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Dialog statt Diktat

»Das Netz ist keine Zeitung und auch kein Fernseher«: Jürgen Siebert zum Thema User-Generated Content.

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Im Som­mer 2013 startete Merce­des-Benz USA mit der Agentur Razorfish den Fotowettbewerb Take The Wheel (zu Deutsch »Übernehme das Ruder«). Fünf erfolgreiche Instagram-Fotogra­fen bekamen das neue Mittelklasse-Coupé CLA fünf Tage lang zur Verfügung gestellt, um die schönsten Ecken der Vereinigten Staaten anzusteuern und täglich sechs Fotos zu veröffentlichen. Wer am Ende die meisten Likes erntete, durfte den Wagen behalten. Ziel der Kampagne: Das biedere Markenimage abstreifen und aufs Radar ei­ner neuen Kundengruppe gelangen.

Die fünf Fotografen wurden nicht nur nach Qualität ausgewählt – vielmehr verkörperte jeder einen anderen Lifestyle und Blickwinkel und alle hat­ten bereits je 500 000 Follower hinter sich. Und tatsächlich: Als die ersten Fotos des Wettstreits ­erschienen, war das tra­ditionelle Bild von Mercedes wie weggeblasen. Bei Instagram allein ver­­zeich­neten die 150 Fotos nach einer Woche 87 Millionen Aufrufe und über 2 Millionen Likes. Auf Facebook und Twitter wurden sie 500 000 Mal geteilt, 90 Prozent mit positiver Haltung. Schon vier Wochen nach Kampagnen­start hatten mehr Menschen die Site http://mbusa.com be­sucht als je zuvor. Über eine Million Mal wurden die CLA-Seiten aufgerufen. Als der Wagen im Sep­tember auf den Markt kam, bra­chen die Verkaufszahlen alle bisheri­gen Re­korde der Marke.

Fortschrittliche Unternehmen verabschieden sich zunehmend von der überkommenen Gewohnheit, eige­ne Bot­schaf­ten mit Anzeigen und Wer­be­­clips in die Welt zu setzen. Das Netz ist keine Zeitung und auch kein Fernseher. Text, Bild und Bewegung verschmelzen, man kommuniziert bidirektional, das Internet lebt von Part­nerschaft, nicht vom Diktat. Es ist ein Geben und Nehmen. Darum gilt Content Marketing heute als die Werbemethode der Stunde. Sie spricht vor allem jüngere und kritische Zielgruppen mit nützlichen oder unterhaltsa­men Inhalten an. Diese Inhalte veröffentlichen die Unternehmen auf ihren Websites, in eigenen Blogs oder auf Social-Media-Plattformen.

Mittlerweile wird in den USA die zweite Stufe des Content Marketings gezündet. Dreh- und Angelpunkt hierbei ist User-Generated Content.

Was Mercedes eingeläutet hat, war noch die erste Stufe des Content Marketings: Mit der Erstellung von Inhalten wurden Experten betraut, im zitierten Beispiel erfahrene Fotografen. Mittlerweile wird in den USA die zweite Stufe gezündet. Dreh- und Angelpunkt hierbei ist User-Generated Con­tent (UGC) – also Inhalte, die von den Kunden selbst geschaffen und verbrei­tet werden. Schon heute werden über 80 Prozent aller Webinhalte von den Nutzern generiert.

Es gibt viele Gründe, warum sich Marken und Unternehmen dem Phänomen UGC widmen sollten. Zum Bei­spiel erfahren sie so aus erster Hand, was ihre Kunden von den Produkten oder Diensten halten und wo es Ver­bes­se­rungsbedarf gibt. Während an­de­­re viel Geld für Marktforschung aus­­ge­ben, hört UGC-Marketing einfach auf die Verbraucher.

Gar nicht neu, aber in einer vernetz­ten Welt wirkungsvoller als je zuvor: Über­zeugte Kunden sind die beste Wer­bung. Das US-Marktforschungsunter­nehmen eMarketer hat herausgefunden, dass 70 Prozent der Millen­nials den Kaufempfehlungen ihrer Freunde folgen. Verrückte Welt: Stiftung Warentest hat sicherlich fundiertere Argu­mente und überzeugt die Eltern, doch die Herzen der Digital Natives erobert man mit guter alter Mundpropaganda.

Das Mercedes-Beispiel verdeutlicht vor al­lem die SEO-Power, die im Content Marketing liegt. Weil viele Menschen die täglichen News mit Augenzeugenmaterial bereichern, wur­den die Suchmaschinen immer besser im Auffinden von Social-Media-Inhalten. Wenn also viele Fans plötzlich einen markenspezifischen Hashtag teilen, erzielt dieser im Netz mehr Wirkung als jeder Promo-Banner. Die alte Werbewelt nannte das Reichweite.

Last, not least ist User-Generated Content kostengünstig. Die meisten Fans teilen gern ihre positiven Erfahrungen mit einer Marke. Und wenn sie dabei begründete Kritik äußern, sind sie sogar glaubwürdiger als so mancher YouTube-Star, der – leicht durchschaubar – bezahlte Schleichwerbung für Kos­metik und Mode betreibt. Was am Ende zählt, brachte Razorfish so auf den Punkt: »Es geht nicht darum, wie weit oder wie schnell du voranschreitest, sondern wer dir folgt.«

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