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»Wir sind einfach müde von der Digitalisierung«

Charlotte Rohde ist eine der stilprägenden Gestalterinnen ihrer Generation. Wir sprachen mit ihr über veraltetes maskulines Design, über Schriften als visuelle Stimmen – und warum man sich verletzlich machen sollte.

Interessiert man sich für zeitgemäße Gestaltung, kommt man an Charlotte Rohde nicht vorbei. Mehr als 10 000 Follower feiern auf Instagram ihre Schriften, die mit Bedeutung, mit Empathie und Selbstbewusstsein aufgeladen sind, ihr Font Marguerite Grotesk bestimmt das Cor­porate Design des Berliner Gropius Baus. Seit sie am Sandberg ­Instituut ihren Master of Fine Arts and Design gemacht hat, lebt und arbeitet sie in Amsterdam und entwirft gerade eine Schrift, bei der sie sich vorstellt, sie sei ein Typ, der auf die ECAL gegangen ist.

Wie bist du zur Typografie gekommen, die ja nicht nur den Ruf hat, etwas nerdig zu sein, sondern auch sehr männerdominiert?
Charlotte Rohde: Das war, ehrlich gesagt, eher ­Zufall. Ich wollte eigentlich zum Film und habe an der Fachhochschule Düsseldorf begonnen, Retail Design zu studieren, weil ich dachte, ich sei dann breiter aufgestellt. Doch das Studium war so kommerziell ausgerichtet, dass ich mich darin nicht wiedergefunden habe. So bin ich bei ei­nem Professor gelandet, der so geliebt wie gefürchtet war. Ich lasse mich gerne herausfordern und ha­be zwei Jahre gebraucht, um mir in dem Jungs­club einen Platz zu erkämpfen. Schon in dieser Zeit hat es mich gestört, dass es immer darum ging, Gestaltung scheinbar objektiv in gut und schlecht einzuteilen, dass es viel zu sehr um alte Werte ging, um Logik, ein Richtig und Falsch, um all diese maskulinen Werte im Design. Dagegen habe ich mich gewehrt. So wie viele andere auch. Da es zu jedem Trend einen Gegentrend gibt, ganz so wie es zur Industrialisierung den Jugendstil gab, hat sich ein Design entwickelt, das von Emo­tionalität geprägt ist und auf Intuition setzt.

 

Du bezeichnest Typografie als Erweiterung des Körpers, deine Schriften als visuelle Stimme.
Es hat etwas gedauert, bis ich den Feminismus für mich entdeckte. Ich war beim »Missy Magazine« Grafikassistenz für Daniela Burger und bin für meinen Master of Fine Arts and Design ans Sandberg Instituut gegangen. Auch weil man sich dort intensiv mit feministischen Fragen beschäftigt. Durch eine Dozentin bin ich auf den Hydrofeminismus ge­stoßen, der davon ausgeht, dass alle lebenden und nicht lebenden Dinge von einer semidurchlässigen Memb­ran umgeben sind und durch einen Wasserkreislauf verbunden. Alles ist ein Biotop, Gender ist obsolet und in den Räumen zwischen den Membranen tröpfeln die einzelnen Dinge ineinander, Menschen, Pflanzen, Tiere, alles eben. Seitdem betrach­te ich meine Schriften wie Körper, die diese Zwischenräume füllen und sich mit allem verbinden, und ein Netzwerk entsteht, eine Gesamtheit und ein Zeitgeist.

Gleichzeitig beschreibst du deine Schriften auch als visuelle Stimmen.
Wenn ich von einer Stimme rede, dann meine ich das im symbolischen Sinne. Dass man eine Stimme bekommt, um zu wählen, um seine Meinung zu ­sagen, um gehört zu werden. Und zwar alle Stimmen, nicht nur die, die am mainstreamingsten sind oder am lautesten. Die meisten Schriften sind von ­Männern gezeichnet worden. Doch wenn ich etwas Feministisches, ein Manifest oder Ähnliches abdrucke, dann möchte ich das nicht mit der Stimme einer männlichen Person tun.

Die Schrift als feministische Stimme?
Es geht gar nicht darum, dass sie feminin sein muss, sondern darum, wer sie gemacht hat und aus welcher Haltung sie entstanden ist. Es geht um eine Art Verschmelzung. Neulich habe ich meine Master­arbeit einer Unizeitung zur Verfügung gestellt, und sie haben sie in der Schrift einer männlichen Person abgedruckt. Sie haben einfach nicht da­rü­ber nachgedacht. Das ist eher lustig und auch spannend, was dann daraus entsteht. Vielleicht beeinflusst mein feministischer Text ja die Schrift. Bei meinen eigenen Schriften habe ich das Gefühl, dass sie eine gewisse Feminität haben, eine eingebettete Eleganz, die meine Art und Weise, Weiblichkeit zu performen, widerspiegelt.

Das heißt, die Schriften funktionieren auch, ohne dass man die Metaebene kennt?
Ich hoffe, dass sie so gut aussehen, dass sie auch so funktionieren. Meine Schriften sind nicht crazy, son­dern gut benutzbar. Aber wenn man genau hinschaut, haben sie skurrile kleine Details. Gleichzeitig glaube ich, dass man eine gewisse Ehrlichkeit immer fühlen kann, das ist ein bisschen so wie bei einem Popsong.

Das ist ein Ansatz, der sehr persönlich und emotional ist.
Ja, und dadurch mache ich mich verletzlich. Das spielte auch am Sandberg Instituut eine große Rolle, denn über Gefühle findet man ganz andere Verbindungen zueinander. Wenn jemand sagt: »Ich hab dieses Buch gelesen«, und der andere sagt: »Ich auch«, ist das nicht so herzerwärmend. Wir haben Lust, uns verletzlich zu machen und unsere Gefühle zu teilen, denn das tut sehr gut. Für mich gehört zu dieser Entwicklung auch, Dinge nicht nur immer am Computer zu gestalten, sondern vermehrt auch mit den Händen zu arbeiten, Dinge anzufassen. In meiner Abschlussarbeit habe ich Keramikplatten mit Reliefs meiner Handzeichnungen gefertigt. Viele arbeiten gerade mit Ton und mit anderen Materialien, denn wir sind einfach müde von der Digitalisierung.

Weg vom Computer, hin zu einer Gestaltung, bei der man mit den Händen arbeitet: Für ihren Master of Fine Arts and Design (MfAD) am Sandberg Instituut in Amsterdam hat Charlotte Rohde Keramikplatten mit Reliefs ihrer Handzeichnungen gefertigt
Das Gipsrelief »A Milky Sunbeam« zeigt einen Ausschnitt aus Rohdes Gedicht »facial«. Die Zeilen hat sie in ihrer Schrift Serifbabe in Latex gegossen und anschließend gemeinsam mit dem französischen Bildhauer Octave Rimbert-Rivière einen Gipsabdruck davon gefertigt
Austausch mit Strahlkraft: Um über experimentelle Typografie zu diskutieren, hat Charlotte Rohde am Sandberg Instituut mit zwei Freunden das PUB Laboratory for Typographic Embodiment gegründet und verschiedene Plakate gestaltet

Gefühl statt Grids: So tickt die Next Gen im Design!

Natur, Zukunft, der eigene Körper – für junge Gestalter*innen ist vieles nicht mehr selbstverständlich, im Digitalen aber sind sie zu Hause wie keine Generation vor ihnen. Wir zeigen, wie sie mit Medien und Technologien umgehen und welche visuellen Stile die Next Gen hervorbringt.

PDF-Download: PAGE 02.2021

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