»Wir sind einfach müde von der Digitalisierung«
Charlotte Rohde ist eine der stilprägenden Gestalterinnen ihrer Generation. Wir sprachen mit ihr über veraltetes maskulines Design, über Schriften als visuelle Stimmen – und warum man sich verletzlich machen sollte.
Du bezeichnest Typografie als Erweiterung des Körpers, deine Schriften als visuelle Stimme.
Es hat etwas gedauert, bis ich den Feminismus für mich entdeckte. Ich war beim »Missy Magazine« Grafikassistenz für Daniela Burger und bin für meinen Master of Fine Arts and Design ans Sandberg Instituut gegangen. Auch weil man sich dort intensiv mit feministischen Fragen beschäftigt. Durch eine Dozentin bin ich auf den Hydrofeminismus gestoßen, der davon ausgeht, dass alle lebenden und nicht lebenden Dinge von einer semidurchlässigen Membran umgeben sind und durch einen Wasserkreislauf verbunden. Alles ist ein Biotop, Gender ist obsolet und in den Räumen zwischen den Membranen tröpfeln die einzelnen Dinge ineinander, Menschen, Pflanzen, Tiere, alles eben. Seitdem betrachte ich meine Schriften wie Körper, die diese Zwischenräume füllen und sich mit allem verbinden, und ein Netzwerk entsteht, eine Gesamtheit und ein Zeitgeist.
Gleichzeitig beschreibst du deine Schriften auch als visuelle Stimmen.
Wenn ich von einer Stimme rede, dann meine ich das im symbolischen Sinne. Dass man eine Stimme bekommt, um zu wählen, um seine Meinung zu sagen, um gehört zu werden. Und zwar alle Stimmen, nicht nur die, die am mainstreamingsten sind oder am lautesten. Die meisten Schriften sind von Männern gezeichnet worden. Doch wenn ich etwas Feministisches, ein Manifest oder Ähnliches abdrucke, dann möchte ich das nicht mit der Stimme einer männlichen Person tun.
Die Schrift als feministische Stimme?
Es geht gar nicht darum, dass sie feminin sein muss, sondern darum, wer sie gemacht hat und aus welcher Haltung sie entstanden ist. Es geht um eine Art Verschmelzung. Neulich habe ich meine Masterarbeit einer Unizeitung zur Verfügung gestellt, und sie haben sie in der Schrift einer männlichen Person abgedruckt. Sie haben einfach nicht darüber nachgedacht. Das ist eher lustig und auch spannend, was dann daraus entsteht. Vielleicht beeinflusst mein feministischer Text ja die Schrift. Bei meinen eigenen Schriften habe ich das Gefühl, dass sie eine gewisse Feminität haben, eine eingebettete Eleganz, die meine Art und Weise, Weiblichkeit zu performen, widerspiegelt.
Das heißt, die Schriften funktionieren auch, ohne dass man die Metaebene kennt?
Ich hoffe, dass sie so gut aussehen, dass sie auch so funktionieren. Meine Schriften sind nicht crazy, sondern gut benutzbar. Aber wenn man genau hinschaut, haben sie skurrile kleine Details. Gleichzeitig glaube ich, dass man eine gewisse Ehrlichkeit immer fühlen kann, das ist ein bisschen so wie bei einem Popsong.
Das ist ein Ansatz, der sehr persönlich und emotional ist.
Ja, und dadurch mache ich mich verletzlich. Das spielte auch am Sandberg Instituut eine große Rolle, denn über Gefühle findet man ganz andere Verbindungen zueinander. Wenn jemand sagt: »Ich hab dieses Buch gelesen«, und der andere sagt: »Ich auch«, ist das nicht so herzerwärmend. Wir haben Lust, uns verletzlich zu machen und unsere Gefühle zu teilen, denn das tut sehr gut. Für mich gehört zu dieser Entwicklung auch, Dinge nicht nur immer am Computer zu gestalten, sondern vermehrt auch mit den Händen zu arbeiten, Dinge anzufassen. In meiner Abschlussarbeit habe ich Keramikplatten mit Reliefs meiner Handzeichnungen gefertigt. Viele arbeiten gerade mit Ton und mit anderen Materialien, denn wir sind einfach müde von der Digitalisierung.
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