Was sollte man als Informationsdesigner mitbringen? Jonas Parnow und Jan Schwochow erzählen im Interview über ihren Berufsalltag …
Informationsdesigner vermitteln Wissen, indem sie Daten, Fakten und Prozesse recherchieren und in Form von Grafiken verständlich darstellen. Jonas Parnow, 27, arbeitet als Infografikdesigner und Data Visualist bei der Infographics Group in Berlin. Wir fragten ihn und Jan Schwochow, Gründer und Geschäftsführer der Agentur, wie der Berufsalltag aussieht und wo die Herausforderungen liegen.
Jonas, wo hast du studiert? Und was? Jonas Parnow: Ich habe Mediendesign an der Rheinischen Fachhochschule Köln studiert. Der relativ verschulte Bachelorstudiengang war sehr breit angelegt: Wir haben alle Medien durchexerziert – von Print über Audio und Video, von Digital über 3D bis Crossmedia. Darüber hinaus Fächer wie Kunstgeschichte, Medienökonomie und Medienrecht. Dank der Bandbreite an Pflichtfächern konnte ich viel ausprobieren und austesten, was ich spannend finde. So habe ich auch festgestellt, dass Werbung nicht mein Fall ist. Meinen Master habe ich dann an der Fachhochschule Potsdam in Interface Design gemacht – einem Studiengang, der viel Informationsdesign beinhaltet. Meine Kurse konnte ich frei wählen, was mir als Kontrast zum Bachelorstudium gut gefallen hat.
Wie hast du herausgefunden, dass dir Infografiken liegen? Parnow: In meiner Bachelorarbeit ging es um Nachhaltigkeit und die Klimaerwärmung, dafür beschäftigte ich mich mit Infografiken und fertigte erstmals selbst welche an. Da dies im Bachelorstudium nicht zu den Lehrinhalten gehörte, fuchste ich mich selbst in das Thema ein.
Und wie bist du zur Infographics Group gekommen? Parnow: Nach meinem Bachelorstudium habe ich 2012 ein Praktikum bei der Infographics Group absolviert und dort dann ein Jahr gearbeitet. Parallel zur Arbeit habe ich meinen Master gemacht. Seit 2015 bin ich nun vier Tage in der Woche als Infographic Artist und Data Visualist bei der Infographics Group tätig.
Welche Aufgaben bestimmen deinen Berufsalltag? Parnow: Es gibt tendenziell drei Stufen: Datenrecherche, Datenaufbereitung und die Erstellung der Grafik. Bei der Datenvisualisierung merkt man oft erst nach der Verbildlichung, dass der Datensatz noch nicht gut genug ist oder dass eine andere Richtung interessanter sein könnte. Dann recherchiert man noch mal und verbildlicht die Daten erneut. Datenvisualisierungen lassen sich dadurch nicht so gut planen, man springt vor und zurück – was ich persönlich sehr spannend finde. Bei Infografiken arbeitet man hingegen stringenter: Man überlegt sich vorher, in welchem Bereich man welche Aussage treffen möchte und wie man die Geschichte erzählt.
Wie läuft die Datenrecherche ab? Parnow: Manche Auftraggeber haben bereits Daten vorliegen, mit denen wir arbeiten können. Andere geben eine Richtung vor, in die wir recherchieren sollen. Bei freien Projekten oder für den Fall, dass ein Kunde noch nicht weiß, was er zeigen will, überlegen wir uns, was wir erzählen möchten, und prüfen, ob es dazu Daten gibt. Wie wir recherchieren, hängt stark vom Projekt ab. In einigen Fällen sammeln wir Daten vor Ort – zum Beispiel bei einem Projekt zur Berliner Mauer. Zudem suchen wir online, in Bibliotheken und in Archiven. Seit Kurzem haben wir zwei Mitarbeiterinnen, die speziell für die Recherche zuständig sind. Grundsätzlich ist es aber gut, wenn derjenige, der recherchiert, auch die Grafik erstellt. Denn die Übergabe der Daten ist oft sehr umfangreich
Schwochow: Das Besondere am Informationsdesign ist, dass man sich mit den Daten wirklich auseinandersetzen muss. Man muss sie erst verstehen, bevor man sie grafisch darstellen kann.
