Endlich Intelligenz beim Ordnen von Schriften! Was herkömmliche Fontverwaltungen bislang nicht können, schafft das macOS-Tool deep fonts: Mithilfe eines künstlichen neuronalen Netzes klassifiziert und sortiert es Schriften selbstständig. Lilo Schäfer und Maximilian Bier haben das Tool trainiert.
PROJEKT Trainieren eines künstlichen neuronalen Netzes zur Schriftklassifizierung REALISATIONLilo Schäfer (Gestaltung) und Maximilian Bier (Programmierung), beide Düsseldorf TOOLS InDesign, Illustrator und Photoshop (Gestaltung der Trainingsbuchstaben), TensorFlow, Python und
Swift (Programmierung), Numbers (Erstellung des Datensatzes), Kamera ZEITRAUM bis zum Sommer 2019 Arbeit an der Masterthesis, danach Weiterentwicklung zur macOS-App deep fonts
Mit der Zeit wurde das Netz beinahe so etwas wie ein Familienmitglied. Kein Wunder, Lilo Schäfer, selbstständige Gestalterin in Düsseldorf, und ihr Lebensgefährte, der Softwareentwickler Maximilian Bier, verbrachten in den letzten Monaten viele Stunden mit dem Training ihres künstlichen neuronalen Netzes (KNN), einer Ausprägung von KI, die sich am biologischen Vorbild des Nervensystems orientiert und die Aktivität der Neuronen mittels elektronischer Datenverarbeitung nachbildet.
Angefangen hatte alles mit der Suche nach einem Thema für Lilo Schäfers Masterarbeit im Studiengang Kommunikationsdesign an der Hochschule Düsseldorf. Als systematischer Mensch führt die 26-Jährige Listen, und sobald sie im Gestaltungsprozess auf ein Problem stößt, notiert sie dieses für eine mögliche spätere Verwendung. Gleich mehrfach tauchte dabei die Unorganisiertheit ihrer Fonts auf. »Als ich dann mitbekam, dass Maximilian an künstlichen neuronalen Netzen arbeitet, dachte ich: ›Perfekt, warum nicht ein solches Netz, das ja dazu gedacht ist, Prozesse zu automatisieren, für die Klassifizierung von Schriften nutzen?«, erzählt Lilo Schäfer.
Kehlung oder Achsneigung: kleinste Details erkennen
Bei einem KNN trainiert man anhand ausgewählter Daten eine komplexe Struktur aus künstlichen Neuronen. In diesem Fall bestand der Input aus einzelnen Buchstaben von Schriften, die dem Netz jeweils als 100 mal 100 Pixel große Bilddatei zusammen mit ihrem Label, der Schriftkategorie und den entsprechenden Adjektiven, zugänglich gemacht wurden. Bei erfolgreichem Training ist das Netz in der Lage, an kleinsten Details wie etwa Kehlung oder Achsneigung Schriften zu unterscheiden. »Im ersten Schritt habe ich das Netz in der Programmiersprache Python mit TensorFlow, einem Framework für maschinelles Lernen, aufgebaut und mit dem von Lilo erstellten Datensatz trainiert«, erklärt Maximilian Bier. »Ist die gewünschte Genauigkeit erreicht, lässt sich das trainierte KNN so aus Python exportieren, dass man es dann in einer macOS-App – geschrieben in Apples Programmiersprache Swift – zur Schriftklassifizierung nutzen kann.«
Schriftklassifizierung: Ausreichend Daten füttern
Um eine sinnvolle Klassifikation zu finden, schaute sich Lilo Schäfer neben traditionellen Einteilungen auch die Beschreibungstexte zu den Schriften auf zahllosen Foundry-Websites an und definierte schließlich fünf Hauptkategorien: Sans Serif, Serif, Slab Serif, Script und Blackletter. »Diese Sortierung bezieht sich nur auf lateinische Schriftsysteme, alles andere hätte den Rahmen gesprengt. Aber eine spätere Erweiterung ist ja nicht ausgeschlossen«, so die Gestalterin. Im nächsten Schritt legte sie acht Untergruppen fest: humanistic, transitional, classical, grotesque, geometrical, american, display und variants.
Beim Training der Hauptkategorien arbeiteten Lilo Schäfer und Maximilian Bier mit etwa 200 Schriften, merkten dann aber, dass diese für die detailreicheren Unterkategorien nicht ausreichten. »Um sicherzugehen, dass das Netz wirklich gut gelernt hat, muss man ihm nach dem Training Testdaten vorlegen, die es nicht kennt. Deshalb nahmen wir 300 weitere Schriften auf.« Zu geringe Datensätze, das merkten die beiden schnell, können zum sogenannten Overfitting, einer Überanpassung, führen. Dann lernt das KNN quasi einfach die Daten auswendig und ist später nicht in der Lage, ungekannte Schriften zuzuordnen.
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