Im Auftrag des Wiener Bildungsservers gestalteten die österreichischen Typedesigner und Schriftexperten Martin Tiefenthaler und Dr. Titus Nemeth die neue Schulschrift Prima.
In der soeben erschienenen PAGE No3 2024 veröffentlichten wir ein Interview mit Martin Tiefenthaler und Dr. Titus Nemeth zu der von ihnen gestalteten Schulschrift Prima. Da der Platz im Printmagazin immer knapp ist, mussten wir die Antworten der beiden stark kürzen. Hier könnt ihr jetzt eine ausführlichere Version lesen.
Wissenswertes zur Prima findet sich auch auf der Website schulschrift.at. Die Schriftsoftware ist mit der open source Lizenz CC BY-NC-SA 4-0 veröffentlicht, für nicht-kommerzielle Zwecke kann man sie kostenfrei verwenden. Die neueste Version ist von GitHub zu beziehen, dort lassen sich auch die Quellen herunterladen und bearbeiten.
Letztes Jahr wurde Prima an österreichischen Grundschulen eingeführt – und erhielt auch gleich eine Auszeichnung vom TDC.Wie lief die Einführung der Prima, was gab es für Reaktionen?
Martin Tiefenthaler und Titus Nemeth: Die Veröffentlichung von Prima hat viel Aufmerksamkeit erregt und wurde breit rezipiert und kommentiert. Sowohl die größten Tageszeitungen als auch Boulevard Kolumnisten und Fernseh-Talkshows widmeten Prima ihre Aufmerksamkeit. Das liegt einerseits an der Rolle von Schule in der Gesellschaft, einer wichtigen Institution, die jeden betrifft und deshalb auch von jedem gekannt und bewertet wird, und andererseits am Ursprung von Prima in Wien. Letzteres wurde leider in der öffentlichen Diskussion oft überbewertet und als ein Ausdruck der oft unnötig komplizierten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern interpretiert. Die politische Dimension von Schule und Schrift und die Positionierung von österreichischen Institutionen spiegeln sich in diesen Debatten. Alle inhaltsbezogenen Kommentare, die sich also mit den Motivationen und Zielen von Prima beschäftigten, waren ausnahmslos sehr positiv bis begeistert.
»Bislang verwendeten Verlage und Unterrichtende als Modell für die erste Schrift, die Kinder lernen, meist verhunzte Versionen gängiger Groteskschriften, deren gestalterische Qualität und Digitalisierung sehr zu wünschen übrig ließen.«
Martin Tiefenthaler (links) und Titus Nemeth, Schriftgestalter
Warum habt ihr Prima in einer verbundenen und einer unverbundenen Version gestaltet? Und wer bestimmt welche die Schüler benutzen, ist das Sache der Lehrer?
Prima hat, erstmals in Österreich, unverbundene und verbundene Varianten, die wir von Anbeginn gemeinsam konzipiert haben. Bisher hatte das Unterrichtsministerium nur Modelle der verbundenen Schreibschrift, die man in Österreich nach der unverbundenen lernt, entwickelt und vorgegeben (1968 und 1995. Von 1968 bis 2023 konnten Unterrichtende entscheiden welches Modell sie lehrten. Erst 2023 wurde das Modell 1995 verpflichtend – kurze Zeit vor der Veröffentlichung von Prima). Als Modell für die erste Schrift, die Kinder lernen, verwendeten Verlage und Unterrichtende meist verhunzte Versionen von gängigen Groteskschriften, deren gestalterische Qualität und Digitalisierung sehr zu wünschen übrig ließen. Uns war es ein großes Anliegen, dass die Erstschrift bereits ergonomisch schreibbare Buchstabenformen hat. Dadurch wird Schreiben, statt Malen, unterstützt, und darüber hinaus wird der Schritt von unverbundener zu verbundener Schrift erleichtert.
Brauchen wir heute überhaupt noch Schulschrift?