Das Besondere am Informationsdesign ist, dass man sich mit den Daten wirklich auseinandersetzen muss. Man muss sie erst verstehen, bevor man sie grafisch darstellen kann. Jan Schwochow
Was passiert nach der Recherche? Schwochow: Sobald wir die Daten haben, geht es an die Ideenfindung im Team. Hier fertigen wir dann erste Skizzen an, oft zunächst mit Bleistift. Das machen wir auch gern mit den Kunden zusammen – so können wir schon einmal zeigen, wo die Reise hingehen soll. Und wir erkennen mithilfe der Skizzen, welche Form der Visualisierung interessant sein könnte.
Parnow: Wir nähern uns dem Thema entweder mit einer konkreten Fragestellung – also auf journalistische Weise. Oder wir betrachten die Daten ohne Vorurteile und lassen sie für sich sprechen – das ist ein eher wissenschaftliches Herangehen.
Was ist bei der Visualisierung besonders wichtig? Schwochow: Die Kunst des Weglassens. Am Anfang braucht man so viele Informationen wie möglich, um festzulegen, auf welchen Bereich man sich fokussieren will. Hier ist unsere Vorgehensweise stark journalistisch geprägt, was auch daher rührt, dass ich selbst – wie auch einige der Kollegen – ursprünglich aus diesem Bereich komme. Wir legen mit der Visualisierung erst los, wenn die Fakten stimmen. Dabei spielt es für uns keine Rolle, ob unser Projekt Werbezwecken dient oder journalistische Beiträge bebildert. Es geht immer darum, jemandem etwas verständlich und wahrheitsgetreu in einer Grafik zu erklären, damit er hinterher schlauer ist.
Welche Programme und Tools nutzt ihr täglich? Schwochow: Unser wichtigstes Werkzeug ist Adobe Illustrator, das tatsächlich bei jeder Grafik früher oder später involviert ist. Allerdings würden wir uns hier bessere Schnittstellen zur Datenvisualisierung wünschen.
Parnow: Illustrator verwende ich in erster Linie für Skizzen und für die finale Bearbeitung in Print. Da ich viel programmiere, ist mein am häufigsten genutztes Tool Sublime Text, ein Texteditor für Code. Für die Datenrecherche lege ich in vielen Fällen eigene Scraper an, die dann Datensätze sammeln. Um die so gewonnenen Daten gezielter aufzubereiten, setze ich meist auf das Daten-Tool OpenRefine. Dann kommt es immer darauf an, was daraus gemacht wird: Für eine individuelle Darstellung der Daten, die von Standarddiagrammen abweicht, programmiere ich Websites, die die Daten verbildlichen. Für Print exportiere ich die Grafiken in Illustrator. Für 3D-Grafiken nehmen wir zum Beispiel Cinema 4D.
Ist ein solch breites Skillset Voraussetzung? Schwochow: Programmieren können muss man nicht. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem es hilfreich ist, weil es so viele Daten sind, dass es eine Ewigkeit dauern würde, sie von Hand zu bearbeiten. Und natürlich spätestens, wenn eine Infografik interaktiv werden soll – allerdings kann man dann immer auch Kollegen wie Jonas fragen.
Parnow: Datenvisualisierungen kann man auf viele verschiedene Weisen erzeugen – sie müssen nicht zwangsläufig programmiert werden. Kürzlich habe ich für das Projekt »Kernforschung« die Kerne verschiedener Früchte einfach fotografiert. Vieles kann man auch mit Online-Tools oder Desktop-Anwendungen wie eben Illustrator machen. Sogar mit reinem Text kann man schon einiges visualisieren.
Was sollte man mitbringen, wenn man als Informationsdesigner arbeiten möchte? Schwochow: Geduld. Man hat manchmal einen sehr langen Weg vor sich. Gutes Allgemeinwissen ist wichtig. Außerdem Neugierde und Disziplin. Es geht nicht darum, einfach ein paar Farben und Schriften auszusuchen. Informationsdesigner müssen nachdenken, alles hinterfragen, das große Ganze sehen.
Parnow: Analytisches Denken ist wichtig. Unser Job verlangt eine problemlösende Form der Kreativität.
