Jochen Rädeker hat für PAGE acht Thesen zur Zukunft des Designs formuliert. Die dritte lautet: »Mehr Denken, weniger Pixelschubsen« und dreht sich auch um den Einsatz von KI im Designprozess. Autor Daniel Gerritzen und Designprofessor Christian Zöllner halten dagegen.
Diesmal sind es zwei Konter, die sich der dritten These von Jochen Rädeker gegenüberstellen. Sie alle beschäftigen sich mit der Frage, welche Rolle Künstliche Intelligenz in der Zukunft des Designberufs spielen wird. Gemeinsam mit Jochen Rädeker, Autor Daniel Gerritzen und Designprofessor Christian Zöllner werfen wir einen Blick in die Kristallkugel. Aber natürlich sind wir auch gespannt auf Ihre Meinung: Bitte diskutieren Sie mit!
Debatte: The Future of Design ++ Visual Trend: Cultural Cross-over ++ Für Kunden im Nahen Osten arbeiten ++ Top-Schriften für UI Design und Coding ++ Kundenbindung durch Erlebnisse: Innovationsprojekt für adidas ++ CD/CI: Vom PDF-Bericht zum kompletten Branding ++ EXTRA: Top 50: PAGE Ranking 2020
Vergessen wir (fast) alles, was uns beigebracht wurde: Techniken, Tools, Programme. Denn Design ist in den 2020ern wieder dort, wo es begann – als Disziplin, die kreiert und definiert, statt umzusetzen und zu publizieren. Dabei hilft künstliche Intelligenz, und sie wird uns viel mehr abnehmen als frühere Kupferstecher oder Reprografen: Gefüttert mit hoch entwickelten Gestaltungsalgorithmen und Ästhetikparametern, wird sie Routinearbeiten und selbst variantenreiche, komplexe Gestaltung viel schneller, günstiger und überzeugender erledigen als Menschen. Kurz: Das Berufsbild des Grafikdesigners, wie wir es seit Einführung des Desktop-Publishings 1985 kennen, wird verschwinden, und mit ihm InDesign, Photoshop, Cinema 4D und andere Tools. Denn das, was die meisten Gestalter heute für ihre Expertise halten, wird in Zukunft dank KI jeder können. Designer werden dafür wieder mehr Zeit für Kreativität und Ideen haben.
Schon heute werden weit entwickelte KI-basierte Layouttools eingesetzt, in einigen Jahren werden sie ganz selbstverständlich ins GAFA-Angebot (GAFA steht für Google, Apple, Facebook, Amazon) integriert sein. Dass wir mit Maus und Tastatur vor einem Bildschirm saßen oder uns klobige Brillen für virtuelle Erfahrungen aufsetzen mussten, wird uns am Ende des Jahrzehnts in etwa so vorkommen wie heute eine Bleisatzwerkstatt: nostalgisch, aber ganz schön kompliziert. Die aktuellen Hochschulcurricula sind deshalb ein Bärendienst an der jungen Generation: Fast nichts, was ein klassisches Grundstudium bietet, wird in der Praxis noch Relevanz haben. Design braucht eine neue Schule des Denkens, nicht eine der Technologien. nach oben
KONTER 1: Die pandorische Schwelle
In der griechischen Sage soll das künstliche Wesen Pandora aus einer Büchse alles Ungemach auf diese Welt loslassen, um dadurch Prometheus und die Menschheit für den Raub des Feuers zu bestrafen. Wir befinden uns gerade auf der »pandorischen« Schwelle. Wir nutzen künstliche Intelligenz, um etwa Layouts gestalten zu lassen. Im Design reift die Idee aber auch mit der technischen Handhabung. Der Entwurf ist nur ein Teil des kreativen Prozesses. Ein KI-basiertes Design führt mithin zu einer »Templatisierung« und unterwandert die Urheberschaft durch Grafiker und Typografen. Je stärker aber der Einsatz von KI ist, umso geringer wird der Wert der Arbeit. Ferner werden die Folgen eines zunehmenden KI-Einsatzes neurologische Rückbildungen in Gehirnbereichen sein, die für kreative Prozesse und Aufmerksamkeit zuständig sind. Die dramatischen Folgen spüren wir bereits jetzt.
