Interaction Design ist die Gestaltung von Parametern, die eine Interaktion zwischen Menschen, Räumen und Dingen ermöglichen. Was man sonst noch wissen muss …
Visual Designer, Information Architect, User Experience Designer, User Interface Designer und so weiter und so fort – all diese Bezeichnungen stehen in aktuellen Stellenbeschreibungen und auf Visitenkarten von Agenturen. An den Hochschulen wachsen die Studienangebote mit ähnlichen Titeln, und es gibt, ganz abgesehen von einzelnen Bezeichnungen, auf allen Stellenbörsen einen sehr großen Bedarf an Designerinnen und Designern mit digitaler Kompetenz. Aber was bedeutet das eigentlich, digitale Kompetenz?
Mit der anhaltenden Technologisierung und Digitalisierung unserer Lebens- und Arbeitswelt wachsen die Aufgaben der Designer noch rascher als die wohlklingenden Jobbezeichnungen. Außerdem ändern sich die Arbeitswerkzeuge, sprich Computer und Software schneller, als die Kreativen schauen können. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es nicht mehr um eine Unterteilung von Berufsgruppen in einzelne Tätigkeiten und Kompetenzen gehen kann, sondern um ein grundsätzliches Verständnis von digitaler, sprich algorithmisierter und vernetzter Gestaltung.
Interaction Design is a state of mind. Es braucht Haltung, um Zukunft zu gestalten.
Die klassischen Designdisziplinen waren klar umrissen, und es gab einen Anfang und ein Ende im Gestaltungsprozess. Ein gutes Layout für ein Magazin oder Buch blieb beständig, wenn es vom Grafikdesigner erst einmal entworfen wurde und in den Druck ging. Eine leicht zu bedienende Kaffeemaschine mit einfachen Schaltern und Funktionen erfreute die Besitzer über viele Jahre, denn das vom Produktdesigner gezeichnete Gerät änderte sich nicht mehr und die Bedienelemente blieben am gewohnten Platz – und mit dem Internet war es ganz bestimmt nicht verbunden.
Im digitalen Design ist hingegen vieles anders. Wir befinden uns in einem permanenten Betastadium, und die von uns entwickelten digitalen Produkte und Services werden nicht mehr im klassischen Sinne »fertig«, sondern Apps und Webseiten verändern sich in einem fortlaufenden Prozess und wachsen stetig weiter. Wenn Designerinnen und Designer aber die Kontrolle über das Ergebnis abgeben müssen, ändert sich auch das Verständnis von der eigenen Profession. Und diese Profession heißt Interaction Design.
Interaction Design ist wie Schach
Die Disziplin Interaction Design lässt sich gut anhand des Strategiespiels Schach erläutern. Den beiden Schachspielern stehen Schachfiguren, Schachbrett und Spielregeln zur Verfügung. Damit agieren und reagieren sie auf den Gegenspieler und denken in langen Zugfolgen. Somit ist Schach ein anschauliches Bild für den Kern des Interaction Designs: Nur die grundsätzlichen Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Spielern lassen sich planen, nicht aber der konkrete Spielverlauf. Dieser ergibt sich aus dem Können und den Entscheidungen der Spieler.
Die Schachfiguren stehen für die digitalen und technischen Werkzeuge und Produkte wie zum Beispiel die Fahrkarten-App Navigator der Deutschen Bahn. Das Schachbrett steht sinnbildlich für den weiten Bereich des Interface Designs, also der Nutzeroberfläche der Deutsche-Bahn-App. Dadurch wird eine gute Interaktion zwischen Reisenden – den Spielern – und der Software, vor allem aber zwischen den Reisenden und der Deutschen Bahn erst möglich. Und die Spielregeln beim Schach stehen im übertragenen Sinne für eine gute Nutzerführung in digitalen Anwendungen. Schließlich will der Bahnkunde auch die Logik verstehen, nach der er am virtuellen Bahnschalter Zugfahrten plant und dann das Ticket abruft.
Burkhard Müller, Creative Director bei deepblue networks in Hamburg, bringt es aus Agentursicht auf den Punkt: »Interaction Design ist mehr als die rein visuelle Gestaltung eines Interfaces. Es geht um die gesamte Anwendung und ihr Umfeld. Zunächst werden Probleme und Gewohnheiten jeglicher Art identifiziert, um dann Schritt für Schritt die passenden Lösungen zu entwickeln.« Während Ingenieure und Techniker Produkte entwickeln und die Sozialwissenschaftler unser gemeinsames Miteinander beschreiben, bringen wir Designer die besondere Entwurfskompetenz in ein gutes Interaction-Design-Team ein.
Interaction Design hilft aber auch bei der Beschreibung neuer Ideen und sorgt dafür, dass Kunden und Entwickler eine Vorstellung davon bekommen, wie zukünftige Produkte und Services aussehen könnten. Design Fiction als Methode zur Visualisierung von Zukunftsszenarien hilft beispielsweise erfolgreich innerhalb der Kommunikationsprozesse in Unternehmen.
