
Making-of Routinely: So geht Personalisierung im E-Commerce
Das Hauptpflege-Start-up Routinely hat Personalisierung zum Kernkonzept erhoben und auf allen Ebenen konsequent realisiert. Wir zeigen, was technisch und strategisch dahintersteckt – inklusive Tools für Designprozess, Workflow und Shop-Technologie
Danach hat man die Wahl: tiefer einsteigen oder schon jetzt einen Produktvorschlag sehen? Wer das nächste Testmodul (»Lifestyle«) startet, wird unter anderem nach der Schlafdauer pro Nacht gefragt, ob er oder sie regelmäßig Sport treibt oder wie gestresst man sich gerade fühlt. Hat man die Fragen beantwortet, kann man wieder wählen: weitermachen – dann folgen die Module »Cosmetic« und »Research« – oder sich das Ergebnis anzeigen lassen? Wer sich für Letzteres entscheidet, kann mit der eigenen E-Mail-Adresse und ohne Registrierung das Testergebnis zwischenspeichern. Dies ist eine Besonderheit, die für einen niedrigschwelligen Einstieg sorgt. Auf Grundlage des Tests schlägt Routinely nun ein Set aus zwei bis fünf Seren vor. Die User Journey ist übrigens immer gleich, egal ob man die Fragen auf der Website oder mobil beantwortet.

Die Eckdaten zum Projekt
PROJEKT Gründung des Skincare-Start-ups Routinely inklusive Shop- und App-Entwicklung
START-UP Routinely, Amsterdam
AGENTUREN Numbered, Amsterdam; Madewithlove, Belgien
TECHNIK Next.js, Linear, Productboard, Notion, Around, Slack, Shopify Plus, Vimeo, Sanity
ZEITRAUM ab Mai 2020 (Launch im Mai 2021)
Die App als täglicher Berater
Routinely will aber nicht nur ein Shop sein, der Produkte verkauft und die Kund:innen dann damit allein lässt. Denn der Erfolg der Hautpflege liegt nicht nur am Produkt selbst, sondern ein Serum hilft nur dann, wenn es auch korrekt angewendet wird. Wirksame Kosmetik bringt zufriedene Kund:innen, die wieder einkaufen werden. Hier kommt die Routinely-App ins Spiel, die als tägliche Beratung fungiert. »Wir haben festgestellt, dass viele Verbraucher:innen verwirrt sind, wie, wann und in welcher Reihenfolge sie die Seren verwenden sollen. Die App beseitigt diese Verwirrung, indem sie die Seren in eine einfach zu befolgende Morgen- und Abendroutine unterteilt, die es erlaubt, den Fortschritt zu verfolgen und uns Feedback zu geben, wie die Dinge laufen, damit wir sie bei Bedarf anpassen können«, erklärt Dick de Leeuw.

Mit der Eingabe einer E-Mail-Adresse nach dem »Skin ID Test« ist die Anmeldung eines Accounts geschafft. Damit gelingt der Wechsel von der Website zur Mobile App sehr fließend, ohne dass man die Hürde von langen Formularen nehmen muss.
Wenn man die App auf dem Smartphone zum ersten Mal öffnet, reicht die E-Mail-Adresse zur Anmeldung, und die App erstellt die tägliche Morgen- und Abendroutine. »Die App bietet eine kontinuierliche Anleitung und Personalisierung in dem Sinne, dass sie die Routine und die Dosierungen äußeren Einflüssen entsprechend anpasst«, sagt Charlotte Van Loock. Dafür nutzt sie einen weiterentwickelten Algorithmus, der über das Smartphone verfügbare aktuelle Daten berücksichtigt, also Faktoren wie Temperatur, Luftqualität oder Sonneneinstrahlung. Auf dieser Basis lassen sich die Pflegeempfehlungen in Echtzeit individuell optimieren. In einer nächsten Stufe soll hier noch mehr KI integriert werden (siehe Seite 83 f.). Aber auch jetzt schon zeigt Routinely, welches Potenzial Personalisierung im E-Commerce und für digitale Marken bietet – und dass sie weit mehr bedeutet als simple Empfehlungen à la »weil Sie Produkt A gekauft haben, könnte Ihnen Produkt B auch gefallen«.