Design heißt Umsetzung von Vorstellungen. Eine starke KI würde die Vorstellungen des Designers annähernd 1:1 umsetzen – und ihn somit ersetzen. Doch bereits eine Auslagerung der Arbeitsaufgaben an eine intelligenter werdende schwache KI sorgt dafür, dass wir die Arbeitsprozesse immer weniger verstehen. Wir verlieren technisches Fachwissen, machen uns abhängig und werden als Arbeitskräfte überflüssig.
Moores Gesetz besagt, dass sich die Prozessorleistung alle zwei Jahre verdoppelt. So wird die lineare Entwicklung der künstlichen Intelligenz in nicht allzu ferner Zukunft am Tag X exponentiell sein und eine starke KI entstehen. Der Tag X dieser »technologischen Singularität« wird eintreten, weil wir es durch unsere Bequemlichkeit ermöglichen. Wir überschreiten die pandorische Schwelle und verlieren endgültig die Kontrolle.
Daniel Gerritzen ist Journalist, Sachbuchautor und Typograf. Er arbeitet derzeit an einem Sachbuch zu den Gefahren künstlicher Intelligenz. nach oben
KONTER 2: Hochschulen müssen Freiraum bieten
Jochen Rädeker hat recht. Und Jochen Rädeker hat unrecht.
KI denkt logisch. Generative Adversarial Networks (GANs), die Grundlage moderner Machine-Learning-Programme, funktionieren nach einem Ausschlussverfahren, indem sie automatisch generierte Informationen an ein von Menschen definiertes Kriterienmodell anpassen. Dadurch sind sie zum Beispiel in der Lage, fotorealistische Bilder zu erzeugen. Diese GANs sind – von ihrem Hype entzaubert – nicht mehr als sehr lange und sehr rechenintensive If-else-Schleifen. Menschen mit ihrer oft unterschiedlich ausgeprägten menschlichen Intelligenz agieren anders.
Viele gute Entwürfe von Studierenden – aber auch von praktizierenden Designer*innen – entspringen einem intuitiven, unlogischen Impuls, der plötzlich Welt erzeugt, bewusst verkehrt kategorisiert und das nicht als Fehler darstellt, sondern als innovative Position vorstellt und weiterverfolgt. Diese wundervolle Art des menschlichen Denkens und künstlerischen Handelns benötigt Handwerk und Selbstbewusstsein. Dies zu trainieren verlangt eine andere Form des Trainings, als es für künstliches Denken erforderlich ist. Konzentriertes Modellbauen, Miteinandersprechen und Füreinander-Zeichnen sind ein wichtiger Teil des Designstudiums und schulen Geist und Körper. So wird ein Handeln eingeübt, das noch vor dem ständigen Sitzen vor Computerprogrammen, egal ob Photoshop oder Machine Learning, beginnt – wobei dies grundsätzlich zu hinterfragen wäre. Es ist eine wichtige Aufgabe der Hochschulen, diesen Freiraum für ein gleichzeitiges Erfinden und Empfinden zu bieten.
Universitäten und Kunsthochschulen stecken hier in einer Zwickmühle, die einem GAN nicht ganz unähnlich ist. Anforderungs- und Verwertungskriterien einer sich ständig weiterentwickelnden Designpraxis sollen mit einem humanistischen, frei forschenden, Scheitern erlaubenden Curriculum abgeglichen und möglichst vereint werden. Aber hoppla: Hier argumentiere ich schon völlig aus einem »Computational Thinking« heraus. Zeit, wieder zu meinen Studierenden zu gehen und nachzuschauen, was sie gezeichnet, gebaut (oder auch nicht) haben.
Christian Zöllner ist Professor für Designmethoden und Experiment an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und zudem Mitgründer des Design- und Forschungsstudios The Constitute in Berlin und Dresden. nach oben
Und was meinen Sie?
Bitte diskutieren Sie mit! Nutzen Sie dafür einfach die Kommentarfunktion unter dem Artikel. Und bleiben Sie dran: Jede Woche veröffentlichen wir eine neue These von Jochen Rädeker samt Konter.
