Wachstumsstrategien für Kreative und Designbüros
Das eigene Studio läuft, es kommen immer mehr Aufträge rein – und jetzt? Wachsen oder klein bleiben? Wollen wir Mitarbeiter:innen einstellen? Und wie viele? Wie organisieren wir uns und unsere Prozesse? Antworten und Tipps von Gründer:innen
Die Agentur gewann neue Kunden und stellte jedes Jahr ein bis zwei Personen ein. 2018 wurde sie Leadagentur des Deutschen Roten Kreuzes – der erste große, langfristige Rahmenvertrag. In der Coronazeit gewann sie verschiedene Kunden – unter anderen Eintracht Frankfurt – und rebrandete den Deutsche Bank Park. 2021 kam dann der Auftraggeber, der Sherpa bei zahlreichen Unternehmen auf den Schirm holte: Lufthansa. Damit ging ein weiterer Wachstumsschub einher. Inzwischen hat die Agentur 39 Mitarbeitende, bis Ende 2023 werden es voraussichtlich um die 45 sein.
Heutige Struktur
Seit eineinhalb Jahren ist Sherpa in Teams organisiert, jeweils mit einem fachlich sowie disziplinarisch verantwortlichen Lead. Die Teams sind unterschiedlich groß – je nachdem, welche und wie viele Kunden sie betreuen. Auch Thilo und Johannes führen als Creative Directors je ein Team. Dazu gibt es eines, das sich um Projekt- und Account-Management sowie New Business kümmert, und eine Stelle für People & Culture.
»Ab einem bestimmten Punkt mussten wir einfach eine zweite Ebene einziehen, sonst hätte es nicht mehr funktioniert«, erklärt Henning. Er ist als CEO für die operative Geschäftsführung und Agenturentwicklung verantwortlich. Seit zwei Jahren ist Christian Schönheit als Client Service Director und vierter Gesellschafter mit an Bord. Sämtliche unternehmerischen Entscheidungen treffen sie zusammen. »Ich finde es sehr angenehm, dass die Verantwortung auf mehreren Schultern verteilt ist«, so Henning.
Im Büro in Hamburg finden 18 Personen Platz – viele arbeiten remote oder im Homeoffice. Dazu hat Sherpa im Oktober 2022 ein Office in Frankfurt am Main eröffnet, als Anlaufstelle für die dortigen Kunden und künftige Mitarbeitende aus der Gegend. Alle vier Wochen gibt es ein Teamevent, zu dem alle kommen können, aber nicht müssen. Dazu hat jedes Team ein Budget, um eigene Treffen zu organisieren. »Flexibilität ist unseren Mitarbeitenden sehr wichtig. Dass wir diese Form der Arbeit ermöglichen, führt auch dazu, dass sie sich mehr mit Sherpa identifizieren«, so Henning. Mit Freelancer:innen arbeitet die Agentur nur in Hochphasen oder wenn ein Projekt bestimmte Fachexpertise verlangt.
Anfangs ließen sich die Gründer unter anderem bei der Handelskammer Hamburg und der Kreativ Gesellschaft beraten und informierten sich via YouTube. 2016, als der große Kunde insolvent ging, bekamen sie Support von einem befreundeten Unternehmensberater. »Zu der Zeit hat uns der wirtschaftliche Blick von außen enorm geholfen«, so Henning. Sie holen den Consultant bis heute punktuell als Sparringspartner dazu. Auch mehrere Coachings haben Gründer und Agentur als Ganzes absolviert, etwa zum Thema Führung und Motivation.
Zudem pflegt Henning bewusst den Austausch mit anderen Gründer:innen sowie in Netzwerken wie dem Marketing Club Hamburg. »Ich finde es immer wieder interessant, wie verschieden Agenturen sind und wie andere die Themen angehen, die uns alle umtreiben.« Zum Austausch veranstaltet Sherpa auch eigene Events, zuletzt etwa im Vorfeld der OMR im Mai.
Ausblick
Die Sherpa-Gründer planen ein bis zwei Jahre im Voraus. Ihr Ziel lautet nach wie vor, eine der führenden Brandingagenturen Deutschlands zu sein. Ihren Erfolg machen sie nicht an der Mitarbeiterzahl oder am Umsatz fest, sondern eher an der Art der Kundenanfragen. Damit das gelingt, braucht es laut Henning vor allem eines: gute Leute. »Wir geben unser Bestes, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Uns ist wichtig, dass wir unseren familiären Spirit beibehalten und gleichzeitig genug Schlagkraft für große Kunden haben. Wir haben noch was vor.«
Hennings Tipps
- Unterschätzt die wirtschaftliche Denkweise nicht, die ihr als Unternehmer:innen braucht. Macht euch bewusst, dass Agenturführung mit ganz neuen Aufgaben und Rollen einhergeht, die nichts mit Design zu tun haben.