Stefan von Gagern, Freelance-Autor und Content Strategist, begeisterte sich bei der Routinely-Recherche für die nahtlose User Experience, die zwischen Webshop und App souverän ohne lästige Anmeldung wechselt und die Kund:innen auch nach dem Kauf dorthin stellt, wo sie nach seiner Meinung immer stehen sollten: im Mittelpunkt.
Effectiveness First: Das technische Konzept hinter dem Shop
Ebenso modular und smart wie die angebotene Hautpflege ist das technische Konzept, auf dem der Routinely-Shop basiert

Von den ersten Konzeptvorüberlegungen bis zum Shop-Launch benötigte das Start-up nur ein knappes Jahr. Die hohe Kompetenz in Sachen Hautpflege aufseiten des strategischen Investors Oscar&Paul, der Venture-Capital-Unit von Beiersdorf, half dem Gründungsteam dabei ebenso wie das Netzwerk des belgischen Co-Investors 9.5 Ventures, der ihnen auch den Zugang zu Laboren in der Schweiz für die Entwicklung der Seren ermöglichte. Anfang 2021 holte Routinely dann zwei Agenturen ins Boot: Numbered aus Amsterdam für Shopdesign und Branding sowie Madewithlove aus Belgien. Letztere kümmer-te sich nicht nur um die technische Entwicklung, sondern auch um den Aufbau des Inhouse-Developments bei Routinely.
Es verwundert nicht, dass bei einem derart stark verteilten Team viel Kommunikation und Projektmanagement für die Orchestrierung aller Beteiligten anstanden. »Wir arbeiten derzeit mit einer Mischung aus Scrum, Kanban und Holocracy. Wir wählen die besten Teile daraus und verwenden das, was für uns funktioniert. Eine regelmäßige Kadenz ist der Schlüssel, nicht die Anzahl der Tickets, die wir in unseren Zwei-Wochen-Sprints erledigen«, erläutert CTO Dick de LeeuwFür eine Beschleunigung der Produktion sorgte zudem der pragmatische Einsatz fertiger Software-as-a-Service(SaaS)-Lösungen in der Cloud. »Wenn eine Drittanbietertechnologie es einfacher macht, den Job schnell zu schaffen, dann nutzen wir sie«, erklärt de Leeuw. »Oft ist die Entwicklung eigener Lösungen nicht nur teuer – viele vergessen auch die Implementierung und Wartung, die dann anfällt. Wir konzentrieren unsere Energie lieber auf schnelle Iterationen, sobald ein Prozess gestartet wurde.«
Entsprechend kamen und kommen eine ganze Reihe Tools zum Einsatz. Statt einen Shop von Grund auf selbst zu programmieren, nutzt Routinely die Plattform Shopify – auch wenn die erforderlichen Freiheiten bei der Gestaltung der User Experience das Team vor einige Herausforderungen stellte. Durch die Verwendung des Shopsystems spart sich das Team zum Beispiel die Entwicklung und das Testen eines Check-out-Prozesses. Darüber hinaus gestaltete sich das Einbinden von Hintergrundvideos in den Shop mit Shopify besonders leicht. Auch beim Hosting ging man den schnellsten Weg: Vimeo dient als Hosting-Plattform für die hochaufgelösten Hautmodel-Clips, die bei Seitenaufruf automatisch ablaufen.

