»Als Anwalt des Kunden sorgt der Strategische Designer in unserer ingenieursgetriebenen Industrie für die nötige Empathie«, so Philipp Thesen, Designchef der Deutschen Telekom in Bonn. Was man sonst noch wissen sollte …
Nico Weckerle, 39, ist Head of Experience Strategy in der Designabteilung der Deutschen Telekom. Wir sprachen mit ihm und dem Designchef der Telekom, Philipp Thesen, 40, darüber, was strategisches Design in einem großen Konzern bedeutet und welche Fähigkeiten man mitbringen muss, um dort zu arbeiten.
Seit wann gibt es Telekom Design und was macht ihr hier genau? Philipp Thesen: Den Designbereich gibt es seit neun Jahren. Bereits etwas länger existiert die Design Gallery, in der wir innovative Konzepte und Zukunftsvisionen mithilfe von Prototypen im Raum erlebbar machen. Die Ausrichtung auf Design Thinking und die verstärkte Durchdringung des Konzerns mit strategischem Design findet seit rund drei Jahren statt. Die Deutsche Telekom befindet sich mitten in einem Transformationsprozess von einem klassischen Infrastrukturunternehmen zu einem Vorreiter der Digitalisierung. Design spielt mittlerweile eine wichtige Rolle in diesem Veränderungsprozess, der nach und nach alle Teile des Unternehmens erfasst. In einem Markt, der von steigender Übersättigung und Konsolidierungsdruck geprägt ist, bleibt am Ende nur ein wirkliches Differenzierungsmerkmal: die Customer Experience. Design ist dafür ein entscheidender Erfolgsfaktor.
Nico Weckerle: Customer Experience trägt ja schon im Namen, worum es geht: um das, was unsere Kunden mit uns als Deutsche Telekom und unseren Produkten erleben. Deshalb legen wir den Fokus darauf, ihre Wünsche und Bedürfnisse mit innovativen Lösungen zu erfüllen.
Wie findet man heraus, was die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden sind? Weckerle: Mit einer ausgiebigen Recherche- und Analysephase, in der wir Einflussfaktoren wie technologische Trends, aber auch intrinsische Motivationen unserer Kunden in der Tiefe untersuchen. Auf der Grundlage dieser Nutzeranalyse identifizieren wir Brüche in der Customer Journey, also Momente, in denen etwas nicht reibungslos funktioniert oder wo eine Leerstelle ist und ein Bedürfnis nicht erfüllt wird. Das sind sogenannte Blindspots – in ihnen liegen neu zu erschließende Geschäftsfelder. Unser Ziel ist ein ganzheitliches Kundenerlebnis, bei dem unsere Kunden nicht merken, dass unterschiedliche Produkte von unterschiedlichen Konzernbereichen entwickelt werden, sondern sich nahtlos in das Leben unserer Kunden einfügen.
Klingt, als hätte Design großen Einfluss auf das Produktportfolio des Konzerns. Thesen: Das ist auch dringend notwendig. Deshalb beschäftigen wir derzeit rund 100 Designer aus allen Bereichen. Um das Kundenerlebnis von Produkten und Services deutlich zu verbessern, denken wir darüber nach, was die Menschen wirklich antreibt und was sie begehren. Dieses Wissen wollen wir in unsichtbare Lösungen verwandeln, die das Leben einfacher machen. Nichts anderes bedeutet das Nutzenversprechen der Marke Telekom. Es war aber ein langer Weg, dafür im Konzern das Verständnis zu schaffen. Denn noch immer wird Design meist als Formgebung wahrgenommen. Dass Design aber nicht nur das Aussehen, sondern auch das Wesen und die Experience eines Produkts bestimmt, setzt sich nur langsam im Mindset vieler traditioneller Unternehmen durch.
Welche Disziplinen sind hier vertreten? Thesen: Im Grunde alles, was ein Designer sein kann und sein darf. Wir beschäftigen hauptsächlich User Experience Designer, Service Designer, User Interface Designer, Creative Coder aber auch klassische Industriedesigner und Designmanager. Die Übergänge sind oft fließend. Außerdem entwickeln wir uns ständig weiter. Derzeit suchen wir etwa Experten aus dem Bereich Dialogdesign, die für das Thema Sprachsteuerung sehr wichtig sind.
