Künstliche Intelligenz verändert die Kreativbranche grundlegend. Wir zeigen, wie Designer:innen die neuen Tools für ihre professionelle Arbeit einsetzen können, welche Möglichkeiten das eröffnet – und wie viel Spaß das Ausprobieren macht
Streng genommen geht schon heute im Kreativalltag nichts mehr ohne den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Angefangen bei der ersten Google-Anfrage über Pinterest-Moodboards und Filter in Photoshop bis zur automatisierten Ausspielung von Webcontent. »Sobald etwas gut funktioniert, heißt es nicht mehr KI, sondern nur noch Software. Und die nutzen wir ganz selbstverständlich«, sagt Peter Kabel, Professor für Interaction Design an der HAW Hamburg, wo er vor drei Jahren das Forschungsprojekt aiXdesign ins Leben gerufen hat, in dem er die Potenziale und Auswirkungen von KI auf die Kreativbranche untersucht.
Neu und spannend sind Entwicklungen, die zeigen: Die Maschine kann auch kreativ sein! Das wurde ihr lange abgesprochen – und sorgt entsprechend für Irritationen und Ängste. Dazu besteht laut Michael Katzlberger aber kein Anlass: »Ideenfindung ist keine rein menschliche Fähigkeit mehr. Aber Menschen bewerten und ergänzen die Ideen von Maschinen. So entsteht eine symbiotische, hybride Zusammenarbeit.« Der KI-Experte berät Unternehmen, gibt Seminare und Workshops und entwickelt für Kunden KI-gestützte Kreativprojekte.
Die Möglichkeiten für Co-Creation mit KI wachsen stetig, die Entwicklungsschritte bei leistungsstarken Machine-Learning-Modellen sind enorm. So ist es inzwischen möglich, bildgenerierende Modelle per Text Prompt – also per Eingabe von Wörtern, Sätzen oder Befehlen – zu steuern. Das geht sogar auf dem eigenen Handy: Mit der App Dream von wombo.ai lassen sich so per Texteingabe innerhalb von Sekunden surreale Kunstwerke in verschiedenen Stilen erstellen. Und das ist nur ein Vorgeschmack darauf, was die neuronalen Netze des KI-Unternehmens OpenAI oder des Grafikprozessorenherstellers Nvidia mittlerweile leisten können. Die Expertinnen und Experten, mit denen wir gesprochen haben, sind sich einig: Die Kreativbranche steht durch KI vor einer massiven Disruption – ähnlich der Umstellung von der analogen Druckvorstufe auf Desktop-Publishing in den 1980ern.
KI: Ein Designtool wie jedes andere
Die KI macht das alles aber nicht allein. Für brauchbare Ergebnisse muss man Arbeit investieren – von der Wahl des richtigen KI-Modells über das Zusammenstellen und Aufbereiten der Trainingsdaten bis hin zur Kuratierung des Outputs. Um künstliche Intelligenz als Werkzeug einschätzen und nutzen zu können, braucht es ein grundlegendes Verständnis ihrer Wirkungsweise und Fähigkeiten ebenso wie ihrer Grenzen und Beschränkungen. Zwar kann man dank immer einfacherer Tools und Interfaces auch als Laie erste Experimente mit KI machen. Um damit professionell arbeiten zu können, sind dann aber doch ein paar Programmierkenntnisse erforderlich.
