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Talents 26. Lost And Found.

C/O Berlin im Postfuhramt, Berlin
Ausstellung

 
Altertümliche Droschken und aufgemotzte Straßenkreuzer. Riesige Buchstaben und Schaukelpferde.

Altertümliche Droschken und aufgemotzte Straßenkreuzer. Riesige Buchstaben und Schaukelpferde. Flirrende Mobilées und zerschlissene Sofas.

Silhouetten von Menschen irren durch Wind und Staub. Alles verliert an Bodenhaftung und schwebt in bodenlosem Weiß – Zeit, Raum und Identität atomisieren sich vollständig. Sind diese bizarren Motive und Szenerien real? Oder sind es Sinnestäuschungen und paradoxe Luftspiegelungen? Der chinesische Fotograf Peikwen Cheng lässt die Lichter der amerikanischen Großstädte hinter sich, dringt tief in die Black Rock Desert ein und dokumentiert surreale Tagträume und deren kreative Schöpfer. Seine schwarz-weißen Fotografien erinnern an epische Filmsequenzen – vertraut und doch verstörend, klar und nebulös zugleich.

Alle Mechanismen, auf die die menschliche Ratio bei den Fotografien von Peikwen Cheng zurückgreifen möchte, funktionieren in diesem Bildraum nicht. Denn er gehört einer anderen, spielerisch-intuitiven Welt an. Die einzige Konstante in der Serie ist eine spröde und karge Landschaft. Der Betrachter versucht zu lokalisieren und zu verknüpfen, bleibt jedoch stets im Ungewissen. Trotzdem gibt es Referenzen, die auf die Realität verweisen – und tatsächlich sind alle Aufnahmen ohne bildmanipulative Verfahren und Inszenierung in der Wüste Nevadas entstanden. Genauer beim Burning Man Festival. Ein grandioser Spielplatz für den kreativen homo ludens, der das Temporäre und Ereignishafte der Starrheit und Fixierung entgegensetzt. „Everyone is invited to work. Everyone is invited to play“. Als subkulturelles Konzept verbindet dieses Event sich mit den Ideen der amerikanischen Gegenkultur, die ihren Ursprung in den 1960er Jahren hat. Dieses Experimentelle und Visionäre, in kultureller und technologischer Hinsicht, ist unmittelbar mit dem amerikanischen Westen verknüpft. So ist dieser Ausflug von Peikwen Cheng in den »Wild Wild West« nicht nur eine Reise, die das Zurücklassen der Stadt, sondern auch das Verlassen der herkömmlichen Zivilisation meint. Eine Reise, die am Innersten des Menschen rührt.

Entgegen der Expressivität, die in farbgewaltigen Bildern des Events im Internet zu finden sind, konzentriert sich Peikwen Cheng auf stille Momente und eine introvertierte, symbolhafte Bildsprache. Die Fotografien wirken dabei losgelöst, meditativ, beinahe einsam. Sie dokumentieren den Zustand, sich treiben zu lassen, sich im positiven Sinne zu verlieren und dabei etwas Neues oder Verborgenes zu entdecken. Durch eine präzise ausgewogene Bildaufteilung ergeben sich oft Symmetrien und Linien, die den Raum grafisch aufteilen und ihn flächig erscheinen lassen. Die häufige Zentrierung einzelner Objekte trägt dazu entscheidend bei. Durch die Wegnahme jeglicher Farbigkeit erreicht Peikwen Cheng eine klare, zumeist von starken Kontrasten geprägte Form. Diese Reduktion hat sich in der Geschichte der Fotografie zu einem unbewussten Synonym für Sachlichkeit entwickelt, bei der das Fehlen der Farbe geradezu den Nachweis für ein im Wirklichkeitssinn beglaubigtes und demnach wahres Bild erbringt. Gleichzeitig finden sich zahlreiche Bezüge zur Filmhistorie und zu Bildern, die sich in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben und lösen Assoziationen an amerikanische Science Fiction- und B-Movies aus. Deren wenig realistische Inszenierungen und Charaktere sind bei den erzählerisch-dokumentarischen Fotografien von Peikweng Cheng in die Realität übergegangen – als Materialisationen von Fiktion oder als fiktionsbasierte Realitätskonstrukte.

Peikwen Cheng, geboren 1975, studierte Produktdesign an der Stanford University, das er 1997 abschloss. Er hat sich das Fotografieren selbst beigebracht und seine Werke bisher in Kambodscha, Kanada, China, Deutschland, Griechenland, Polen, Singapur, Schweden, Syrien, Großbritannien und den USA ausgestellt. Bevor er sich der Kunst zuwandte, war er Designer und wurde mit dem United States Design Patent und dem Industrial Design Excellence Award ausgezeichnet. Peikwen Cheng lebt in Peking.

Eileen Seifert, geboren 1977, studierte Kunstgeschichte, Deutsche Philologie und Kulturwissenschaft in Berlin. In ihrer Magisterarbeit setzte sie sich mit der Strategie der kulturellen Entwendung bei der Situationistischen Internationale auseinander. Sie beschäftigte sich mit avantgardistischen Bewegungen und Utopie-Konzepten und verfasst seit mehreren Jahren selbstständig Texte und Kritiken zu Kunst und Musik. Derzeit arbeitet sie beim KUNST Magazin. Eileen Seifert lebt in Berlin.

Nachwuchs fördern und ihm eine erste Chance für die Zukunft geben – Talents ist kreativer Campus für junge internationale Gegenwartsfotografie und Kunstkritik. Seit 2006 fördert der C/O’s e.V. mit dieser Ausstellungsreihe angehende Fotografen und Kritiker, die sich an der Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf befinden. Begleitet wird jede Einzelausstellung von einer Publikation, in der Bild und Text einen Dialog eingehen. Talents ist ein internationaler Wettbewerb, der jährlich ausgeschrieben wird. Aus den eingereichten Bewerbungen wählt eine Fachjury jeweils vier Fotografen für einen Jahrgang aus. Mit Hilfe starker Partnerschaften schickt C/O Berlin die Fotografen und Kunsthistoriker in die Welt. Dieses in Europa einzigartige Programm ist für viele junge Künstler der Ausgangspunkt für Ausstellungen, z.B. in den Goethe-Instituten Stockholm, New York oder Santiago de Chile.

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