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Förderpreis für junge Buchgestaltung 2015

Mit den Preisen für die 25 schönsten deutschen Bücher wurden auch drei Förderpreise für innovative Buchkonzepte verliehen. Interessant für eigene Einreichungen zu Wettbewerben, wie die Jury ihre Wahl begründet und was sie an der Gestaltung schätzt.

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Neben den 25 schönsten deutschen Büchern 2015, die gerade von der Stiftung Buchkunst prämiert wurden, wird jedes Jahr auch der Förderpreis für junge Buchgestaltung ausgelobt, der einen besonderes Augenmerk auf außergewöhnliche neue Ideen wirft, auf die Entwicklungen im Medium Buchgestaltung, hybride Buchformen und Impulse für morgen.

Es ist ein besonders interessanter Wettbewerb, sehr konzeptionell und in diesem Jahren saßen in der fünfköpfigen Jury unter anderem Jonas Natterer, der großartige Art Director vom Dummy Magazin, Nadine Schmidt vom Hatje Cantz Verlag und auch die Buchgestalterin Pauline Altmann, bekannt für ihre Arbeit an der verblüffenden Buchreihe Naturkunden.

Wie sie ihre Entscheidungen für die drei Preisträger begründen, ist hier zu lesen und ihre Statesment bieten gute Abnhaltspunkte, was man bei eigenen Einreichungen beachten sollte und erklärt gleichzeitig ganz plastisch die gestalterischen Besonderheiten der jeweiligen Publikationen.

Ondine Pannet:  Historische und geografische Beschreibung der Insel Formosa. Nach den Schriften des geborenen Formosaners George Psalmanaazaar (London, 1704)

Kein Text. Nirgends. Nur auf dem Rücken drei einsame Grapheme. Ansonsten ist der Einband mit bläulich-mintgrünem Papier bezogen, vorn und hinten bedeckt von Palmwipfeln in groben schwarzen Rasterpunkten. Rätselhaft, exotisch, fragwürdig.
Nach schwarzem Vorsatz kommt in einem ersten Tafelteil etwas Licht in die Sache: Farbfotos von tropischem Dickicht. Es folgt der Innentitel in barocker Manier, es handelt sich um den Bericht aus dem Jahre 1704 über ein Volk am anderen Ende der Welt, verfasst von einem gewissen George Psalmanaazaar.
Der detaillierte Inhalt ist typografisch als zweispaltige Enzyklopädie in alphabetischer Ordnung angelegt; aber ob es ein Reprint sein mag, eine typografisch modernisierende Überarbeitung oder die Erweiterung um neueste Forschungsergebnisse – das bleibt unklar. Egal. Aufregend genug, dass man hier zum ersten Mal das bislang nur phonetisch überlieferte Formosanisch in seinem eigenen Schriftsystem studieren kann – mit Hilfe des Wortschatzes Deutsch–Formosanisch und umgekehrt, im Anhang auf gelblich-mintgrünem Papier.
Seltsam: Unter den wissenschaftlichen Grafiken kommt einem die eine oder andere doch bekannt vor; hier eine Blastula und andere Stadien der Zellteilung, da die Formvariationen von Bohrerspitzen. Irgendetwas stimmt hier nicht. Die fotografischen Urwaldszenerien stammen aus einer Art Terrarium für Menschen, einem Exotik-Freizeitpark. Völlig absurd wird es im letzten Tafelteil mit den freigestellten Gummibäumen aus dem Gartencenter.
Diese Diplomarbeit ist eine buchkünstlerische Studie über das Wesen von Exotik. Es ist ein So-tun-als-ob, ein Verlangen nach dem Fremden ohne Berührungsrisiko.

