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Warum man nicht zu früh als Freelancer arbeiten sollte …

Arbeitsorganisation in der Agentur, Jobs in der Kreativbranche, Design Thinking und die Balance zwischen Prozess und kreativem Chaos: Stefan Setzkorn, CCO bei Track in Hamburg, stand uns Rede und Antwort.

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Die Hamburger Werbeagentur Track hieß bis vor Kurzem noch Rapp Germany und gehört zum Netzwerk DDB Worldwide. Mit der Umfirmierung ging auch eine Neuaufstellung der Agentur einher.

Wir sprachen mit CCO Stefan Setzkorn über die Arbeitsorganisation bei Track, Jobs in der Kreativbranche, Design Thinking und die Balance zwischen Prozess und kreativem Chaos.

PAGE: Sie haben Kommunikationsdesign studiert. War für Sie von Anfang an klar, dass Sie in die Werbung wollen?
Stefan Setzkorn: Ja, das war mir immer klar. Ich habe während des Studiums schon in Agenturen gearbeitet. Sogar mein Schülerpraktikum habe ich in einer Agentur gemacht. Das Thema Kommunikation hat mich schon immer fasziniert.

Derzeit hat die Werbung nicht so einen guten Ruf bei jungen Designern. Was hat die Branche ihnen zu bieten?

Heute geht man nicht mehr »in die Werbung«.

Der Begriff »Werbung« hört sich etwas altbacken an. Treffender ist der Dach-Begriff »Kommunikation«, der viele Bereiche und Berufsbilder unter sich vereint. Hier gibt es unendlich viele Möglichkeiten, sich als Kreativer zu entfalten.

Was mich an diesem Job nach wie vor fasziniert und freut, ist, dass man viele Freiräume hat – obwohl man Dienstleister ist. Da muss man ehrlich sein: Werbung ist ein harter Dienstleistungsjob. Heute noch mehr als früher, als das Bild von Werbung noch ein anderes war. Dennoch hat man die Freiheit, sich persönlich weiterzuentwickeln, zu lernen und in unterschiedlichen Jobs mit ganz verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten. Jeder kann für sich entscheiden, wie weit er bei dem Job geht. Karriere ist ja für viele heute nicht mehr das oberste Ziel.

Chefs von Werbeagenturen sprechen derzeit viel über Strategie und Konzeption. Hat die kreative visuelle Umsetzung an Bedeutung verloren?

Gute Kreation musste schon immer um ihren Stand kämpfen.

Ideen sind grundsätzlich das wichtigste Gut in der Kommunikation. Nach allen Strategien, Missionen, Prozessen etc. steht am Ende eine Idee, die Menschen entweder berührt, interessiert – oder komplett kalt lässt. Brillante Ideen sind heute sogar noch wichtiger als früher. Es gibt Unmengen guter Ideen, die nur einen Klick entfernt sind. Bei dieser Konkurrenz etwas zu schaffen, das die Leute erreicht, ist eine große Herausforderung.

Aber natürlich nützt die beste Idee nichts, wenn man sie nicht auch brillant umsetzt. Der Case »Lichtgrenze« von White Void ist ein Beleg für die Wichtigkeit von visueller Kraft. Wenn man die Idee nur beschreibt, klingt sie gar nicht so grandios und berührend, aber wenn man sie sieht, fasziniert und überzeugt sie sofort – auch die Jurys diverser Kreativwettbewerbe.

Wer hat mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt: Generalisten oder Spezialisten?
Das Feld »Kommunikation« ist heute unglaublich detail- und facettenreich. Jeder kreative Bereich fächert sich in mehrere Spezialgebiete auf. Deshalb ist es wichtig, als Kreativer herauszufinden, wo genau die eigene Leidenschaft steckt und in diesem Bereich richtig gut zu werden. In allem gut sein zu wollen, funktioniert selten. Wir achten bei der Zuteilung von Mitarbeitern immer darauf, wo ihre Stärken liegen und woran sie Spaß haben. Wir fordern von Kreativen nicht, überall gut zu sein.

Die Branche klagt derzeit extrem über Nachwuchsmangel. Können Sie das bestätigen?
Ja. Wobei Agenturen schon immer um Nachwuchs gekämpft haben. Der War for Talent ist kein neues Phänomen. Meiner Erfahrung nach liegt das Problem heute vor allem darin, Leute zu finden, die richtig für den Job brennen.

Die Jungen haben andere Interessen und Prioritäten als früher.

Das bedeutet ja nicht, dass sie schlechtere Arbeit machen.
Nein. Aber sie sind viel sprunghafter und die Interessen wechseln schnell. Sie wollen viel ausprobieren.

Dafür bieten Agenturen doch eigentlich ein gutes Umfeld.
Ja, aber trotzdem handelt es sich letztlich um einen Dienstleistungsjob. Natürlich kann man sich ausprobieren und tolle Projekte machen. Aber dazu gehören auch das Alltagsgeschäft, Verantwortung und Arbeitszeiten. Der Wunsch nach Flexibilität hat dazu geführt, dass es heute viel mehr Freelancer gibt. Viele Kreative werden schon nach zwei Jahren Berufserfahrung oder sogar direkt nach dem Studium zum Freelancer.

Was für die Agenturen natürlich keine so tolle Entwicklung ist …

Als Freelancer ist man immer nur halb im Prozess.

Nicht nur für uns, auch für die Kreativen selbst. Man führt nie ein Projekt von Anfang bis Ende durch, arbeitet nur an einer Facette – und beherrscht entsprechend nur diese, statt an anderen Sachen und Aufgaben zu wachsen. Da geht viel an Entwicklung und Knowhow verloren.