»Um wahre Konvergenz herzustellen, müssen wir ans große Ganze denken, nicht in einzelnen Abteilungen oder Produkten« Nico Weckerle
Nico, du leitest die Abteilung Experience Strategy. Worum kümmert sich diese? Weckerle: Der Bereich ist unter anderem für die horizontale Verknüpfung der Produkte zuständig. Um wahre Konvergenz herzustellen und Synergieeffekte der verschiedenen Produkte nutzen zu können, müssen wir ans große Ganze denken – nicht in einzelnen Abteilungen oder Produkten. Nur so kann man dem Nutzer ein nahtloses Markenerlebnis ohne Brüche bieten. Das bedeutet für einen großen Konzern wie die Telekom natürlich enormes Umdenken und Umstrukturieren. Für die Produktverantwortlichen wirkt es zunächst so, als hätten sie dadurch mehr Arbeit, wenn sie statt nur an das eigene Produkt an das komplette Portfolio denken sollen. Letztlich zahlt es sich aber für jeden aus, da es in einem nahtlosen Ökosystem viel wahrscheinlicher ist, dass der Nutzer sich dort wohlfühlt und auch andere Produkte der Firma nutzt.
Wie wird man Head of Experience Strategy? Weckerle: Ich habe schon früh meine Leidenschaft für digitales Design entdeckt. Daher bin ich nach der Schule direkt in die Praxis eingestiegen und habe als Grafikdesigner für verschiedene Agenturen gearbeitet. Ende der 1990er Jahre war digitales Design dort noch komplettes Neuland. Das bedeutete Learning by Doing. Studiengänge dafür gab es in Deutschland damals noch wenige. Deswegen bin ich nach Sydney gegangen und habe dort Multimedia Arts studiert. Nach meinem Abschluss ging ich in die USA. Dort habe ich bei einer Innovationsberatung als Lead Experience Designer angefangen. Kunden wie Motorola oder eBay suchten nach innovativen Lösungen für den sich rapide verändernden digitalen Markt. Weitere Stationen in Stuttgart und London folgten. 2011 kam ich dann als strategischer UX Designer zur Telekom. Seit 2015 leite ich das Experience-Strategy-Team.
»Einige Prinzipien für das Nutzererlebnis unserer Produkte: reduce friction, adapt to context, support opennes« Nico Weckerle
Woran arbeitet ihr gerade? Weckerle: An einer Vielzahl von Produkten und Experiences für eine vernetzte Zukunft und vor allem an der Vernetzung dieser Ökosysteme untereinander. Wir haben gerade die Konzeption der Telekom Experience der Zukunft abgeschlossen und in einem Experience Framework dokumentiert. Dabei handelt es sich um eine Art Baukasten aus verschiedenen Elementen. Diese enthalten zum einen Prinzipien für das Nutzererlebnis unserer Produkte, wie etwa: reduce friction, adapt to context, support openness. Außerdem beschreibt das Framework die Infrastruktur hinter einem Produkt oder Service. Es lässt sich zum Beispiel bei der Erstellung einer Customer Journey gut anwenden. Zum anderen enthält es aber auch direkt anwendbare Templates, Assets und die Beschreibung von Verhaltensweisen, die alle Produkte der Telekom in Zukunft aufweisen müssen.
Welche anderen Aufgabengebiete gibt es noch? Thesen: Auf der Prozessebene haben wir einen eigenen Ansatz des Design Thinking entwickelt, den wir nicht nur in der eigenen Abteilung praktizieren, sondern mit einem kompletten Rahmenwerk aus Methoden und Tools allen Kollegen bei der Telekom zur Verfügung stellen. So kann jeder Mitarbeiter mit diesen Instrumenten arbeiten und Design wird eine organisatorische Kompetenz. Ein entscheidender Beitrag ist dabei die Entwicklung von verschiedenen Co-Creation-Formaten auf Grundlage unserer Personas, die wir bei der Telekom entwickelt haben. Sie helfen uns dabei, unsere Kunden und ihre Bedürfnisse besser zu verstehen und uns in sie hineinzuversetzen. (Das Methodenbuch können Sie hier herunterladen: page-online.de/telekom-methodenbuch)
Wie funktioniert das genau? Thesen: Basierend auf Marktforschungsdaten haben wir insgesamt 16 Konsumentengrundtypen definiert, inklusive Wohnort, Geschlecht, Alter, Einkommen, Interessen et cetera. Im nächsten Schritt haben wir reale Menschen gesucht, die diesen Eigenschaften entsprechen, diese interviewt und mit ihnen Testgruppen zusammengestellt, denen wir regelmäßig Produktideen und Innovationskonzepte vorstellen. Dieses direkte Feedback ist sehr wichtig für die Designer und hilft dabei, Produkte und Dienste zu entwickeln, die wirklich den Bedürfnissen unserer Kunden entsprechen.
