youvo.org verbindet Designer und soziale Organisationen für Pro-bono-Projekte. Sebastian Schütz, Gründer der Volunteering-Plattform, erzählt im Interview, inwiefern die Kreativbranche von sozialem Engagement profitiert.
Die Online-Volunteering-Plattform youvo.org bringt Kreative mit sozialen Organisationen zusammen, die auf der Suche nach ehrenamtlicher Unterstützung für Kommunikations- und Digitalisierungsprojekte sind: Wenn sie etwa ein neues Logo benötigen, ein komplettes Social-Media-Konzept oder eine Website. Im Interview spricht youvo-Gründer Sebastian Schütz über die Bedeutung von fähigkeitsbasiertem Engagement – und gibt Designern Tipps für die Umsetzung. Noch mehr Inspiration und Wissenswertes zum Thema Social Design zeigen wir in PAGE 01.2019, die Ausgabe ist jetzt zum Download erhältlich.
Beim Start 2014 wendete sich youvo vor allem an Studierende, die Praxiserfahrung mit sozialem Engagement verbinden wollten. Inzwischen nutzen auch immer mehr Professionals eure Plattform. Wie erklärst du dir das große Interesse? Sebastian Schütz: Für Menschen um die dreißig ist die Frage »Was mache ich mit meiner Zeit?« ein großes Thema. Man verbringt sehr viele Stunden bei der Arbeit und möchte in irgendeiner Form die soziale Wirkung sehen und etwas Sinnvolles erreichen. Dazu stehen wir inzwischen vor noch größeren Herausforderungen, die Gesellschaft hat sich politisiert. Auch an Unternehmen wird jetzt häufiger die Frage herangetragen: Was tut ihr, um einen positiven Wandel herbeizuführen? Vor zehn Jahren standen bei der Wahl des Arbeitgebers noch das Gehalt und die Arbeitszeiten im Vordergrund, heute interessiert, was dieser in Bezug auf Soziales und Ökologie unternimmt. Der Wunsch, etwas Sinnvolles zu tun, den ich vor ein paar Jahren noch als typisch für die Generation Y bezeichnet hätte, treibt mittlerweile altersübergreifend Leute an.
Inwiefern bereichert soziales Engagement die Kreativbranche?
Es ist unglaublich schön zu erleben, wie die eigenen Fähigkeiten positive Wirkung entfalten. Wenn man mit seinen kreativen Skills die Welt ein bisschen verändern kann, ist das motivierend und sinnstiftend. Gerade in einer Branche, in der viel Zeit damit verbracht wird, teure Produkte zu verkaufen und PR für große Unternehmen zu machen – was natürlich alles seine Berechtigung hat –, ist das eine große Bereicherung. Es entstehen zudem interessante, inspirierende Kontakte und teilweise sogar Freundschaften: Wenn man gemeinsam Positives bewirkt, löst sich das Kunden-Dienstleister-Verhältnis im Idealfall auf. Insbesondere junge Kreative lernen über solche Projekte sehr viel. Sie sind der Hauptansprechpartner für die Organisation – so lernt man, mit Menschen zusammenzuarbeiten und seinen Workflow zu organisieren. Man gewöhnt sich daran, realistische Deadlines zu setzen oder mit der anderen Seite klar zu kommunizieren, wenn zum Beispiel ein Projekt aus dem Ruder läuft. Außerdem ist es ein guter Perspektivwechsel, nicht nur inhaltlich: Bei den Videoprojekten auf unserer Plattform stammen die Filme oft von Leuten, die etwa auf Postproduktion oder Color Grading spezialisiert sind. Bei einem Projekt für eine soziale Organisation übernehmen sie hingegen alle Schritte – vom Konzept und Drehbuch über Interviews bis zum Schnitt – und haben am Ende einen komplett eigenen Film. Es entsteht ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Man sieht, dass das ganze Wissen aus dem Studium und die unendlichen Tutorials eine sehr wertvolle Ressource sind.
Welche Besonderheiten gibt es bei Pro-bono-Projekten?
Die Art der Zusammenarbeit kann sich stark von kommerziellen Projekten unterscheiden. Uns ist es wichtig, dass die Beteiligten sich auf Augenhöhe begegnen und dass die Engagierten konzeptionell stark eingebunden sind – denn oft sind soziale Initiativen noch nicht so erfahren, was kreative Prozesse anbelangt. Zugleich ist die Freiheit bei solchen Projekten oft etwas größer, bedingt durch eine andere Wertschätzung für die kreative Expertise. Zum Teil ist Schnelligkeit gefragt, da gemeinnützige Organisationen zur Bewerbung um Fördergelder oft kurzfristig Erscheinungsbilder benötigen. Diese sind ein elementarer Baustein, um wahrgenommen zu werden. Das Gute ist, dass man schon mit geringem Aufwand helfen kann. Auch für Designer mit wenig Zeit gibt es also die Möglichkeit für Engagement.
