich kurzer Zeit umsetzen, und kurz darauf bekam ich Feedback vom Interface-Entwickler. Er sagte, dass er sich dank der integrierten Designvorgaben voll und ganz auf die konkrete Implementation konzentrieren und effizient und qualitativ hochwertig entwickeln konnte, statt auf das Styling zu achten. Genau das wollen wir mit dem Common Web Frontend erreichen.
Lässt sich der Einfluss des CWF auf den Unternehmenserfolg messen? Majaranta: Ja, in der UX können wir mit Testverfahren messen, wie Anwendungen bei den Endkunden ankommen, etwa ob sie ihr Ziel schnell erreichen oder wie zufrieden sie sind. Wir denken auch darüber nach, welche KPIs zukünftig noch einfließen können und welche Zahlen man wie verknüpfen könnte, um bei den verschiedenen Anwendungen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden ein möglichst realistisches Testergebnis zu erhalten.
Badstöber: Auch an der kürzeren Projektdauer erkennt man die Effizienzsteigerung durch den CWF-Prozess – und natürlich an den gesparten Kosten für mehrfache Entwicklung oder Entwicklungsschleifen.
Hofer: Man kann aber nicht alle positiven Aspekte nur in Zahlen herunterbrechen. Auch die nicht unmittelbar greifbaren Verbesserungen – etwa in der fachübergreifenden Zusammenarbeit oder beim Komfort für die Applikationsentwickler – sind ein großer Teil der Ergebnisse, die man spüren, aber nicht immer eins zu eins in Zahlen messen kann.
Wie geht es mit dem Designmanagement bei euch weiter? Badstöber: Als Designmanagement sind wir nicht die Hüter des Status quo, auch der Brand der Schweizerischen Post muss sich permanent weiterentwickeln. Besonders die digitale Welt verändert sich sehr schnell – sechs Monate sind da eine halbe Ewigkeit, in der sich ganze Technologien abschaffen oder neue entstehen. Als Designmanager sind wir daher vielmehr die Hüter einer natürlichen Designevolution, die für die meisten Konzerne gesünder ist als eine Revolution.
Majaranta: Ich denke, DX, die Developer Experience, wird künftig eine immer größere Rolle spielen. Äquivalent zur User Experience muss man bei Produkten für Developer – wie dem CWF – besonders auf die Bedürfnisse der Programmierer eingehen.
Hofer: Davon hatte ich noch gar nicht gehört – aber für mich klingt das sehr vernünftig. Ich habe mich schon immer und besonders im Common Web Frontend dafür eingesetzt, den Entwicklern das Leben einfacher zu machen.
Man sieht an Leenas Antwort aber auch einmal mehr, dass man besonders die Notwendigkeit von UX-Services im Designmanagement nicht oft genug betonen kann.