Dazu gibt es zwei Dinge zu sagen: Erstens ist es allgemein anerkannt, dass die Kulturtechniken Lesen und Schreiben nach wie vor wichtig sind und ihr Erlernen sich auch über den eng gefassten Nutzen dieser Kompetenzen hinaus positiv auf die Entwicklung und die kognitiven Fähigkeiten von Kindern auswirken. Zweitens stellt sich diese Frage für uns als Gestalter nicht unbedingt: denn, wenn es den gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Schreiben und Lesen weiter unterrichtet werden sollen, liegt es auf der Hand, dass man dafür die aktuell passendsten und bestmöglichen Materialien verwenden sollte. Um Kindern den oft schwierigen Weg sich diese Kulturtechniken anzueignen einfacher und angenehmer zu machen, sollten wir keine Mühen scheuen. Und gute Modelle, die sich flexibel in unterschiedlichen didaktischen Ansätzen und mit allen gängigen Medien einsetzen lassen, sind ein zentraler Bestandteil in diesem Bestreben. So lange Lesen und Schreiben unterrichtet werden, sehen wir also einen Auftrag, die bestmöglichen typografischen Hilfestellungen zu entwickeln und das haben wir mit Prima versucht.
Wie ist die Idee zur Prima eigentlich entstanden, von wem ging der Impuls aus?
Die Idee, eine Schulschrift zu entwickeln, die heutigen Ansprüchen gerecht wird, ging von Yuki Sakurai, dem ehemaligen Leiter des Wiener Bildungsservers aus, nachdem er 2017 das Symposium »lesbar« der typographischen gesellschaft austria/tga im designforum Wien besucht hatte. Martin und ich hatten uns zu dem Zeitpunkt bereits unabhängig voneinander mit Schulschrift und den in Österreich verwendeten Modellen und Digitalisaten beschäftigt, und als der Wiener Bildungsserver Martin mit dieser Idee kontaktierte, dachte er deshalb an mich, und daraus entstand unsere Zusammenarbeit.
Ein gutes Jahr nach ihrer Einführung habt ihr Prima jetzt weiter ausgebaut. Wie kam es dazu?
Wir entwickelten Prima ursprünglich speziell als Modell für den Erwerb der Schriftsprache. Ihre feinen Linien waren konzipiert, um präzises Nachziehen von Buchstabenformen zu ermöglichen und Klarheit über den Duktus zu schaffen, aber uns war bewusst, dass die Schrift nur relativ groß einsetzbar sein würde. Wir hatten daher schon früh die Ambition, Prima weiter auszubauen, doch waren der zeitliche und ökonomische Rahmen des Originalauftrags dafür nicht geeignet. Wir suchten daher andere Partner und konnten, nach einem Fehlschlag beim Bundesministerium, die Wiener Wirtschaftsagentur von unserem Konzept überzeugen. Durch ihre Förderung, lukriert in einem kompetitiven Wettbewerbsverfahren, konnten wir Prima jetzt die Zeit widmen, um sie für ein viel breiteres Spektrum an Einsätzen weiterzuentwickeln.
Welche Schnitte kommen jetzt dazu und welche Erweiterung für welche Anwendung?
Wir bauen Prima zu einer Familie mit insgesamt fünf Strichstärken in verbundener sowie unverbundener Form aus. Somit kann man sie besser zum Setzen von Texten verwenden und hat mehr Möglichkeiten der typografischen Gliederung und Auszeichnung in Überschriften und Zwischenüberschriften. Weil Prima ursprünglich als Modell für den Schrifterwerb konzipiert wurde, hat sie besonders lange Überlängen. Für Textsatz ist das aber nicht gut geeignet. Um auch längere Texte in kleinen Graden angenehm lesbar und kompakt für zeitgenössische Anwendungen – insbesondere auf kleinen Bildschirmen – zu machen, entwickeln wir auch eine dafür optimierte Version mit verringerten Überlängen und kleineren Großbuchstaben. Somit wird Prima voraussichtlich über 20 verschiedene Varianten verfügen, die auch als Variable Fonts angeboten werden.
Bekommen die Lehrer eine Schulung zum richtigen Umgang mit Prima?
Der Wiener Bildungsserver bietet bereits seit über einem Jahr Schulungen zum Thema Schrifterwerb und den Konzepten, die in Prima umgesetzt sind, an. Diese werden von Volksschullehrerinnen und Lehrern gut angenommen. Prima wurde auch schon in Kursen an der Pädagogischen Hochschule in Wien vermittelt. Diese Angebote wird es auch künftig geben und wir werden die Dokumentation der Schrift entsprechend dem neuen Ausbau weiterentwickeln und verbreiten. Wir gehen davon aus, dass neben Unterrichtenden auch Gestalterinnen und Gestalter mit der Schrift arbeiten werden. Die begleitenden Materialien wollen wir gemäß den unterschiedlichen Ausgangspunkten und Kompetenzen entsprechend aufbereiten.
So könnten Websites mit Prima aussehen.