- Die Synchronisierung von New Business und Personal ist eine große Herausforderung. Wir führen deshalb fortlaufend Gespräche und bauen unseren Bewerber:innen-Pool aus.
- Baut Netzwerke auf – nicht nur zu anderen Designer:innen, sondern auch ins Marketing.
- Gebt operative Verantwortung ab! Das erleichtert euch das Leben und ermöglicht es euren Mitarbeitenden, sich weiterzuentwickeln.
büro bungalow: Die Kreativen
- Gegründet 2016
- Gründer:innen Yvonne Moser, Tim Sonntag, Alex Elsner, Laura Markert, Markus Günther, Niklas Zimmermann
- Mitarbeitende 4
- Standorte Würzburg, Berlin
- Webseite https://buerobungalow.de
Die Anfänge
Die sechs Gründer:innen haben sich im Kommunikationsdesignstudium an der Hochschule Würzburg kennengelernt und waren sich von Anfang an sicher, dass sie anders arbeiten wollten, als sie es in diversen Agenturpraktika erlebt hatten. Das sollte vor allem heißen: flache Hierarchien und Gleichberechtigung. 2016 gründeten sie in Würzburg das büro bungalow, das auf Design und Branding spezialisiert ist.
Weitere Entwicklung
»Wir haben relativ schnell gemerkt, dass es ein gutes Fundament braucht, und haben eine GbR gegründet«, erinnert sich Yvonne. 2019 zog Tim nach Berlin und eröffnete dort einen zweiten Standort. An das Arbeitgebersein tastete sich das Team mit Praktikant:innen heran. »Das ist schon eine Challenge. Man ist dann nicht mehr nur für sich, sondern auch für andere verantwortlich«, sagt Yvonne. Mit den ersten großen Kunden wuchs das Büro dann langsam weiter. Heute arbeiten bei büro bungalow neben den Gründer:innen (alle Creative Directors) vier weitere Personen: eine Office-Managerin und ein Projektmanager, eine Grafikerin und eine Grafik-Trainee.
Heutige Struktur
Anfangs haben noch alle alles gemacht – mittlerweile gibt es Heads of Project. »Wir haben immer noch flache Hierarchien, aber eine gewisse Leitung braucht es einfach«, erläutert Yvonne. Einmal im Jahr treffen sich die Gründer:innen zu einem sogenannten Future Talk, evaluieren das vorangegangene Jahr und planen das nächste. Dazu gibt es Quartalsmeetings, in denen sie sich abgleichen, sowie monatliche Check-ins, bei denen es ums Alltagsgeschäft geht. »Früher haben wir uns jeden Montag zusammengesetzt, aber das wurde irgendwann zu zeitintensiv«, so Yvonne.
Zu sechst zu sein sei Fluch und Segen zugleich: »Es ist toll, so viele verschiedene Sichtweisen im Team zu haben. Aber natürlich ist es manchmal auch herausfordernd – wir haben alle viel zu sagen. Aus diesem Grund bereiten wir unsere Meetings gut vor und haben Diskussionsregeln festgelegt, die zum Beispiel verhindern, dass man sich wiederholt.«
Was die Kunden angeht, achtet büro bungalow auf eine gute Mischung: »Große Aufträge sind wichtig für die Planbarkeit und auch eine spannende Challenge. Dazwischen braucht es aber auch kleine, knackige Projekte für die Abwechslung«, sagt Yvonne. Alle Gründer:innen sind nach wie vor selbst kreativ tätig – das beizubehalten ist ihnen wichtig.