Die Interaction-Design-Studierenden der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim zeigen zum Beispiel in interaktiven Videos und Präsentationen, wie der Automobilhersteller Volkswagen zukünftig als umfassender Anbieter von Mobilität am Markt präsent sein könnte. Dabei haben sie untersucht, welche Parameter – etwa öffentliche Verkehrsmittel, individuelle Fahrzeuge wie Auto und Fahrrad, aber auch Gesetzgebungen und Verkehrsregeln – verändert werden müssen, um neue Mobilitätskonzepte zu entwerfen. Es ist dieses besondere Verständnis von gestalterischen Prozessen, die den Auftraggeber von Anfang an mit einbindet und ihn berät. Hier liegt der entscheidende Vorteil für den Kunden, wenn er mit Interaction-Designern zusammenarbeitet.
Interaction Designer bringen Kindern das Radfahren bei. Sie erklären, schieben an und stützen auf den ersten Metern. Vor allem sind sie in der Lage, im rechten Moment loszulassen. Dann läuft es von alleine.
In Workshops erstellen Agenturen gemeinsam in Co-Creation mit ihren Kunden mithilfe von Methoden und Denkweisen des Interaction Designs ein Briefing, das die erfolgreiche Entwicklung eines neuen Produkts oder Angebots deutlich unterstützt. Im Anschluss übernehmen die auf Interaction Design spezialisierten Agenturen die Moderation in der Planung und Ausführung. Dazu braucht es dann natürlich auch spezifische Kompetenzen etwa im visuellen Design, in der Informationsarchitektur und dem User Experience Design. Schließlich müssen die Schachfiguren mit viel Liebe zum Detail und gestalterischer Kompetenz von digitalen Produktdesignern gestaltet werden.
Übertragen aufs Strategiespiel Schach brauchen Interface Designer visuelles Talent und ein Auge für Typografie und Grafik, um das Schachbrett zu gestalten. User Experience Designer müssen sich in der Soziologie und Psychologie auskennen, um die Spielregeln, also die Metaphern und mentalen Modelle, zu kreieren, die eine gute Interaktion ausmachen. »Diese Kombination an Skills ermöglicht es dem Interaction Designer, ein Projekt in seiner Komplexität von Anfang bis Ende zu betreuen. Er kann das Team steuern, zusammenhalten und motivieren, statt sich nur für einen Teilbereich verantwortlich zu fühlen«, bestätigt Burkhard Müller, der genau das mit seinem Team in Hamburg macht.
Das Berufsfeld Interaction Design
Interaction Designer können ihre Entwürfe in dezentralen Medien wie dem World Wide Web nicht in allen Details planen, denn sie ergeben sich aus dem Zusammenwirken von Gestaltern, Kunden und Anwendern.
Erstaunlicherweise ist die Bezeichnung Interaction Design noch nicht durch Normen und Vorschriften definiert oder geschützt. Und das obwohl der Interaction-Design-Pionier Bill Moggridge schon in den 1980er Jahren auf die besonderen Gestaltungsaufgaben hinwies, die seit dem Aufkommen von Personal-Computern notwendig wurden. Immerhin hat er mit seinem Buch »Designing Interactions« eine umfassende Beschreibung und Dokumentation der frühen Jahre verfasst und so das jetzige Interaction Design etabliert (www.designing interactions.com).
In Deutschland benötigten die Gestaltungshochschulen einige Jahre, um ein adäquates Studienangebot auf die Beine zu stellen, aber heute finden sich viele gute Angebote. Sie sind gerade als Masterstudiengang für Kreative interessant, die bereits ein grundlegendes Designstudium in den klassischen Disziplinen absolviert haben und sich für die digitalisierte Arbeitswelt neu aufstellen wollen (siehe Überblickskarte auf Google Maps).
An guten Hochschulen finden sich interdisziplinäre Teams, die bereits im Studium mit Unternehmen und Agenturen kooperieren und auf diese Weise schon früh das Wesen des Interaction Designs verstehen. Die Ergebnisse der Entwurfsideen können von den Interaction Designern in jenen dezentralen Medien wie dem World Wide Web nicht in sämtlichen Details geplant werden, sondern sie ergeben sich aus dem Zusammenwirken von Gestaltern und partizipierenden Kunden und Anwendern.
Das heißt, dass sich das Wechselspiel zwischen den Beteiligten nach der Projektplanung eigenständig im Sinne der gewünschten Ziele fortsetzt. Oder anders formuliert: Interaction Designer bringen Kindern das Radfahren bei. Sie erklären, schieben an und stützen auf den ersten Metern. Vor allem sind sie in der Lage, im rechten Moment loszulassen. Dann läuft es von alleine.