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Pop – Power of People! Mitreißender Start der re:publica 18

Hochspannend, emotional, leidenschaftlich: Die re:publica 18 startete mit Danah Boyd, Chelsea Manning und Sascha Lobo’s Kraftrede, seine bisher wichtigste, wie er selbst sagte.

Ob Danah Boyd überhaupt eine Atempause machte während ihrer einstündigen Session auf der Hauptbühne der re:publica 18, ist nicht klar. Mit unglaublicher Power fegte die Wissenschaftlerin, die bei Microsoft forscht, durch ihre Eröffnungsrede und stimmte das Publikum, das neben den großen, übervollen Tribünen stand und hockte, auf das ein, was bis zum Freitag auf der wichtigsten europäischen Netzkonferenz folgt: kritisches Nachdenken über digitale Entwicklungen.

In ihrem Fall: »How an Algorithmus World Can Be Undermined«.

Anschaulich zeigte sie, dass Algorithmen nie neutral sind, sondern gesellschaftliche Haltungen und Geschäftsinteressen widerspiegeln. Ganz wie auf Google Search, der Werbeplattform, die ein überragender Großteil der User für eine unabhängige Suchmaschine hält.

Gibt man das Wort Baby ein, erscheinen dort weiße Kinder, bei CEO weiße, gut gekleidete Männer – und das könnte man unendlich weiterführen.

Ganz oben im Search zu stehen, ist das Ziel, die wenigsten blättern über die erste Seite der Suchergebnisse hinweg und die Algorithmen machen sich auch Trolle zu nutze.

Mit Hilfe exzessiven Bloggens, Postens und Streuens von Nachrichten, wie es auch die klassischen Medien im Kampf um Klicks praktizieren, lassen die Trolle ihre manipulierenden Inhalte an die Spitze der Suchergebnisse wandern.

Die rechte Szene der USA zum Beispiel nutzt das ausgiebig, bläst Ereignisse wie Massenschießereien künstlich auf. Systematisch füttern sie Twitter und Reddit durch ihre Fake-Accounts, streuen Fragen und falsche Spuren, dann fangen User und Journalisten an zu recherchieren und treiben das Ranking auf Google mit Artikeln hoch.

Das Ziel ist, mit Fehlinformationen mit Hilfe von Algorithmen die Gesellschaft zu spalten, ihre Narrativen zu verändern und das, was Wissen bedeutet, zu destabilisieren.

Danah Boyd plädierte für die Erkenntnistheorie, dafür, die Bedingungen von begründetem Wissen zu stärken und auch, das gesamte System zu regulieren – durch Gesetze, die Gesellschaft, die Architektur des Webs selbst. Alleine die Technologie-Unternehmen zu kontrollieren, sei nicht genug.

Emotionaler Auftritt von Chelsea Manning

Zum ersten Mal seit ihrer Haftentlassung vor einem knappen Jahr hat Chelsea Manning (Bild oben) die USA verlassen und erzählte vor überfülltem Auditorium von ihrer Arbeit mit Big Data Sets im Irak, ihren Analysen und deren tödlichen Folgen.

Auch sie unterstrich die Gefährlichkeit von Algorithmen und selbst lernenden Maschinen und forderte, dass jeder einzelne Verantwortung für den kulturellen Wandel tragen muss. Der digitalen Welt stellte sie den Menschen selbst entgegen – und die Menschlichkeit.

Welchen inneren Wert diese hat, habe sie in den sieben Jahren im Gefängnis gelernt. Dort hat man alles verloren. Man hat keine Freunde mehr, keine Familie, keinen Titel oder Job. Man ist auf seinen Kern zurückgeworfen, auf die Menschlichkeit. Alle hätten dort zusammen gehalten, gegen die Wärter und dafür, durch die Zeit zu kommen, zu überleben und einander zu schätzen.