»Man kann KI nur verstehen, wenn man selbst Hand anlegt«, sagt Peter Kabel, der mit aiXdesign Workshops für Einsteiger:innen anbietet. Er nennt die Technologie »Augmented Intelligence« und sieht sie als eine Art Prothese, mit der sich menschliche Fähigkeiten erweitern lassen: »Die Aufgabe von Kreativen verändert sich: Sie erarbeiten und kuratieren den Input und treffen eine Auswahl des Outputs. Die ›eigentliche Kreation‹, also die Umsetzung, wird zunehmend automatisiert und von Maschinen erledigt.« Große Potenziale liegen beispielsweise in den Bereichen Ideation und Designexploration. »KI erweitert den Möglichkeitsraum enorm«, erklärt der Künstler und Creative Coder Andreas Refsgaard, der in seinen Projekten sehr spielerisch mit KI umgeht. »Als einzelner Mensch kann ich nur eine begrenzte Anzahl von Ideen haben. Die Maschine aber verfügt über eine unendliche explorative Kreativität.«
Wohin die Co-Creation mit künstlicher Intelligenz führen kann, zeigen Artists wie Refik Anadol mit seinen hypnotisierenden Datenskulpturen, KI-Pionier Mario Klingemann oder das Studio Entangled Others mit seinen futuristischen Arbeiten zu Biodiversität und neuen Ökosystemen. Aber auch im angewandten Design finden sich erste Anwendungen. Furore machte 2020 etwa der »AI Designer« Nikolay Ironov der internationalen Kreativagentur Art Lebedev Studio: eine KI, die mit handgezeichneten Vektorgrafiken trainiert wurde und so lernte, Logos und ganze Brand Identities zu erstellen. Die Ergebnisse waren zwar nicht überragend – und die menschlichen Kolleg:innen haben dabei sicherlich noch mal Hand angelegt –, aber die Story sorgte für Aufmerksamkeit und Kreativawards.
Wesentlich praxisorientierter ist der Layout Creator, den Strichpunkt 2019 für die Deutsche Post DHL programmiert und kürzlich neu aufgesetzt hat. Trainiert auf die Corporate-Design-Regeln des Unternehmens, unterstützt das Tool Laien dabei, spielerisch markenkonforme Inhalte zu gestalten (siehe PAGE 09.19, Seite 66 ff.). Die Software zeigt, wie konkret künstliche Intelligenz im Gestaltungsprozess unterstützen kann – wobei Creative Technologist Andreas Stiegler ungern von KI spricht, sondern lieber von Unterbereichen wie Machine Learning und Procedural Generation.
Ein Problem für künstliche Intelligenz im Design sieht Florian Jenett, Professor für Medieninformatik und Digitale Gestaltung an der Hochschule Mainz, im Mangel an nutzbaren Daten: »Unsere Arbeit als Gestalter:innen erzeugt einfach zu wenig und zu unterschiedliche Daten. Oft arbeitet man an einem einzigen InDesign-File. Wir müssen verstehen, wie wir besser an die neue Technologie andocken können und inwiefern wir dafür unsere Arbeitsweisen verändern müssen.« Unter anderem diese Frage will er im Rahmen des Hochschulverbundprojekts KITeGG erforschen, das Bund und Länder mit rund fünf Millionen Euro fördern.
Bei aller Begeisterung für die neuen Möglichkeiten darf man die Risiken von künstlicher Intelligenz nicht außer Acht lassen. Diese liegen im kreativen Bereich vor allem in einem möglichen Bias von Algorithmen, die mit einseitigen Daten trainiert wurden, in Deep Fakes sowie in einer drohenden Gleichförmigkeit der Ergebnisse, da sich KI immer am Durchschnitt von Trainingsdaten orientiert. Bei den großen Netzwerken lässt sich zum Beispiel fast nicht nachvollziehen, womit sie trainiert wurden. Das Language Prediction Model GPT-3 von OpenAI etwa wurde mit der kompletten englischsprachigen Wikipedia, mit verschiedenen Reddit-Foren und einem großen Datensatz von Büchern trainiert und ist dadurch in der Lage, Texte zu schreiben, die auch von Menschen stammen könnten. Wie und ob die Bücher und Inhalte kuratiert wurden, ist allerdings unklar. Immerhin ist sich OpenAI bewusst, dass sein Modell mitunter problematische Inhalte ausgibt und versieht diese im Verdachtsfall mit einer Warnung.
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