Beratung und Hilfe
Das Team hat schon verschiedene Coachings gemacht. »Wir holen uns gerne Unterstützung von außen. Selbst bei sechs Leuten hilft oft eine neue Perspektive und Expertise«, so Yvonne. Derzeit arbeiten sie mit der Businesscoachin Cille Veje aus Berlin, die das Büro bei Projektanfragen sowie bei der strategischen und internationalen Ausrichtung berät. »Es ist schwierig, das neben laufenden Projekten selbst gut zu machen«, findet Yvonne. »Es ist ein Invest, aber es lohnt sich.«
Ausblick
Die Gründer:innen planen in Etappen von ein, drei und fünf Jahren. »Aktuell sind wir sehr zufrieden. Wir haben eine übersichtliche Größe und gleichzeitig eine gute Power, um viel inhouse abdecken zu können«, sagt Yvonne. Abhängig von der Auftragslage schließt sie aber nicht aus, noch weiter zu wachsen. Mehr als 15 Personen sollten es aber nicht werden, so ihr Bauchgefühl. »Mitarbeitende zu haben ist sowohl bürokratisch als auch menschlich sehr fordernd. Wir wollen allen gerecht werden und ein angenehmes Arbeitsklima bieten.« Kürzlich bezog büro bungalow neue Räumlichkeiten in Würzburg. Das alte Büro ist zu klein geworden – denn auch wenn die Homeoffice-Rate gestiegen ist, arbeiten alle gerne und oft vor Ort zusammen.
Yvonnes Tipps
- Evaluiert regelmäßig, was ihr macht: Ist es noch das, was ihr wirklich wollt? Oder könnt ihr etwas auslagern an Freelancer:innen oder feste Mitarbeitende, zum Beispiel Buchhaltung oder Projektmanagement?
- Fangt klein an: Bietet Praktika und Teilzeitstellen an und probiert aus, ob ihr das handeln könnt.
- Wenn möglich, holt euch Beratung von außen für die Bereiche, von denen ihr keine Ahnung habt.
Bureau Mitte: Die Fluiden
Gegründet 2008
Gründerin Anna Pirot
Mitarbeitende 4
Standort Frankfurt am Main
Webseite www.frankfurt-grafikdesign.de
Die Anfänge
Anna arbeitete nach ihrem Studium zunächst in einer Marketingabteilung und machte sich während ihrer Elternzeit selbstständig. »Ich wollte meinem Kind vorleben, dass man sein Leben selbst gestalten kann und sich nicht an Arbeitsweisen anpassen muss, die einem nicht liegen. Heute bin ich sehr froh über meinen damaligen Mut.« 2015 kam ihre Geschäftspartnerin Helene Uhl dazu, die 2020 ausgestiegen ist und sich als Illustratorin selbstständig gemacht hat.
Weitere Entwicklung
Anna und Helene starteten in Gemeinschaftsbüros mit anderen Start-ups, arbeiteten erst mit Freelancer:innen und stellten 2017 ihre erste Mitarbeiterin ein. »Ich hatte davor sehr großen Respekt, aber irgendwann war klar, dass wir die Arbeit zu zweit nicht mehr stemmen konnten. Ich habe davor monatelang schlecht geschlafen. Ich weiß nicht, ob ich diese Entscheidung alleine getroffen hätte«, erinnert sich Anna.
Nach und nach kamen weitere Leute dazu. Schließlich hatte Bureau Mitte zwei aneinandergrenzende Ladenflächen und fünf Mitarbeitende. Dann kam Corona, das Büro wurde als Ausstellungsfläche untervermietet und die Leute ins Homeoffice geschickt. Das funktionierte so gut, dass Anna sich entschied, die Räume komplett aufzugeben. Wenn das Team sich treffen möchte, tut es das im Kreativhotel Lindenberg, das Bureau Mitte von einem Brand-Workshop kennt.
Heutige Struktur
Momentan sind bei Bureau Mitte fünf Personen beschäftigt – inklusive Anna. Bei größeren Projekten holt sie sich Freelancer:innen dazu. Sie selbst ist vornehmlich in der Konzeption tätig, kümmert sich ums Team und um die Studioentwicklung. »Wir arbeiten alle sehr selbstständig. Das lässt mir als Geschäftsführerin mehr Raum«, erklärt Anna. Das Team trifft sich auf Veranstaltungen wie dem Berlin Gallery Weekend oder bei gemeinsamen Kundenworkshops. »Es ist alles viel fluider geworden, was den Kreativen guttut.«
Darüber hinaus bildet Anna zusammen mit Felix Kosok das Designkollektiv Bureau069, das kreative Konzepte für ausgewählte kulturelle Institutionen entwickelt. Und mit Teimaz Shahverdi realisiert sie unter dem Namen Azita.Studio Projekte an der Schnittstelle von Marken, Kunst, Design und Musik. Auch die Kundenstruktur von Bureau Mitte hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr in Richtung Kultursektor entwickelt. Vergrößern möchte Anna sich generell nicht: »Ich bin ein großer Fan unserer jetzigen Konstellation. Sie ermöglicht mir am besten die Balance zwischen wirtschaftlicher Sicherheit und der Freude am Gestalten und Realisieren von Projekten.«
Beratung und Hilfe
In den Anfangsjahren von Bureau Mitte gestalteten Anna und Helene ein Corporate Design für eine Unternehmensberatung und ließen sich mit einer Gegenleistung bezahlen: »Wir bekamen eine Schulung darin, wie wir unser Unternehmen richtig aufsetzen können, und haben uns dadurch einige Fehler erspart.« Zudem tauscht sich Anna viel mit anderen Agenturinhaber:innen und Selbstständigen aus.