Deswegen sollten wir alle immer wieder einen Schritt zurücktreten und uns unserer Position in der Gesellschaft bewusst sein, anderen Meinungen zuhören, andere Erfahrungen zulassen und offen sein, sich austauschen und füreinander da sein. Chelsea Manning plädierte für Anstand, der im Zentrum ihrer politischen und persönlichen Arbeit stehe – aber betonte gleichzeitig: »Ich bin nicht besonders!«

Das sah das begeisterte Publikum aber anders. Denn es war beeindruckend, wie sie auf »das schwierige Jahrzehnt« in ihrem Leben, mit Offenheit, Zugewandtheit und Hoffnung reagierte.

Plädoyer für den »Offensiven Sozial-Liberalismus«

Keine re:publica – oder fast keine – bei der der erste Tag nicht mit einer Rede von Sascha Lobo beschlossen wird. »Kraftrede« hatte er sie diesmal genannt und es sei seine bisher wichtigste, wie er der Moderatorin vorher sagte. Auch deswegen stockte ihm vielleicht ab und zu die Stimme in seinem pointierten, leidenschaftlichen und mitreißenden Plädoyer für einen »Offensiven Sozial-Liberalismus«.

Er forderte, der Ausbreitung des Rechtspopulismus in Europa auf keinen Fall einen »völlig falschen linken Populismus« entgegenzusetzen, sondern die liberale Demokratie aktiv zu schützen, indem man von einen Dagegen zu einem Dafür kommt.

Und das als Wir. Als »die nicht rechtsextreme Zivilgesellschaft in Deutschland«. Auf diese Selbstdefinition sollte man sich einigen und sich dagegen wehren, dass jeder, der gegen Rechts ist, automatisch Links ist, vielmehr sei er »zutiefst demokratisch«.

»Von uns muss der Druck auf die Politik ausgehen« und da ein »bloß dagegen« natürlich nicht reicht, muss man ein Ziel haben – und das sollte statt einem Dagegen eben ein Dafür sein.

Ein Dafür in drei »Offensiv sozial-liberalen Vorschlägen«:

  1. Redlichkeit als politisches Kriterium
  2. Fuck Leitkultur. Love Leitwerte
  3. Investieren für ein soziales Europa

 

Das bedeute, auch Fakten zuzulassen, die einem nicht passen, auch zugeben, dass es parallel zum deutschen Antisemitismus auch einen muslimisch geprägten gibt. Von Leitwerten anstatt von einer Leitkultur zu sprechen, da diese sich auf Traditionen beziehe, aber auch nicht wegzuschauen wenn liberale Werte verletzt werden. Und vor allem  muss man auch die defekte Verteilung des Wohlstands ausgleichen.

Gespickt war das alles mit Spitzen gegen die CSU, die gerade »im Nichtschwimmerbecken der liberalen Demokratie paddelt«, gegen die katastrophale Politik des neuen Finanzministern Olaf Scholz, der sich in Zeiten, in denen sich der Rechtspopulismus ausbreitet, der Investition in Bildung und gegen soziale Schieflagen verweigert. Vielleicht sei die Anbetung der schwarzen Null ja auch ein Extremismusproblem. Und gegen Jens Spahn, der mit seiner Verächtlichkeit, seinem Herunterschauen auf andere aber vielleicht auch Menschen bindet, die sonst zu rechten Parteien abwandern würden.

Wie die Gesellschaft, die er sich wünsche, aussehen sollte, fasste Sascha Lobo so zusammen:

»Ich kämpfe für eine Gesellschaft, in der eine jüdische, arbeitslose, lesbische She-Male im Bikini betrunken knutschend an jedem Ort mit einer stillenden, schwarzen, behinderten Ex-Muslima mit Kopftuch auf der Straße tanzen kann – ohne Angst um ihre Existenz haben zu müssen.«

Riesiger Applaus! Für eine leidenschaftliche – und hoffnungsvolle – Tour de Force.

republica 18

Sascha Lobo bei seiner furiosen »Kraftrede«.

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Danah Boyd bei ihrer Keynote zu »How an Algorithmus World Can Be Undermined«

 

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