Analytisches Denken ist wichtig. Unser Job verlangt eine problemlösende Form der Kreativität. Jonas Parnow
Worin unterscheiden sich Print- und Digitalprojekte? Parnow: Print ist oft einfacher. Man hat ein klares Format. Wie man die Grafik anlegt, so sieht sie später auch aus. Im Digitalen stellt Responsive Design für uns häufig eine Herausforderung dar. In vielen Bereichen ist das inzwischen gelöst – doch bei Grafiken hat man am Desktop einen ganz anderen Lesefluss als auf dem Smartphone. Größere Visualisierungen oder interaktive Grafiken fordern uns da besonders heraus. Doch natürlich liegt im Digitalen eine große Chance: Man kann explorativer werden und die User miteinbeziehen, sodass sie ihre eigenen Geschichten finden können. So etwas kann Print nicht leisten.
Was macht euch an eurem Job am allermeisten Spaß? Parnow: Dass man in ungemein viele unterschiedliche Bereiche eintaucht und bei jedem Projekt etwas Neues lernen kann. Darüber hinaus vermitteln wir Wissen, indem wir Themen, für die es bislang keine vernünftige Kommunikation gab, in eine Form bringen, die mehr Menschen erreicht. Auf diese Weise kann man wirklich etwas verbessern.
In großen Datenmengen erkennen wir Dinge, die »echte« Wissenschaftler anhand von Excel-Tabellen vielleicht nicht erkannt hätten. Jan Schwochow
Schwochow: Im Grunde werden wir als Infografiker zu Wissenschaftlern. In großen Datenmengen erkennen wir Dinge, die »echte« Wissenschaftler anhand von Excel-Tabellen vielleicht nicht erkannt hätten. Zudem schaffen wir sogar neues Wissen: Um eine neue Form der Visualisierung zu erhalten, haben wir zum Beispiel mal den Puls von Dirigenten und Orchestermusikern gemessen. Solche Daten hat bisher niemand erhoben.
Wie organisiert ihr die Teamarbeit? Parnow: Einige von uns haben besondere Schwerpunkte. Ein Kollege illustriert viel, ein anderer ist Experte für Animationen. Projektteams sind meist interdisziplinär zusammengesetzt: Ein Artdirektor arbeitet mit zwei Mitarbeitern aus unterschiedlichen Bereichen zusammen. Die Kommunikation mit dem Kunden läuft entweder nur über den Artdirektor oder über alle drei Mitarbeiter.
Schwochow: Bei freien Projekten wie unserem Magazin »In Graphics« läuft es etwas anders. Da suchen wir nach Leuten, die eine Leidenschaft für ein bestimmtes Thema hegen. Eine Mitarbeiterin, die ein großer Fan von Quentin Tarantino ist, hat sich alle Filme noch mal angesehen und dokumentiert, beispielsweise wie häufig geschossen wird. Daraus hat sie dann eine Grafik gebaut.
Welche Karrierechancen hat man als Informationsdesigner? Schwochow: Das läuft bei uns klassisch ab – vom Junior Art Director bis zum Creative Director. Neben viel Erfahrung, die man automatisch sammelt, ist es für höhere Positionen wichtig, dass man Teams führen kann. Ansonsten haben wir recht flache Hierarchien.
Und wie steht’s um das Gehalt? Schwochow: Wir liegen ungefähr auf einem Level mit den Werbeagenturen oder vielleicht etwas darüber.
Wie wird sich die Branche in den nächsten Jahren entwickeln? Schwochow: Wir werden noch mehr mit Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen experimentieren. Dabei möchten wir mit Start-ups aus diesen Bereichen zusammenarbeiten und planen gerade, eine Art Hub aufzubauen – mit weiteren innovativen Disziplinen, die sich gegenseitig inspirieren und ergänzen. Gerade VR liegt für viele Projekte schon sehr nah – zum Beispiel bei 3D-Grafiken. Es sollte allerdings immer Sinn ergeben und nicht bloß eine Spielerei sein. Wir arbeiten sehr sinngetrieben, das verbindet uns alle und wird auch zukünftig so bleiben. Am Ende wollen wir ja tolle Geschichten erzählen und Leute schlauer machen, als sie es vorher vielleicht waren.
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