Wir werben dafür, die Debatte um KI und Gestaltung zu versachlichen und mit mehr Expertise zu führen. Christian Zöllners Behauptung, dass GANs die “Grundlage moderner Machine-Learning-Programme” sei, ist so nicht haltbar. Machine Learning umfasst eine große Bandbreite von Modellen und Algorithmen; Deep Learning allein ist so vielfältig, dass es nicht auf GANs reduziert werden kann.
Auch die Behauptung, dass ML eine “sehr lange und sehr rechenintensive If-else-Schleife” ist, muss man zurückweisen. Supervised trainierte Neuronale Netze (um nur eines der bekanntesten ML-Architekturen zu nennen) sind n-dimensionale Funktionen, die aus abertausenden mathematischer AND-, OR- und XOR-Operatoren bestehen, die durch Loss-Funktionen und Backpropagation selbständig Fehler korrigieren und auf dieser Grundlage Vorhersagen machen können, die durch if/else-hard coding einfach nicht zu haben sind. ML einfach als alten Wein in neuen Schläuchen zu verstehen, verpasst die Potenziale und Gefahren dieser Technik für Gestaltung und Gesellschaft.
Statt in unproduktiven Dichotomien von Untergang und Entkreativisierung vs. große Befreiung zu denken, macht es aus unserer Sicht mehr Sinn, zu prüfen, wie Gestalterinnen das erzeugen, was man Agency nennt. Denn in der Ko-Kreation mit einer lernfähigen Maschine ist die Frage virulent, wieviel Eingriffsmöglichkeiten und Gestaltungsfreiheit möchte ich behalten und was will ich an Maschinen abgeben. In dieser Interaktion sind viele Abstufungen möglich – man denke nur an die kreativen Experimente vieler Gestalterinnen mit ML5/Runway ML.
Als Organisatoren der Konferenz “Designing with Artificial Intelligence” möchten wir aufrufen, den Alarmismus zu beenden und kritisch, sachlich und gemeinsam zu diskutieren.
Roboter können und werden uns in Zukunft von lästiger Routinearbeit befreien. Hurra! Aber das Gestalten als eine andere Form des (Nach)Denkens bleibt uns vorbehalten. Es ist etwas, was unsere Auftraggeber (noch) nicht können und worin wir ihnen allergrössten Nutzen stiften können.
GANs sind eine sehr elaborierte Architektur eines neuronalen Netzes (im Grunde sind es zwei) und sicher nicht DIE Grundlage für Machine Learning (Man denke an die Big Data Fortschritte in den 1990ern, die etwa mit Bayesian statistics oder mit Entscheidungsbäumen auskamen). Man sollte die Debatte mit etwas mehr Augenmaß und technischem Sachverstand führen, sonst fürchte ich, versteigt man sich in so Aussagen, dass wir es mit einer “sehr langen und sehr rechenintensiven If-else-Schleife” zu tun haben. So verpasst man den ganzen Inhalt von Predictive Computing bzw. Predictive Design. Und man verpasst die Vielzahl der Modelle und Anwendungen, die mit Deep Learning (und auch älteren Methoden) möglich sind (CNNs, NLP, GANs, etc.).
Wir versuchen auf der Konferenz “Designing with Artificial Intelligence” im Mai 2020 in Berlin die Dichotomie von entweder mit oder ohne Designer*innen zu hinterfragen, die akademische Auseinandersetzung zu versachlichen und nach Möglichkeiten der Agency für Designer*innen in einer Vielzahl von Design-Prozessen zu fragen. https://www.designing-artificial-intelligence.eu
Wieder mehr Gewicht auf unsere ureigene Domäne, das Denken und die Kreation! Eine erfreuliche Perspektive. Aber und nach wie vor: das Denken, die Idee müssen in die Welt. Dafür braucht es Tools, ob Bleistift, Indesign oder KI. Und eben Fachwissen, um damit umzugehen, den Prozess zu steuern oder auch nur kontrollieren zu können. Also, nichts preisgeben und öffnen für das, was kommt. Wir können nur gewinnen.