Transparent, fair und offen
Der Routinely-Markenkern Personalisierung soll in den nächsten Schritten noch weiter ausgebaut werden. Das Smartphone eröffnet hier mit seinen Sensoren ganz neue Möglichkeiten. »Denken Sie an die Gesundheits- und Bewegungsdaten, an Pollenflug oder Stickstoffdioxidwerte«, erklärt Charlotte Van Loock. Momentan befindet sich eine automatische Hautanalyse auf Basis von Fotos und mittels künstlicher Intelligenz im Test. Etwas Ähnliches gibt es bei Beiersdorf mit dem Nivea Skin Guide, aber Routinely geht hier einen eigenen Weg: »Wir untersuchen Machine-Learning-Lösungen, um Muster in der Serumwirksamkeit und in den verhaltensoptimierten Pflegeroutineplänen zu erkennen«, so Van Loock.
Sehr ernst nimmt Routinely das Thema Datenschutz. Wer als Marke direkt mit den eigenen Kund:innen in Kontakt ist und nach so persönlichen Themen wie Allergien fragt, muss sorgfältig und behutsam mit den anvertrauten Daten umgehen. Noch heikler wird es, sobald Fotos für die Hautanalyse ins Spiel kommen. »Man muss uns vertrauen können. Die größte Security-Schwachstelle sind menschliche Irrtümer, wenn etwa jemand aus der Entwicklung den Laptop in der Bahn liegen lässt«, erklärt de Leeuw, der auch die Funktion des Data Protection Officers innehat. Doch das Team hat vorgesorgt: Alle sind per Software gezwungen, mit verschlüsselten Verbindungen und starken, sicheren Passwörtern zu arbeiten. Die Daten auf den genutzten Geräten können remote vollständig gelöscht werden.
Sehr offen arbeitet Routinely bei der Weiterentwicklung: Dank des feedbackgetriebenen Ansatzes können sämtliche Nutzer:innen unter https://portal.routinely.com Bewertungen abgeben und Wünsche für neue Features einreichen. Intern werden diese vom ganzen Team bewertet und nach Aufwand eingeschätzt. So ergibt sich eine interaktive Roadmap für die weitere Verbesserung und eine stark user:innenzentrierte Strategie. Der CTO resümiert: »Die Nutzer:innen sind bei uns weit mehr als nur diejenigen, die Produkte kaufen.«
Die Tools für Designprozess, Workflow und Shop-Technologie
Designprozess und Workflow
- UI Design und Prototyping: Linear
- Feedback-Tracking: Productboard
- Dokumentation: Notion
- Videocalls ohne Screen-Fatigue-Effekte: Around
- Schnelle Abstimmung unter den Teams per Chat: Slack
- Agile Sprints: Scrum, Kanban sowie Holocracy
Shop-Technologie
»Headless gibt uns mehr Gestaltungsfreiheiten«
Technologie, User Experience Design und strategisches Konzept greifen bei einer digitalen Marke wie Routinely besonders eng ineinander. Mit CTO und Co-Founder Dick de Leeuw sprachen wir über die besonderen Herausforderungen und Lösungen bei der Umsetzung.

Warum arbeitet der Routinely-Shop mit einer Headless-Architektur?
Dick de Leeuw: Unser Next.js-Frontend verarbeitet die Produktdaten in Shopify headless – das gibt uns Gestaltungsfreiheiten. Ansonsten wären wir sehr eng an die Shopify-Themes gebunden gewesen. Die sind zwar einfach anzuwenden, bringen aber Einschränkungen mit sich. Es ging jedoch auch darum, das Development glücklich zu machen, das mit seinen eigenen Techniken arbeiten können will. Headless hat allerdings auch seinen Preis, denn es bringt ein bisschen Mehraufwand mit sich. Wir erstellen eine Check-out-Sitzung, sobald Kund:innen bereit sind, zur Kasse zu gehen. Von da an wird der Standard-Check-out von Shopify verwendet, was vollkommen in Ordnung ist – er liefert meiner Meinung nach die beste Check-out-Experience im Bereich der Shopsysteme. Auch für alle Inhalte verwenden wir eine Software-as-a-Service-Lösung: Sanity. Wenn Mitarbeiter:innen eine Änderung in dem Content-Management-System vornehmen, wird ein Webhook ausgelöst, der eine neue Installation der Next.js-Website ausführt.