Track ist in einer Sonderposition: Einerseits ist es eine etablierte Agentur mit gestandenen Strukturen, andererseits wurde sie neu aufgesetzt und umstrukturiert. Das ist eine Chance, Sachen anders zu machen. Wie haben Sie die Zusammenarbeit der Teams organisiert?
Wir haben vor vier Jahren damit begonnen, die Agentur zu verändern. Dabei stand auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Fokus. Wir haben darauf geachtet, dass ein anderes Zusammenspiel entsteht. Das beste Beispiel dafür ist unsere Strategieabteilung, die circa 25 Mitarbeiter umfasst. Sie wird geführt von drei Strategie Direktoren: einem Digitalstrategen, einem klassischen Planner und einem CRM-Spezialisten.

Im Gegensatz zu anderen Agenturen, die sich Interdisziplinarität auf die Fahnen schreiben, sind diese drei Bereiche bei uns immer gleichberechtigt und alle drei gleich professionell ausgebaut worden. Das Thema CRM/Direct/Dialog nehmen wir genauso ernst wie Markenentwicklung und Digitale Konzeption. Mittlerweile sind wir daher in allen Bereichen richtig gut. Auf der einen Seite machen wir klassische Markenführung etwa für Ergo, airberlin, Lindt etc. Auf der anderen Seite entwickeln wir CRM-Maßnahmen für McDonald’s – und gewinnen damit einen Löwen in Cannes. Und das nicht in getrennten Abteilungen, sondern gemeinsam.

Sie arbeiten viel mit Design Thinking. Wie integrieren Sie das in die Agenturabläufe?

Die Grundlage von Design Thinking ist Interdisziplinarität.

Menschen aus verschiedenen Bereichen kommen zur Ideenfindung zusammen. Das setzen wir bei großen Projekten mit Kunden genauso wie im kleineren Rahmen intern ein. Dabei ist es wichtig, dass man keine traditionellen Brainstormings macht, in denen man sich die Ideen gegenseitig wieder abschießt.

Design Thinking ist ein durchgetakteter Prozess mit engen Zeitvorgaben, in denen man verschiedene Stufen durchläuft. Erst betrachtet man die Aufgabe aus Verbrauchersicht und versucht das Thema zu verstehen. Danach geht es an die Ideenfindung und gleich im Anschluss probiert man aus, ob eine Idee funktionieren kann – z.B. indem man Leute auf der Straße befragt. Dieser Prozess wird mehrmals wiederholt. Das versuchen wir so oft wie möglich in unsere Prozesse miteinfließen zu lassen – was uns aber nicht immer gelingt.

Weil es zu viel Aufwand ist?
Eigentlich nicht. Wir haben ein paar Strategen, die sich damit gut auskennen und die Sessions organisieren, die dann ein oder zwei Tage dauern. Das ist also kein großer Zeitfresser. Die Herausforderung liegt eher darin, die Ideen im Anschluss auszuarbeiten und in unsere Strategie für den Kunden zu intergieren.

Aber zur Ideenfindung ist es eins der besten Instrumente, die ich in meiner Laufbahn kennengelernt habe.

Nehmen an den Workshops auch Kunden teil?
Manchmal. Wir haben zum Beispiel mit dem Kunden HELLO Lindt einen Design-Thinking-Workshop zum Thema Produktentwicklung gemacht. Unsere Ideen haben wir mit verschiedenen Bastelmaterialien gleich visuell in Prototypen umgesetzt. Dieser Ansatz ist spielerischer als »normale« Workshops und macht wirklich Spaß. Natürlich geht da nicht jeder mit. Vielen CEOs kann man nicht mit der Bastelkiste kommen. Aber jeder, der es mal ausprobiert hat, ist vom Nutzen überzeugt.

Wichtig ist, die Methode ernst zu nehmen und konsequent einzusetzen.

Man darf nicht einfach mal einen Workshop machen und danach nie wieder dran denken. Wir haben regelmäßig Leute vom Hasso Plattner Institut in der Agentur, die unseren neuen Mitarbeitern Design Thinking lehren, damit jeder die Vorteile selbst erfährt.

Sie organisieren die Arbeit in der Agentur mit der Social Enterprise Platform Podio. Wie sieht das genau aus?
Podio ist im Grunde eine Art Facebook für die interne Kommunikation. Über dieses System steuern wie sämtliche Jobs der Agentur und alle Aufgaben sind für jeden Mitarbeiter sichtbar. Damit entfallen die Unmengen an Emails, die man sonst hin und her schickt. Außerdem ist jeder über den aktuellen Stand informiert, was zum Beispiel dann wichtig ist, wenn mal jemand krank wird. Im Falle von airberlin wickeln wir darüber auch die Kommunikation mit dem Kunden ab. Podio ist transparent, praktisch und sehr effizient. Die Kreativen hassen es. (lacht)

Warum?
Das Systematische daran stört ein Stück weit das kreative Denken und Arbeiten. Aber es hilft dabei, zwischen Prozess und kreativem Chaos eine gute Balance zu finden. Agenturen sind in einer besonderen Situation: Sie müssen kreative Entfaltungsmöglichkeiten und Chaostheorie zulassen und sind gleichzeitig Dienstleistungsunternehmen, die Zahlen liefern und effizient arbeiten müssen.

Diese Balance herzustellen, ist nicht einfach.

Wir versuchen das mit Design Thinking auf der einen und Podio auf der anderen Seite umzusetzen.

Produkt: PAGE 10.2019
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