Wir werben dafür, die Debatte um KI und Gestaltung zu versachlichen und mit mehr Expertise zu führen. Christian Zöllners Behauptung, dass GANs die “Grundlage moderner Machine-Learning-Programme” sei, ist so nicht haltbar. Machine Learning umfasst eine große Bandbreite von Modellen und Algorithmen; Deep Learning allein ist so vielfältig, dass es nicht auf GANs reduziert werden kann.
Auch die Behauptung, dass ML eine “sehr lange und sehr rechenintensive If-else-Schleife” ist, muss man zurückweisen. Supervised trainierte Neuronale Netze (um nur eines der bekanntesten ML-Architekturen zu nennen) sind n-dimensionale Funktionen, die aus abertausenden mathematischer AND-, OR- und XOR-Operatoren bestehen, die durch Loss-Funktionen und Backpropagation selbständig Fehler korrigieren und auf dieser Grundlage Vorhersagen machen können, die durch if/else-hard coding einfach nicht zu haben sind. ML einfach als alten Wein in neuen Schläuchen zu verstehen, verpasst die Potenziale und Gefahren dieser Technik für Gestaltung und Gesellschaft.
Statt in unproduktiven Dichotomien von Untergang und Entkreativisierung vs. große Befreiung zu denken, macht es aus unserer Sicht mehr Sinn, zu prüfen, wie Gestalterinnen das erzeugen, was man Agency nennt. Denn in der Ko-Kreation mit einer lernfähigen Maschine ist die Frage virulent, wieviel Eingriffsmöglichkeiten und Gestaltungsfreiheit möchte ich behalten und was will ich an Maschinen abgeben. In dieser Interaktion sind viele Abstufungen möglich – man denke nur an die kreativen Experimente vieler Gestalterinnen mit ML5/Runway ML.
Als Organisatoren der Konferenz “Designing with Artificial Intelligence” möchten wir aufrufen, den Alarmismus zu beenden und kritisch, sachlich und gemeinsam zu diskutieren.
Roboter können und werden uns in Zukunft von lästiger Routinearbeit befreien. Hurra! Aber das Gestalten als eine andere Form des (Nach)Denkens bleibt uns vorbehalten. Es ist etwas, was unsere Auftraggeber (noch) nicht können und worin wir ihnen allergrössten Nutzen stiften können.
GANs sind eine sehr elaborierte Architektur eines neuronalen Netzes (im Grunde sind es zwei) und sicher nicht DIE Grundlage für Machine Learning (Man denke an die Big Data Fortschritte in den 1990ern, die etwa mit Bayesian statistics oder mit Entscheidungsbäumen auskamen). Man sollte die Debatte mit etwas mehr Augenmaß und technischem Sachverstand führen, sonst fürchte ich, versteigt man sich in so Aussagen, dass wir es mit einer “sehr langen und sehr rechenintensiven If-else-Schleife” zu tun haben. So verpasst man den ganzen Inhalt von Predictive Computing bzw. Predictive Design. Und man verpasst die Vielzahl der Modelle und Anwendungen, die mit Deep Learning (und auch älteren Methoden) möglich sind (CNNs, NLP, GANs, etc.).
Wir versuchen auf der Konferenz “Designing with Artificial Intelligence” im Mai 2020 in Berlin die Dichotomie von entweder mit oder ohne Designer*innen zu hinterfragen, die akademische Auseinandersetzung zu versachlichen und nach Möglichkeiten der Agency für Designer*innen in einer Vielzahl von Design-Prozessen zu fragen. https://www.designing-artificial-intelligence.eu
Wieder mehr Gewicht auf unsere ureigene Domäne, das Denken und die Kreation! Eine erfreuliche Perspektive. Aber und nach wie vor: das Denken, die Idee müssen in die Welt. Dafür braucht es Tools, ob Bleistift, Indesign oder KI. Und eben Fachwissen, um damit umzugehen, den Prozess zu steuern oder auch nur kontrollieren zu können. Also, nichts preisgeben und öffnen für das, was kommt. Wir können nur gewinnen.
Sehr schöner Beitrag von Herrn Zöllner.
Ich denke auch, es geht vor allem darum, das zu stärken, was die Maschinen (noch) nicht können.