Annas Tipps
- Seid keine Insel, sondern sucht das Gespräch mit anderen Studios und Selbstständigen. Der Austausch kann einige Umwege und Fehler verhindern.
- Schwierige Phasen lassen einen wachsen. Ich bin heute um jeden Abschnitt froh, auch wenn er sich im Nachhinein als für mich falscher Weg herausgestellt hat. Probiert unbedingt immer wieder neue Ansätze aus. Manches übernimmt man, manches verwirft man wieder – am Ende steht immer eine wertvolle Erfahrung.
- Hört auf euer Bauchgefühl und macht die Dinge so, wie ihr sie für richtig haltet. Manche begehen am Anfang den Fehler, sich künstlich professioneller oder größer darstellen zu wollen, als sie sind. Das kann anstrengend werden und fliegt womöglich auf. Steht zu euren unkonventionellen Ansätzen und hebt sie als Stärke hervor! Für jedes Geschäftsmodell gibt es auch die passenden Kunden.
BR*Studio
Die Familie
Gegründet 2012
Gründer Stefan Bräutigam, Tim Rotermund
Mitarbeitende 11
Standort Hamburg
Webseite https://br.studio/de
Die Anfänge
Tim und Stefan haben sich bei Mutabor kennengelernt, Freundschaft geschlossen und 2012 ihr Studio Bräutigam & Rotermund gegründet. »Wir hatten die gleiche Vorstellung davon, wie wir arbeiten wollen, nämlich auf Augenhöhe mit Entscheider:innen«, erklärt Stefan. Es sei zwar spannend, sich für große Marken zu engagieren, aber frustrierend, wenn man dort nicht wirklich etwas bewegen könne. Stattdessen wollten Tim und Stefan Kunden gewinnen, bei denen sie eine sichtbare Transformation bewirken konnten.
Weitere Entwicklung
Drei Jahre lang blieben die Gründer zu zweit, dann stellten sie ihren ersten Mitarbeiter ein – und zwar ganz langsam. »Wir hatten viel Respekt vor unserer Verantwortung als Arbeitgeber und haben ihn erst für drei, dann für vier Tage und schließlich Vollzeit angestellt«, erinnert sich Tim. »Der Respekt hat noch etwa bis zum fünften Mitarbeitenden angehalten, danach wurden wir entspannter.« Mittlerweile sitzt die Agentur in einem größeren Büro und beschäftigt elf Mitarbeitende. Ende 2022 begannen Tim und Stefan mit einem Rebranding und einer Umstrukturierung.
Heutige Struktur
Seit April 2023 trägt die Agentur den Namen BR*Studio. Dahinter steht der Wunsch der Gründer, die Verantwortung mit dem Team zu teilen. Das wirkt sich auf Strukturen und Prozesse aus: Es gibt jetzt für jeden Auftrag einen Project Owner, der für alle organisatorischen Aufgaben innerhalb des Projektverlaufs verantwortlich ist. Bis dahin lief alles noch über den Tisch der Gründer.
»Geteilte Verantwortung und Kollaboration stehen bei uns jetzt im Mittelpunkt. Alle können Project Owners sein – auch Werkstudent:innen«, sagt Stefan. Die Gründer kümmern sich um New Business und die Weiterentwicklung des Studios, wobei Tim für die kreative Leitung zuständig ist und Stefan für das Organisatorische. Zwischenstufen existieren keine, Leitungsfunktionen ergeben sich laut Tim eher durch Erfahrung und Spezialgebiete. Die Rollen People & Culture und Accounting sind in einer Stelle vereint.