Die User Journey kann ja auf der Website oder in der App beginnen. Haben sich dadurch weitere Herausforderungen ergeben?
Wir hatten zunächst Probleme, Shopify-Benutzer mit Benutzern in unserem Backend zu synchronisieren. Einige Kund:innen beginnen ihre User Journey, indem sie einfach eine Bestellung aufgeben und somit einen Shopify-Benutzer haben, andere beginnen mit der Installation und Registrierung in der App – und haben somit einen Backend-Benutzer. Diese zwei verschiedenen Arten von Benutzerentitäten müssen miteinander verknüpft werden, damit wir wissen, dass jemand Produkte besitzt, und das in der App entsprechend widerspiegeln können.
Ich habe dies gelöst, indem ich eine Logik in unserem Backend programmiert habe: Sobald jemand dort registriert ist, erstellen wir einen Shopify-Benutzer, wenn er noch nicht bei Shopify existiert. Die Shopify-API, die zurückgibt, ob ein Benutzer existiert, ist allerdings nicht optimal. Es kann einige Zeit dauern, bis sie einen Benutzer zurückgibt, auch wenn er im Shopify-Dashboard bereits sichtbar ist. Also habe ich eine »intelligente« Logik mit exponentiellem Backoff programmiert: Wir versuchen, einen Benutzer maximal zehnmal abzurufen, und zwar jede Runde mit etwas mehr Wartezeit dazwischen. Dies löste unser Problem am Ende – mit dem übergreifenden Ziel, eine nahtlose User Journey zu haben, unabhängig davon, von wo jemand startet.
Routinely nutzt einen Digital-First-Ansatz, setzt also auf rein digitalen Verkauf. Was sind die Vorteile dieser Strategie?
Dadurch können wir eine direkte Beziehung zu unseren Kund:innen aufbauen, was von unschätzbarem Wert ist, um mit der Zeit intelligenter zu werden. Unsere Stärke liegt in der Intelligenz, die wir auf der Grundlage einer Vielzahl von Datenpunkten aufbauen, um herauszufinden, was für jeden Einzelnen am besten funktioniert.
Ein D2C(Direct to Consumer)-Brand hat darüber hinaus den großen Vorteil, dass es die volle Kontrolle über das Markenerlebnis behält, worauf wir ebenfalls sehr achten. Der Hauptunterschied zu einem Online-Marktplatz ist die direkte Verbindung zu den Verbraucher:innen, das Weglassen des Zwischenhandels und die Möglichkeit, in ein Markenuniversum zu investieren. Während ein Marktplatz sehr funktional ist, bietet ein Webshop viel mehr als nur Produkte. Inhalte sind dort der Schlüssel.
Content-Management: Das bedeutet Headless-Architektur
Im Zusammenhang mit Content-Management- und E-Commerce-Lösungen fällt derzeit oft der Begriff »headless«. Damit beschreibt man Systeme, bei denen das Frontend, also das User Interface, getrennt ist von den Prozessen im Backend. In einer solchen Headless-Architektur rücken Gestaltungsmöglichkeiten, die sonst nur in Verbindung mit Backend-Entwicklung zur Verfügung stehen, über APIs ins Frontend. Dies bringt verschiedene Vorteile mit sich, etwa dass Frontend-Developer:innen technisch weniger spezialisiert sein müssen. Zudem bekommen sie auf diese Weise selbst mehr Freiheiten, sodass sie das Design entsprechend schneller und flexibler umsetzen können. Insgesamt können headless aufgesetzte Shops agiler auf die Wünsche ihrer Kund:innen reagieren.
Dieser Artikel ist in PAGE 10.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.