Beatrice Sierach erarbeitete in ihrer Masterarbeit ein Methodenset für Social-Design-Projekte. Wir sprachen mit ihr über die Entwicklung und ihre Motivation.
Beatrice Sierach machte 2016 ihren Masterabschluss der Zürcher Hochschule der Künste zum Thema Social Design und erarbeitete ein Tool, das Designern die Arbeit an sozialen Projekten erleichtert.
Nachdem sie 2010 an einem Designzentrum in Mexiko an einem Kunsthandwerk-Projekt mitarbeitete, das recht problematisch verlief, stieg sie tiefer in die Thematik ein und beschäftigte sich neben konkreten Projekten auch auf Metaebene damit, was es braucht, um ein Social-Design-Projekt erfolgreich umzusetzen – und welche Voraussetzungen man als Designer mitbringen sollte.
Schließlich entwickelte sie Methodenkarten für die Zusammenarbeit zwischen Designern und Laien, die Kommunikation und Co-Kreation vereinfachen. Einleitend stellt sie zudem wichtige Fragen, mit denen Gestalter die eigene Bereitschaft und Eignung für eine Tätigkeit als Social Designer ausloten können, darunter: Hast du eine gute Beobachtungsgabe? Bist du kontaktfreudig und aufgeschlossen? Machst du dir gerne die Hände schmutzig?
Ihrer Abschlussarbeit, die auch einen ausführlichen Theorieteil enthält, gab sie den Titel »Intercultural Link«, da sie zu dem Ergebnis kam, dass Gestalter sich immer mehr zu einem Verbindungsglied zwischen verschiedenen Kulturen und Denkweisen entwickeln. Das Tool kann man hier herunterladen.
Wir sprachen mit Beatrice über ihre Motivation und ihre Auffassung von Social Design.
Deine Definition von Social Design bezieht sich vornehmlich auf Entwicklungsprojekte. Zählst du auch Projekte und Arbeiten aus anderen Bereichen dazu?
Mein Tool»Intercultural Link« soll unbedingt auch außerhalb der sogenannten »Entwicklungshilfe« angewendet werden. «Entwicklungshilfe» ist für mich übrigens eine absolut falsche Bezeichnung, denn sobald man als Social Designer glaubt zu helfen, arbeitet man nicht mehr Auge in Auge mit der Gemeinschaft, sondern sieht sich auf einer anderen Ebene.
Social Designer sollten in all ihren Projekten, in denen sie zusammen mit ihren Mitmenschen eine Lösung ausarbeiten, die entwickelten und ausgearbeiteten Aspekte des Social Designs verfolgen. Meine Arbeit ist zwar in einem Schwellenland – in diesem Falle in Mexiko – entstanden, weil ich zu diesem Zeitpunkt dort lebte, dort berufliche Erfahrungen gesammelt hatte und voller Fragen war, denen ich unbedingt nachgehen wollte. Doch stellte sich bei der Toolentwicklung und Prototyping-Phase schnell heraus, dass dieses Werkzeug durchaus auch in anderen Kulturkreisen mit anderen Problemstellungen genutzt werden kann – etwa zur Lösung von unterschiedlichsten Problemen innerhalb einer Gruppe, wie Nachbarschaft, Arbeitskollegen, Verein, Heime, Schulklasse, Familie, etc.
Für wen hast du das Toolkit entwickelt?
»Intercultural Link« wurde in Zusammenarbeit mit und für Expert Designer entwickelt. Dazu interviewte ich erfahrene Social Designer und fragte sie nach ihren Entdeckungen, Fehlern und Methoden aus. Die verschiedenen Prototypen testete ich mit unterschiedlichen Designdisziplinen, wobei unter anderem auch Game-Design-Faktoren einflossen, um das Tool unterhaltend und spielerisch zu gestalten. Mithilfe von Gamification kann man zu mehr, mitunter versteckter Information gelangen, die für die Lösungssuche wichtig sein könnte. Zudem sprach ich mit Psychologen und ließ Fachwissen aus diesem Bereich zu Aufbau und Herangehensweise miteinfließen. Denn während meiner Arbeit stellte ich immer wieder Parallelen zwischen Social Design und Herangehensweisen aus der Psychotherapie fest.
Weißt du von konkreten Einsätzen in der Praxis? Hast du Feedback von Designern bekommen, die es genutzt haben?