Der Weiterentwicklungsprozess und die Umbenennung haben das Team noch mehr zusammengeschweißt, so die Gründer. »Wir verstehen uns als Familie und führen auch entsprechend – freundschaftlich und auf Augenhöhe«, erklärt Stefan. Für Aufgaben, die sie nicht intern abdecken, arbeiten sie mit selbstständigen Spezialist:innen aus ihrem Netzwerk.
Beratung und Hilfe
Für ihre Organisationsentwicklung holten sich Tim und Stefan Unterstützung von dem Hamburger Coach Tim Duensing. In einer Discovery-Phase eruierten sie als Erstes, was sich verändern sollte – unter anderem wollten sie Organisation, Verantwortlichkeiten und Arbeitsabläufe transparenter gestalten. In einem großen Auftaktworkshop mit dem gesamten Team wurden alle Aufgaben im Büro gemappt und aufgeteilt – vom Blumengießen bis zur Strategieentwicklung – und daraus klare Rollen definiert. So entstand auch die Idee zu den Project Owners. Seither gibt es regelmäßige Check-ups mit Tim Duensing – im Team oder zu dritt. Auch einzelne Mitarbeitende können den Coach in Anspruch nehmen. Zudem macht das Studio Retro-Meetings – die ersten mit externer Unterstützung, mittlerweile läuft es ohne.
Ausblick
Mehr als zwanzig Mitarbeitende sollten es nicht werden, sind sich die Gründer einig. Ihnen ist wichtig, dass alle in einem Raum sitzen und auf Zuruf arbeiten können. »Mit unserer Größe können wir auch größere Aufträge gut stemmen«, so Tim. Zukunftsvisionen machen sie eher an der Art von Projekten fest als an Wachstumszahlen. »Wir haben mit unserem Coach einen Visionsstrahl erarbeitet – unter anderem was Mitarbeitende, interne Entwicklung, KPIs sowie Kunden und Projekte angeht. Zum letzten Punkt ist uns am meisten eingefallen«, sagt Stefan. Nach wie vor ist den beiden wichtig, für Marken zu arbeiten, bei denen sie Wandel sichtbar machen können – und im Idealfall einen Benchmark für die jeweilige Branche schaffen. Diese Möglichkeiten sehen sie vor allem im Mittelstand. Darüber hinaus konzentriert sich das Studio auf ganzheitliche Projekte mit vielen Touchpoints und fortlaufender Betreuung. »Wir legen viel Wert auf eine wertebasierte Zusammenarbeit – getreu unseren eigenen Werten Kollaboration, Klarheit und Mut«, erklärt Tim.
Tims und Stefans Tipps
- Hört bei Kunden auf euer Bauchgefühl. In einem Chemistry Meeting merkt man meist recht schnell, ob es passt oder nicht.
- Wenn ihr euch selbstständig machen wollt, freelanct nicht, sondern arbeitet direkt für eigene Kunden. So wächst man am schnellsten ins Unternehmertum hinein.
- Seid offen für Veränderung und glaubt nicht, ihr hättet die Weisheit mit Löffeln gefressen. Hört auf Stimmen aus dem Team und von außen.
- Reflektiert euch selbst und steht nicht still – besonders wenn ihr das Gefühl habt, dass etwas nicht ganz rund läuft.
Mutter
Die Zurufer
Gegründet 1995
Gründer Carsten Buck
Mitarbeitende 3
Standort Hamburg
Webseite www.mutter.de
Die Anfänge
Nach seiner Tätigkeit bei Agenturen wie Scholz & Friends und Ogilvy beschloss Carsten, eine eigene Designagentur zu gründen. Seine Vorgabe dabei war, ausschließlich mit einem Team aus Gestalter:innen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass alle Projektbeteiligten über Fachwissen in den Bereichen Konzeption, Entwurf und Umsetzung verfügen.
Weitere Entwicklung
Das Studio wuchs mit steigender Kundenzahl kontinuierlich. 2005 kam es zu einer Art »Meuterei«, wie Carsten es heute nennt. Die damals 16 Mitarbeitenden fühlten sich im bestehenden System orientierungslos und forderten die Bildung von Teams mit eigener Führung. Carsten war jedoch dagegen, da er befürchtete, dass dies die Flexibilität und Schnelligkeit des Büros beeinträchtigen würde. Außerdem wollte er sicherstellen, dass die Kreativität aller Mitarbeiter:innen gefördert und nicht durch hierarchische Filterung eingeschränkt wird.