An welchem Punkt übergebt ihr ein Konzept? Oder begleitet ihr es stetig weiter? Thesen: Das ist unterschiedlich. Wenn wir an einer Innovation arbeiten, kann es sein, dass wir am Ende einen Prototyp oder ein Zielbild an den Produktverantwortlichen übergeben – etwa in Form eines Films. Er kann dann etwas daraus machen – oder eben nicht. Zu unserer Arbeit gehört auch, Projekte anzudenken, die nicht realisiert werden. Vor Kurzem haben wir zum Beispiel eine Idee zum Thema Digital Detox – also digitaler Entgiftung – vorgestellt. Das ist ein populäres Thema bei Kunden, aber es ist sehr schwer, daraus einen Business Case für die Telekom zu entwickeln. Daher wird die Idee vorerst nicht weiterverfolgt.
Weckerle: Wir versuchen, die Produktverantwortlichen früh in die Konzeption zu integrieren. Eine gemeinsam entwickelte Idee erleichtert es ungemein, sie anschließend im Konzern durch- und umzusetzen. Dann begleiten wir das Thema meist auch durch die Entwicklungsphase.
»Der strategische Designer muss sich im digitalen Zeitalter auf seine eigentliche Rolle als Vermittler zwischen Technologie und Lebenswelt besinnen« Philipp Thesen
Was macht einen strategischen Designer aus? Thesen: Der strategische Designer muss sich im digitalen Zeitalter auf seine eigentliche Rolle als Vermittler zwischen Technologie und Lebenswelt besinnen. Das war ja schon immer seine ureigene Funktion. Sie muss nur unter dem digitalen Regime neu interpretiert werden. Er muss deshalb bei der Entwicklung und Gestaltung von Produkten und digitalen Diensten die Hoheit über die Customer Experience beanspruchen. Als Moderator im Unternehmen vermittelt er zwischen den beteiligten Instanzen und sorgt dafür, dass in allen Entwicklungsprozessen nicht nur das technisch Machbare umgesetzt wird, sondern an erster Stelle die Bedürfnisse des Kunden stehen. Als Anwalt des Kunden sorgt der Designer in unserer ingenieursgetriebenen Industrie für die nötige Empathie.
Woher kommen diese Menschen? Welchen Hintergrund haben sie? Thesen: Die meisten haben einen interdisziplinären Background. Ich finde es äußerst wichtig, dass strategische Designer offen sind für interdisziplinäre Fragestellungen. Die Probleme, die Design heute zu lösen hat, sind so komplex, dass auch Experten aus Human Resources, Arbeitsorganisation, Informationstechnologie, Soziologie und Zukunftsforschung eingebunden werden müssen. Das bedeutet auch, dass wir künftig dringend mehr Quereinsteiger aus allen relevanten Disziplinen brauchen. Wir benötigen Change Agents, die schwerfällige Großunternehmen in Bewegung bringen und die klassischen Silos aufbrechen.
Welche Tätigkeiten erwarten einen strategischen Designer bei euch? Weckerle: Im Grunde sämtliche Anforderungen, die der klassische Designprozess mit sich bringt. Beginnend mit dem Beobachten und Verstehen der Kundenbedürfnisse sowie der für das Thema relevanten Trends und Treiber bis hin zur Entwicklung von geschäftsrelevanten Ideen, Zielbildern und Prototypen. Bei der Konzeption geht es darum, die Interessen des Unternehmens und des Kunden miteinander in Einklang zu bringen. Hierbei arbeiten wir in selbst entwickelten Workshopformaten in interdisziplinären Teams zusammen – beispielsweise den Customer Experience Camps. Dabei schließen wir uns drei bis vier Wochen ein und arbeiten mithilfe von Design-Thinking-Methoden sämtliche konzeptionell relevanten Aspekte aus. Unsere Aufgabe als Designer besteht ganz wesentlich darin, Ideen zu visualisieren und erlebbar zu machen. Das tun wir etwa in Form von Papierprototypen, Klickdummys, Installationen oder auch Filmen. Wir füllen Zukunftsvisionen mit Leben, indem wir Storylines aufbauen und Use Cases anhand unserer Personas durchspielen.
Die Ansprüche an einen strategischen Designer sind hoch. Müssen Bewerber sämtliche Fähigkeiten schon mitbringen oder können sie sich hier intern weiterbilden? Thesen: Die meisten Bewerber bringen schon alles mit, aber nicht alle. Für neue, aber auch bestehende Mitarbeiter haben wir die Design Academy gegründet. Hier haben wir seit 2015 über 8000 Trainings für Design Thinking durchgeführt. Die Academy ist ein wichtiges Vehikel, um Design stärker in die Prozesse des Unternehmens zu integrieren und zu zeigen, dass Design auch eine Haltung ist, die das Unternehmen verändern kann.
Alle weiteren PAGE-Connect Artikel zum Thema Strategischer Designer finden Sie hier.
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