»Intercultural Link« fand während eines Designprojektes in Südafrika Anwendung. Auch weiß ich vom Interesse aus der Architekturvermittlung. Bisher habe ich leider noch kein praxisbezogenes Feedback erhalten. Ich würde mich sehr freuen, wenn dies geschieht! Denn das Tool lebt vom stetigen Austausch mit den Beteiligten und kann nur so wachsen und immer besser sowie ausgereifter werden. Derzeit wächst ein mehrschichtiges Business Model in meinem Kopf heran und findet den Weg hoffentlich bald sichtbar auf den Markt.
Seit deiner Thesis sind zwei Jahre vergangen. Wie hat sich Social Design seither weiterentwickelt? Beobachtest du Veränderungen in der Designausbildung oder im Design(selbst)verständnis?
Ich beobachte, dass immer mehr Faktoren aus dem Social Design in User Experience Design Anwendung finden und dort auch in der Ausbildung gelernt und weiterentwickelt werden. Das Bewusstsein für unterschiedliche Zielgruppen sowie die Herausforderung, mit End-Usern zusammenzuarbeiten ist heute umfassender und den Designern bewusster. Auch werden immer mehr Teilaspekte aus dem Social Design in den Schweizer Hochschulen als integrierte Seminarblöcke oder während Summer/Winter Schools vertieft.
Design reift zur Zeit stark, zeigt sich und sein Potential nach außen und beweist sich immer mehr als wichtiger Faktor für Innovation, Problemdefinition und als wichtiges Mittel auf dem Weg der integrierten Lösungssuche zur -findung.
Von Designausbildenden höre ich immer wieder, dass ihr Beruf noch lange nicht vollständig entdeckt wurde. Deshalb freue ich mich besonders, wenn Designstudenten während ihrer Ausbildung in politische oder städtebauliche Themen einbezogen werden und dabei mit den Betroffenen zusammenarbeiten.
Spannend und hilfreich sind dabei Projekte wie das Netzwerk DESIS von Ezio Manzini, die aktuelle Ausstellung »Social Design« im Museum für Gestaltung in Zürich, die stetige Weiterentwicklung der Arbeitsmethoden und des professionellen Vokabulars meiner Kollegen, neue Kurse bezüglich Designmethoden, die Selbstverständlichkeit der Integration der End-User, und und und … Hingegen war ich aber bei einer kürzlich stattgefundenen Diskussion sehr negativ überrascht, dass Social Design bei verschiedensten Schweizer Design-Ikonen kein Begriff war.
Warst du selbst nach deinem Abschluss in Social-Design-Projekten involviert? Wie hat dich die Arbeit zu dem Thema persönlich geprägt?
Leider war ich seitdem nicht in weitere Social-Design-Projekte involviert. Dafür wende ich die von mir entwickelte Methode heute in User-Experience-Projekten während meiner Arbeit, in privaten Aufträgen und als Strategie-Coach für Start-Ups an. Etwa bei re-mind, einem neurowissenschaftlichen Forschungs- und Rehabilitationsprojekt, das in Zusammenarbeit mit Forschern, MS-Betroffenen und Rehabilitationszentren agiert und eine App sowie eine Plattform entwickelt, um entsprechende kognitive Fähigkeiten zuhause trainieren zu können.
Während meiner Ausbildung wurde ich nicht darauf geschult, die Zielgruppe für eine Problemlösung miteinzubeziehen, geschweige denn, entscheiden zu lassen.
Entsprechend musste ich in Social-Design-Projekten lernen, diese «exklusive» Designhaltung loszulassen. Heute entwickle ich Projekte oft in interdisziplinären Teams als einzige Expert-Designerin. Entsprechend musste ich mir unserer berufsbezogenen, unbewussten Arbeitsschritte sowie unserer Denkweise, Methoden, Designstrategien und Herangehensweisen bewusst werden und lernen, diese in einfachen Worten darzustellen, damit alle Beteiligten »Design« und dessen Reichweite verstehen und nutzen können. Social-Design-Prozesse brauchen Zeit und Geduld – viel Geduld, die ich früher nicht hatte. Dabei hilft es, am Anfang einfach mal zuzuhören und zu beobachten und erst später zu fragen – dann aber umso mehr!
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