Nach einem intensiven Coaching entschied er sich, seine Agentur zu verkleinern. »Dieses konzentrierte sich hauptsächlich auf meine persönliche Entwicklung und darauf, wie ich mit dem Verlust des Status durch eine Verkleinerung umgehen könnte«, erklärt Carsten. Der Rückbau war keine einfache Aufgabe, da er sich von mehreren Mitarbeitenden trennen musste. 2009 bestand das Team noch aus sieben Personen, mittlerweile sind es inklusive Carsten nur noch vier.
Heutige Struktur
In der jetzigen Struktur arbeiten neben Carsten, der sich um Design und Geschäftsführung kümmert, seine Frau Eva (Design und Organisation), Carl Eriksson (Design und Produktion) und Anne Koch (Design) bei Mutter. »Wir alle mögen das Arbeiten in einer kleinen Gruppe – wo der Zuruf noch möglich ist«, sagt Carsten. Mit diesem Team seien sie in der Lage, alle Aufträge erfolgreich zu bewältigen, und benötigen in der Regel keine Freelancer:innen. Seit 2011 sind Carsten und Carl zertifizierte Cradle to Cradle Design Consultants. Zu den Kunden des Büros zählen viele Hersteller von ökologischen Lebensmitteln, unter anderem Yogi Tea.
Beratung und Hilfe
In den vergangenen 25 Jahren hat Carsten verschiedene Coachings durchlaufen, unter anderem bei der Hamburger Coachin Nicole Ehrenberg. Dabei lag der Fokus auf dem Erkennen und Verstehen menschlicher Strukturen und Dynamiken, insbesondere in Bezug auf ihre Auswirkungen auf Unternehmen, sowie auf dem Überwinden eigener Blockaden und Begrenzungen.
Ausblick
Auch wenn größere Kundenaufträge verlockend sein mögen, ist Carsten sich sicher, dass er Mutter nicht erneut vergrößern möchte. Vielmehr setzt er sich inhaltliche Ziele und strebt an, die Projekte der letzten zehn Jahre im Bereich Nachhaltigkeit weiter auszubauen. Insbesondere möchte er das Thema Cradle to Cradle verstärkt im Bereich Packaging einbringen.
Carstens Tipps
- Stellt euch selbst und eure Profession immer wieder infrage. Es ist wichtig, offen für neue Ideen und Ansätze zu sein, um kontinuierlich zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.
- Hört nie auf anzufangen und fangt nie an aufzuhören! Bleibt mutig und immer in Bewegung. Es ist wichtig, sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen und nicht aufzugeben, selbst wenn es schwierig wird. Kontinuität und Beharrlichkeit sind entscheidend, um langfristig Erfolg zu haben.
»Probleme ergeben sich oft, wenn Teams wachsen und die Struktur nicht mitwächst«
Anke Peters ist Coachin, Organisationsberaterin und Mediatorin in Hamburg mit einem Background in der Kreativbranche. Sie arbeitete unter anderem elf Jahre bei Springer & Jacoby, zuletzt als Head of Human Resources und Mitglied der Geschäftsführung. Heute bieten sie und ihre Geschäftspartnerin Ann-Kristin Ruddies systemische Supervision, Organisationsentwicklung, Mediationen und Coaching an. Wir sprachen mit ihr über die wichtigsten Fragen, die sich Agenturgründer:innen stellen sollten.
Was sind die häufigsten Themen, mit denen Geschäftsführer:innen zu euch kommen?
Anke Peters: Entwicklungsprozesse, Konflikte, Mitarbeiterführung und gute Zusammenarbeit. Wobei man dafür erst mal definieren muss, was für einen selbst und für das eigene Unternehmen eigentlich »gut« bedeutet. Generell sind unternehmerische Entscheidungen sehr individuell, sie hängen immer von den jeweiligen Strukturen, Abläufen und den Charakteren der Geschäftsführenden ab.
Fangen wir mal mit der Führung an: Was muss man dabei beachten?