Eigenverlag Ondine Pannet, Leipzig; Gestaltung und Satz: Ondine Pannet; Herstellung: Karla Fiedler, Werkstatt der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig; Druck: KochDialog, Leipzig
Buchbindung: Werkstätten der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig


Malin Gewinner: Die Anthropomorpha. Tiere im Krieg

Es könnte der Supplementband einer zoologischen Enzyklopädie sein, als ob in Brehms Tierleben etwas vergessen worden wäre. Thema ist die künstliche Vergrößerung des Habitats einiger Tierarten, nämlich die Ausweitung ihres Lebensraumes auf unheimliches Terrain: die Schlachtfelder des Menschen.
Ein zweispaltiger Satzspiegel wird so stringent wie freizügig genutzt (linksbündig gesetzte Spalten mit akribisch gleichmäßigem Flattern, Marginalspalte, lebender Kolumnentitel, Abkürzungslegende). Auf Textdoppelseiten folgen Bildseiten mit zeithistorischen Schwarzweißfotos – Belege dafür, dass Tiere im Krieg keine Fiktion sind.
Die große redaktionelle und gestalterische Sorgfalt darf nicht als Wertschätzung bellizistischer Domestikation, Erziehung von Tieren zu kriegerischen Zwecken, verstanden werden. Sie drückt die Ernsthaftigkeit aus, mit der es der Autorin (und Gestalterin) gelingt, die Perspektiven zu drehen: In lexikalisch-wissenschaftlicher Distanz führt sie eindrücklich vor Augen, dass die Sphären Tier/Natur versus Mensch/Kultur immer selbst schon Konstruktionen sind. Domestikation erscheint nicht mehr nur als Kulturtechnik, sondern der Mensch tritt im Reich der Tiere als eigenartiger Manipulator auf. Der Sprengstoffspürhund Treo wurde im Jahr 2010 mit der Dickin Medal geehrt, wie im Buch zu lesen ist – diesem bemerkenswerten Sonderfall zoologischer Literatur.

Eigenverlag Malin Gewinner, Berlin; Gestaltung und Satz: Malin Gewinner, Berlin; Druck: MAGENTUR – Gesellschaft für Kommunikation und Medien mbH, Berlin; Buchbindung: Buchbinderei Klünder, Berlin

Katja Gretzinger, Ellen Nonnenmacher, Markus  Schega, Schüler der Klasse 4-5-6 E der Nürtingen-Grundschule in Berlin Kreuzberg: Wie funktioniert Glück? Kombinatorik, Daten und Wahrscheinlichkeit

Eine verlockende Frage – das würden wir alle wohl gern wissen. Und schon haben wir angebissen.
Die schmale Broschur sieht gar nicht aus wie ein Schulbuch; Schulheft würde man vielleicht zu dem Ergebnis eines Projekts sagen, das im Mathematikunterricht mit einer stufenübergreifenden Klasse 4-5-6 entwickelt wurde.
Die Arbeitsaufträge sind auf absolut übersichtlichen Seiten als spielerische Übungen getarnt, mit knappen klaren Sätzen, in knappen klaren Bildern. Nichtabschreckung ist das Prinzip, Reduktion von Komplexität vollgepackter Mathematikbuchseiten. Die Kinder werden kaum das Gefühl haben, die Einführung in einen anspruchsvollen, aber meist drögen Mathe-Stoff durchzuarbeiten: Stochastik und Zufall.
Der unbeschwerte Eindruck wird unterstützt durch die Vervielfältigung mit einer neuartigen Maschine, dem Risographen. Das richtig grobe Raster und die Sonderfarben kontrastieren richtig gut mit der abstrakten Präzision des Fachgebietes.
Nun bleibt einem zum Schluss nur noch, die Antwort auf die rhethorische Titelfrage selbst auszurechnen.

Eigenverlag; Gestaltung, Illustration, Herstellung und Satz: Studio Katja Gretzinger; Druck und Buchbindung: Rocky P. Matters, Studio Katja Gretzinger, Berlin

Foto oben: Uwe Dittmar, Frankfurt am Main

 

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Making-of: Gedruckte Lautsprecher von der TU Chemnitz

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