»Kreative sollten nicht als allwissende Experten auftreten, die den neuesten ›heißen Scheiß‹ platzieren«
Welche weiteren Tipps würdest du Kreativen geben?
Damit die Zusammenarbeit auf Augenhöhe stattfindet, sollte man das Kunden-Dienstleister-Rollenverständnis ablegen. Und da die persönliche Verbindung so essenziell ist, empfiehlt es sich, sich die Zeit für ein Auftakttreffen oder ein ausführliches Telefonat zu nehmen – auch wenn man eher dazu tendiert, alles per E-Mail zu regeln. Generell ist Transparenz in der Kommunikation sehr wichtig, vor allem, weil im Zweifel zeitliche Absprachen nicht eingehalten werden können, wenn ein bezahlter Auftrag dazwischenkommt. Kreative sollten zudem nicht als allwissende Experten auftreten, die den neuesten »heißen Scheiß« platzieren und das, was sie schon immer mal machen wollten, an einem »Versuchskaninchen« ausprobieren, ohne zuzuhören, was wirklich gebraucht wird. Genauso weisen wir die sozialen Organisationen darauf hin, dass sie den Einsatz der Designer, die in ihrer Freizeit arbeiten, um sie zu unterstützen, entsprechend wertschätzen sollten, statt die klassische Kundenrolle einzunehmen und die Erwartungen ins Unermessliche hochzuschrauben.
Und wie organisiert man sich am besten, um sich neben Uni oder Job engagieren zu können?
Man sollte zunächst schauen, ob einem eher ein Tag, eine Woche oder ein Monat für ein Pro-bono-Projekt zur Verfügung steht, oder sich fragen: Wie viel in meinem Alltag will ich meinem sozialen Projekt widmen? Bei youvo ist uns wichtig, das Engagement auf Projektbasis mit klarem Anfang und Ende zu organisieren, sodass man es gut absehen kann. Ich würde jedem empfehlen, so vorzugehen: sich ein konkretes Projekt mit einem festen zeitlichen Rahmen zu suchen, den man überschauen und einplanen kann. Außerdem sollte man mit der Organisation über die Deadline sprechen. Im Alltag sieht man am besten feste Slots für das Engagement vor, statt zu versuchen, es neben allem anderen umzusetzen.
Was habt ihr in Zukunft mit youvo vor?
Unsere bisherigen Strukturen – wir arbeiten ja lediglich zum Teil hauptamtlich – erlauben es zwar, Projekte zu vermitteln, allerdings nicht so viele, wie es potenziell sein könnten. Wir haben deshalb mehr in Richtung Social Entrepreneurship gedacht und ein Skilled-Volunteering-Programm für Unternehmen konzipiert, das gerade anläuft – youvo.work. Es geht dabei verstärkt darum, Initiativen bei komplexen Digitalisierungsprozessen zu unterstützen, wobei wir ganz gezielt auf die Kompetenzen von ganzen Teams setzen. Das Potenzial im sozialen Bereich wird bislang nicht ausgeschöpft: Während auf vielen Veranstaltungen über Virtual Reality und Blockchain diskutiert wird, haben viele Vereine gerade mal eine Facebook-Page. Und zwischen VR und Facebook gibt es noch so viel, was zur Unterstützung getan werden kann. Deshalb verknüpfen wir Initiativen mit Unternehmen und Agenturen. Diese können über youvo.work ihre Mitarbeiter ein paar Stunden für soziale Projekte freistellen und ihnen anbieten, sich kompetenzbasiert und sinnstiftend zu engagieren – frei nach dem Motto »Karma statt Kicker«.
Inwiefern profitieren Agenturen oder Unternehmen von diesem Angebot?
Wir zeigen ihnen, wie sie ihren Mitarbeitern Engagement innerhalb fester Strukturen ermöglichen können, und nehmen ihnen die Organisation ab. Wenn eine Designabteilung genau das einsetzt, was sie auszeichnet, statt beispielsweise im Naturschutzgebiet zusammen Müll zu sammeln, bekommt Corporate Volunteering eine tiefere Bedeutung. Die gemeinsame Arbeit an sozialen Projekten stärkt Teams enorm – auch weil man oft schnell Ergebnisse sieht. Und: Wer Mitarbeitern neue Perspektiven neben der täglichen Routine eröffnet, motiviert sie. Das zahlt auch auf die New-Work-Debatte ein: Wenn sie sehen, dass sie mit ihren Fähigkeiten die Welt ein bisschen besser machen können, ist schon viel gewonnen. Zudem ist es aus Unternehmenssicht nicht bloß eine übergestülpte Maßnahme für mehr Corporate Social Responsibility, sondern echte Hilfe.