Vor allem muss man bei sich selbst anfangen. Wie will ich mit meinen Mitarbeitenden arbeiten? Welcher Führungstyp bin ich? Will ich beispielsweise alles kontrollieren oder meine Leute selbstständig arbeiten lassen? Davon hängt auch ab, wen ich überhaupt einstelle. Wenn ich ein Team von erfahrenen Designer:innen habe, kommen sie ohne viel Anleitung zurecht. Manche stellen lieber junge Talente ein und bilden sie aus. Dann braucht es natürlich eine engmaschigere Führung. Was man jedenfalls nicht machen darf: einfach laufen lassen und hoffen, dass es klappt – ohne klare Ansagen kommt es zwangsläufig zu Missverständnissen. Klarheit und wie die Inhalte tatsächlich bei den Mitarbeitenden ankommen, sind oft die ersten Punkte, an denen wir arbeiten.
Gibt es allgemeine Grenzwerte, ab wann Zwischenebenen nötig werden?
Sieben Leute kann man gut im Blick haben – als sogenannte Direct Reports. Auch hier kommt es darauf an, wie erfahren und selbstständig sie sind und welche Aufgaben sie haben. Spätestens ab 14 Mitarbeitenden ist es sinnvoll, Bereichsleiter:innen zu definieren. Sobald es unterschiedliche Erfahrungslevels im Team gibt, stellt sich eine gewisse Hierarchie ganz von selbst ein – Designer:innen auf Mid- und Senior Level leiten zum Beispiel meist automatisch die Junior:innen mit an.
Braucht es dafür Berufstitel?
Nein, man kann auch gut Klarheit schaffen, indem man Aufgaben verteilt und Erwartungen definiert. Das geht besonders bei kleinen Teams sehr gut. Probleme ergeben sich oft erst, wenn Teams wachsen und die Struktur nicht mitwächst. Sobald eine neue Person dazukommt, sollte man die Rollen und Erwartungen explizit definieren. Das kann auch ein Anlass sein, regelmäßige Retros oder Status-Meetings einzuführen, um sich fortlaufend abzugleichen.
In der Kreativbranche sind autarke Teams derzeit ein Trend. Was ist dabei zu beachten?
Diese Art der Zusammenarbeit funktioniert besonders dann, wenn Teams gut eingespielt sind und sich nicht um Organisatorisches wie Personal oder Budgetplanung kümmern müssen. Man kann allerdings nicht erwarten, dass es einen großen Zusammenhalt als Firma gibt. Das ist allerdings auch nicht immer unbedingt notwendig. Dennoch ist es wichtig, sich regelmäßig auszutauschen, um Ziele, Werte, Qualitätssicherung und Arbeitsweisen der einzelnen Teams in Einklang zu bringen. Besonders, wenn neue Leute dazukommen, ist es hilfreich, darauf zu achten, dass man sie gut einbindet.
Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Thema: Wie sieht gutes Teamwork aus?
Entweder gibt man das als Leitung klar vor, oder die wesentlichen Aspekte werden transparent und gemeinsam mit den Mitarbeitenden definiert. Um die Zusammenarbeit frühzeitig und regelmäßig zu überprüfen, eignen sich zum Beispiel Retros, in denen man offen über Arbeitsabläufe und die Arbeitskultur reflektiert, Probleme anspricht und Lösungen sucht. Das Format wird häufig bei der agilen Softwareentwicklung eingesetzt, eignet sich aber für jede Form der Zusammenarbeit. Man muss das nicht jede Woche machen, aber es ist gut, regelmäßig von der Metaebene aus gemeinsam darauf zu schauen, wie ein Team miteinander agiert und welche Ergebnisse es erarbeitet. Dabei kann man auch nach dem Prinzip »Start, Stop, Continue« vorgehen: Was wollen wir neu einführen? Womit wollen wir aufhören? Was wollen wir beibehalten?
Wenn man so etwas noch nie gemacht hat, ist es hilfreich, sich zumindest beim ersten Mal von einem Profi anleiten zu lassen. Viele Teams müssen erst mal lernen, wie sie am besten in den Austausch kommen und wertschätzend miteinander sprechen können. Nämlich so, dass Feedback nicht als etwas Negatives wahrgenommen wird, sondern als eine Möglichkeit der Weiterentwicklung. Wenn man das einmal verstanden hat, kann man das Format selbstständig weiterführen. Natürlich gibt es zu dem Thema auch Bücher und Anleitungen – aber Methodenwissen allein reicht nicht. Es geht dabei auch um eine Haltung und um das Wie. Ist das nicht verinnerlicht oder wird darauf nicht geachtet, kann das schnell nach hinten losgehen.
Dieser Artikel ist in PAGE 08.2023 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.